Amerang – Die „Heilige Nacht“ von Ludwig Thoma gehört zur bayerischen Vorweihnachtszeit wie Rauschgoldengel, Christbaumkugeln und Tannenzweige. Die biblische Erzählung von der Geburt Christi, sprachgewaltig und bildkräftig versetzt in die bäuerliche Gesellschaft des ländlichen Oberbayerns des beginnenden 20. Jahrhunderts, ist ein Paradestück für jede Lesung. Dieses Jahr führte die Theatergemeinschaft ihre Mitbürger in der Kirche mit einer szenischen Darstellung der Thomaschen Legende auf den Weg zu Weihnachten hin, unterstützt von einer Bläsergruppe der Dorfmusik und dem Männergesangverein.
Dem Erzähler kommt auch in der in Amerang vorgeführten Umsetzung des Textes von Ludwig Thoma eine tragende Rolle zu. Sprecher Anton Neubauer erfüllte diese Aufgabe bravourös, hielt die Balance zwischen der Distanziertheit des unbeteiligten Erzählers und der emotionalen Ausdruckskraft des Interpreten, dosierte genau die lebendige Wiedergabe der Höhepunkte im gleichmäßig ruhigen Erzählfluss.
Noch stärker wurde der Kontrast der erzählerischen Grundhaltung zur unmittelbaren Darstellung des Geschehens durch die Schauspieler der Ameranger Theatergruppe, die die Heilige Nacht mit der Geburt Jesu ins Alltagsleben holten. Intensiv fühlbar verkörperte Franz Strell die Sorge Josefs um seine hochschwangere Frau, seine Erleichterung, als ihm bei der Herbergssuche die reichen Verwandten einfallen, seine abgrundtiefe Enttäuschung und Verzweiflung über deren Zurückweisung. Den Gegenpol bildete überzeugend Veronika Gubisch als Maria in ihrer nicht auszulöschenden Zuversicht. Doch auch die Darsteller der anderen bei der Geburt Jesu Beteiligten trugen dazu bei, dass die Zuschauer die Bedeutung des Geschehens intuitiv erfassen können, Rupert Huber und Maria Scalise als hartherzige reiche Verwandte und Jonas Schauberger als ebenfalls ruppiger Hausknecht, Johanna Oberbauer als armer Simmei, der dennoch bereit ist, Maria und Josef in seiner Behausung aufzunehmen, so gut es ihm möglich ist, Basti Wurmannstetter als hilfsbereiter Handwerksbursche und Milena Leikermoser als Mann, der ebenfalls zu den Armen gehört, die als erste im Kind in der Krippe den Heiland erkennen.
Das dekorative Ambiente des barocken Kircheninnenraums gab der Ameranger Darbietung der „Heiligen Nacht“ ein besonderes Gepräge. Das Gefühl einer Feststunde beizuwohnen wurde noch unterstützt durch die feierliche Musik der Bläser und Sänger, die von der Empore herabklang.
Doch die Theatergemeinschaft will ihre Zuschauer auch zum Nachdenken bringen. Deswegen sind die Stellen in der Thomaschen Version des Geschehens besonders deutlich herausgearbeitet, in denen der Erzähler kritisch mit dem Verhalten der Reichen umgeht und die Solidarität der Armen beschwört. Man steuerte schließlich schnurstracks auf die Frage zu, „ob es denn nichts bedeutet, dass das Christkind bloß Arme gesehen haben“. Was das für die Jetzt-Zeit bedeutet, sollte sich jeder selber überlegen, so der Gedanke. Vielleicht kamen gerade deshalb etwa 1000 Euro an Spenden für die Kindergärten in Amerang und Evenhausen zusammen, so wie es sich die Theaterer gewünscht hatten.