Kiefersfelden/Vogtareuth/ Prutting/Samerberg/Bad Endorf – Ein ehemaliger Bürgermeister aus Berlin fand zwar, dass „arm und sexy“ irgendwie zusammengehören. Doch das dürfte so manchen Anlieger einer Straße, die saniert werden muss, nicht wirklich beruhigen. Denn laut Bayerischem Verwaltungsgerichtshof müssen Kommunen die Anlieger zur Kasse bitten. Da könnten schnell 10000 Euro und mehr auf den Einzelnen zukommen. Es gehe um rund 60 Millionen Euro jährlich, die von Anwohnern für den Straßenausbau eingesammelt würden, sagt Hubert Aiwanger. Der Freie Wähler-Chef will mit einem Volksbegehren die „Strabs“ zu Fall bringen. Und er rechnet sich gute Chancen aus.
Nun regt sich auch in Vogtareuth Widerstand gegen diese Satzung. Vier CSU-Gemeinderäte haben für die nächste Ratssitzung am kommenden Dienstag einen Antrag auf „Aussetzung der Straßenausbausatzung“ eingereicht. Unter Tagesordnung 4 soll dieser Antrag von den Gemeinderäten behandelt werden.
Hintergrund des Antrags ist, dass viele Bürger in Vogtareuth unzufrieden seien. Das sagen zumindest Johann Bürger-Schuster, Jakob Mayer, Christian Bürger und Martin Schlagbauer. Und sie führen gute Gründe an für ihre Forderung, die „Strabs“ zumindest auszusetzen, bis die „Lage bayernweit endgültig geklärt“ ist, so Bürger-Schuster.
Vogtareuth: CSU kritisiert „Strabs“
Kritisch sehen die vier CSU-ler vier Punkte. Die Dorferneuerung in Vogtareuth steht vor dem Start und soll unter anderem den Ortskern aufmöbeln. Zahlen dann nur die Anlieger? Und wie sieht es aus, wenn Anlieger an einer Straße wohnen, an deren Ende ein von allen Dorfbewohnern viel besuchter Wertstoffhof, ein Sportplatz oder ein Krankenhaus liegt? Wie sieht es aus, wenn beispielsweise ein Anlieger gar kein Auto hat? Wie beteiligen sich diejenigen Anrainer, die in einem Bereich wohnen, der nicht von der „Strabs“ betroffen ist? Lauter Fragen, die vorab zu klären seien, finden die vier Gemeinderäte aus Vogtareuth. „Zumal im vergangenen Jahr die Satzung nur mit einer Stimme Mehrheit sehr knapp verabschiedet worden ist“, fügt Bürger-Schuster an.
Seit 2017 gelte nun zwar die Satzung, doch es seien noch keine Bescheide ergangen. Somit sei die „Abschaffung oder Neuausrichtung“ noch möglich, meint er.
Der Vogtareuther Bürgermeister Rudolf Leitmannstetter (ÜWG) ist persönlich nicht glücklich mit dem Thema. Es seien wohl schon die ersten Vorwehen des Wahlkampfes. Dennoch hält er die Satzung für ungerecht und erinnert an das Dilemma von Eckgrundstücksbesitzern. Da könnte es passieren, dass sie doppelt abkassiert werden.
Besser sei in seinen Augen, dass der Staat etwa die KFZ-Steuer weiterleiten soll und die Kommunen diese Steuergelder zweckgebunden verwenden müssten. Außerdem soll berücksichtigt werden, wie viele Straßenkilometer ein Ort habe. „Wir in Vogtareuth haben 50 Ortsteile. Da sind weite Wege zurückzulegen. Unser Aufwand ist unverhältnismäßig größer als der kleiner Kommunen, gibt der Rathauschef zu bedenken.
Grundsätzlich findet er es gut, dass das Thema noch einmal diskutiert wird, doch gleichzeitig befürchtet er, dass eine für alle gerechte Lösung schwierig zu finden sein wird.
Ähnlich sehen das auch die beiden Bürgermeister aus Kiefersfelden, Hajo Gruber (UW), und vom Samerberg, Georg Huber (ÜPW). „Ich persönlich finde, dass man Bürger von diesen finanziellen Beiträgen entlasten sollte, wenn die betreffende Straße überwiegend öffentliche Aufgaben erfüllt. Eine Erhöhung der kommunalen Anteile aus dem KFZ-Steueraufkommen vom Staat auf die Gemeinden käme aus meiner Sicht als angemessener Ausgleich in Betracht“, sagt der Rathauschef vom Samerberg.
Noch deutlicher wird sein Kollege aus Kiefersfelden: „Die ,Strabs‘ ist völlig ungerecht. Wir haben sie auch noch nie angewandt“, erklärt Hajo Gruber. Sein Vorschlag: Den Grundsteuerhebesatz anheben. Das sei wesentlich gerechter. Denn was könne ein Bürger dafür, ob er in einer reichen Gemeinde – die legt die Kosten dann nicht um – oder in einer weniger finanzstarken Gemeinde wohne – die es auf die Anlieger abwälze? Als Jurist habe er bei dieser Satzung große Bauchschmerzen, zumal hier der Gleichheitsgrundsatz missachtet werde. „Ein Grundfehler“, so Gruber.
Auch die Bad Endorfer Bürgermeisterin Doris Laban (parteifrei) sieht das Thema kritisch. „Ich denke, Bund und Land sollten eine einheitliche Lösung für alle Gemeinden schaffen. Ich plädiere für eine stärkere Beteiligung aus allgemeinen Steuertöpfen und ergänzend eine geringere Beteiligung der Anlieger mit über einen längeren Zeitraum gleichmäßig verteilten Beiträgen.“
Ganz anders beurteilt der Pruttinger Bürgermeister Hans Loy (CSU) die Satzung. „Ich persönlich halte die Straßenausbaubeitragssatzung für gerecht und in Ordnung.“ Seine Gemeinde wende die Mustersatzung bei der Straßenausbaubeitragssatzung seit Juli 2003 an. Bei drei Straßenausbaumaßnahmen – Edling, Haidbichl und im Hauptort Prutting – wurde die Satzung umgesetzt. Bei einer Maßnahme wurden bisher nur Abschlagszahlungen erhoben. Die Endabrechnung ist für dieses Jahr vorgesehen. Im Gemeinderat wurde aktuell noch nicht über die neuen Vorschläge für eine geänderte Straßenausbausatzung oder deren Abschaffung diskutiert.
Kann-Bestimmung nicht zielführend
Einig sind sich die befragten Bürgermeister in dem Punkt, dass die aktuell von der CSU favorisierte Kann-Bestimmung nicht recht zielführend sei. Gemeint ist, dass die Kommunen selbst entscheiden sollen, ob sie die „Strabs“ anwenden wollen oder nicht. „Das bringt nur Unfrieden unter den Gemeinden. Und uns Bürgermeistern wird es das Genick brechen“, lautet der einhellige Tenor.
Bürgermeister Hans Loy bringt es auf den Punkt: „Eine Abschaffung der ,Strabs‘ durch den Landtag ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich für die Gemeinden käme einer Lastenverschiebung zulasten der Mehrheit der Bürger in den Gemeinden gleich. Dieses wäre ungerecht, insbesondere bei Bürgern, die in Neubaugebieten immense Summen für die Straßenerschließung bezahlen müssen.“