Aktuelles INterview mit Eva Bishop

Bildung braucht Zeit – und Humor

von Redaktion

40 Jahre Schuldienst bedeutet über 8200 Tage Dienst am Schüler. Mit dem gestrigen Zeugnistag ging Eva Bishop, stellvertretende Schulleiterin am Gymnasium Raubling, in den Ruhestand. Mit der OVB-Heimatzeitung sprach sie über Veränderungen im Bildungssystem, Trends und den Status quo.

Gestern gab es Zwischenzeugnisse. Doch nicht jede Schule hat sie noch. Warum hält das Gymnasium Raubling daran fest?

Wir haben uns entschlossen, das Zwischenzeugnis als Halbjahresbilanz beizubehalten, um den Schülern und Eltern zu zeigen, wie der aktuelle ,Kontostand‘ ist. Das ist eine gute Richtschnur und zeigt an, wo man sich im Zweifelsfall vermehrt dahinterklemmen muss.

40 Jahre Schuldienst. Da haben Sie einige Reformen und Umstrukturierungen am Gymnasium mitgemacht. Was waren die einschneidensten?

Das waren zweifelsohne die Wechsel vom neun- zum achtjährigen Gymnasium, zum G8 mit Flexibilisierungsjahr und individuellen Fördermöglichkeiten samt Intensivierungsstunden, und nun die Rückkehr zum G9.

Begrüßen Sie die Kehrtwende zum neunjährigen Gymnasium?

Dies beschert den Schülern auf alle Fälle eine Entschleunigung des Lerntempos. Allerdings bleibt die zweite Fremdsprache in der sechsten Jahrgangsstufe. In der alten Form des G9 wurde diese erst in der siebten Klasse eingeführt. Nach wie vor kann aber ein Schüler das Abitur auch in zwölf Jahren machen.

Wenn Sie die Wahl zwischen G8 und G9 hätten, was würden Sie Eltern raten?

Generell ist mein Credo: Bildung braucht Zeit. Aber es hängt ganz klar von der Persönlichkeit des Schülers ab. Pauschale Empfehlungen machen zum Wohle der jungen Menschen keinen Sinn. Es muss individuell entschieden werden.

Ohne das „An einem Strang ziehen“ mit den Eltern steht man als Lehrer oftmals auf verlorenem Posten, gerade was Werte betrifft, oder?

Vollkommen. Werteerziehung muss gemeinsam mit dem Elternhaus erfolgen. Werte sind in der heutigen Zeit ein wichtiger Punkt. In der Gesellschaft herrscht hier doch häufig eine gewisse Beliebigkeit. Ehrlichkeit statt Opportunismus, Hilfsbereitschaft statt Egoismus und Engagement statt Passivität sind wichtig.

Was Sie hier beschreiben, steht aber in keinem Lehrplan. Sollte es ein Fach „Charakterbildung“ geben?

Das kann man nicht in einem Fach lehren. Das muss im gesamten Schulleben präsent sein und gelebt werden. Außerdem ist die Entwicklung von Sozialkompetenzen durchaus Bestandteil des Lehrplans. Am Gymnasium Raubling gibt es zudem ein Leitbild. Auch bringen sich die Jugendlichen in Arbeitskreisen wie „Schüler helfen Schülern“ oder wie „Schule ohne Grenzen“ ein.

Der Vergleich der Schulbildung innerhalb Deutschlands sowie mit dem Ausland kommt regelmäßig auf. Wo sehen Sie das bayerische Gymnasium?

Das bayerische Abitur gehört nach wie vor in Deutschland zu den besten Abschlüssen. Ich habe an einer deutschen Schule im Ausland gearbeitet und dort aber auch Bildungsqualitäten anderer Bundesländer gesehen. Mündliche Kompetenzen werden in anderen Bundesländern beispielsweise mehr geschätzt und schlagen sich im Verhältnis ,schriftlich‘/,mündlich‘ auch in den Noten deutlich nieder. Bei uns greift dies erst ab der Oberstufe.

Auslandsschuldienst klingt spannend. Wo waren Sie im Einsatz und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich war in Australien an der Johannes-Gutenberg-Schule in Sydney tätig. Entgegen so mancher Pisa-Statistik konnte ich – unter anderem durch Einblicke in australische Highschools – feststellen, dass deutsche Schüler sehr gut und umfassend ausgebildet werden. Sie brauchen sich im internationalen Vergleich nicht zu verstecken. Im Gegenteil.

Was könnte denn das deutsche Bildungssystem vom australischen lernen?

Mir hat der hohe Stellenwert des Sports sehr gut gefallen. Die Unterbrechung der Unterrichtszeit durch Training schafft Ausgleich zum langen Sitzen.

Wie sehen heute Unterrichtsformen aus?

Den reinen Frontalunterricht gibt es nicht mehr. Die Schüler sollen sich aktiv einbringen und – wo es angebracht ist – gegenseitig unterstützen. Der Lehrer hat heute allein durch die technische Ausstattung mit Dokumentenkamera, Beamer und Laptop mehr Möglichkeiten zur Unterrichtsgestaltung. Aber ganz ohne die Frontfrau oder -mann geht es nicht.

Auf die Jugend von heute wird oft geschimpft. Bei 40 Jahren direkten Kontakts mit über 5000 Schülern, was sind hierzu Ihre Erfahrungen?

Eines ist sicher: Die Jugend ist nicht schlechter geworden. Ganz im Gegenteil: Sie ist genauso idealistisch und positiv dem Leben gegenüber wie jede Jugend. Heutzutage hat sie es aber mit neuen Herausforderungen zu tun, vor allem im kommunikationstechnischen Bereich, negative Einflüsse inklusive. Konflikte, die ganz normal unter Jugendlichen sind, werden heute ins Internet gestellt und bekommen dadurch eine andere Dimension. Stichwort Cybermobbing.

Und was kann die Schule dabei tun?

Information ist das Allerwichtigste. Aufklärung an die Eltern und diese mit ins Boot holen sowie im Informatikunterricht auf Gefahren im World Wide Web hinweisen. Am Gymnasium Raubling gibt es Präventionsveranstaltungen durch unsere Sozialpädagogin. Wir haben zudem Aktionen in Kooperation mit der Polizei sowie mit Experten wie Gastreferent Tom Weinert. Medienerziehung halte ich für ein ganz wichtiges Fach.

Sie gehörten auch zu den Pionieren des OVB-Projektes „Zeitung in der Schule“. Warum?

Richtig. Das war noch in meiner Zeit am Karolinen-Gymnasium in Rosenheim. Ich finde Medienerziehung unerlässlich. Der sichere Umgang mit Print- und Digitalmedien ist eine Grundlage für das spätere Leben im Beruf und generell als Staatsbürger. Denn nur so gelingt Weitsicht statt Tunnelblick.

Haben Sie einen Traum in puncto Schulentwicklung?

Das wäre die Abschaffung des klassischen Sitzenbleibens. Stattdessen sollte der Jugendliche nur die Fächer wiederholen, in denen er das Klassenziel nicht erreicht hat. Aber ich bin mir bewusst, dass dies einen völligen Umbau des Systems bedeuten würde. Außerdem wünsche ich mir noch mehr Humor im Schulalltag. Lernen kann zwar nicht immer Spaß machen, aber ohne Freude und Humor geht im Unterricht nichts.

INTERVIEW: Silvia Mischi

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