Interview mit Armin Rösl von der Deutschen Depressionsliga

Wenn der graue Schleier nach dir greift

von Redaktion

Depression, die unterschätzte Krankheit – Mehr Männer als Frauen betroffen – Hohe Suizidgefahr

Rosenheim/Wasserburg/ München – Die Sonne scheint, die Luft duftet nach Frühling, die Menschen gehen beschwingt zur Arbeit. Doch das alles sieht ein an Depression erkrankter Mensch nicht, er nimmt es gar nicht wahr. Seine Fühler in die Außenwelt, sein Kontakt zu den Mitmenschen – alles weg, alles abgeschnitten. Er lebt ganz in seinem schweren Gefühl, in seinem schweren Herzen. Ihn treibt etwas anderes: Er will diese Stimmung, diese Antriebslosigkeit loswerden, endlich. Er fühlt sich als Last, als Bremser seiner Umgebung, ungeliebt und eigentlich überflüssig. Der Schritt zum Suizid ist zum Greifen nahe – geradezu verlockend.

Zum Thema „Lebens-Bilder-Reise – Aktiv gegen Depression“ – so der Titel der Wanderausstellung des Bayerischen Gesundheitsministeriums – hatte Landtagsabgeordneter Klaus Stöttner ins Bildungswerk Rosenheim eingeladen. Nach den Themen „Sterbehilfe“ und „Organspende“ war dies bereits die dritte Podiumsdiskussion in seiner jährlich stattfindenden Veranstaltungsreihe.

Überaus zahlreich waren die Zuhörer gekommen, um sich von Prof. Dr. Peter Zwanzger vom Inn-Salzach-Klinikum, Prof. Dr. Martin Keck vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie München, Siegfried Zimmermann von der Caritas Rosenheim und Prof. Dr. Ulrich Voderholzer von der Schön Klinik Roseneck über das Neueste aus Forschung und Therapie unterrichten zu lassen.

Fazit: Depressionen entstehen schleichend, es gibt viele verschiedene Ausprägungen der Erkrankung, Männer sind häufiger betroffen als Frauen, Depression ist als therapierbare Erkrankung in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Patienten, die an einer Depression leiden, haben ein doppelt so hohes Risiko, weitere Krankheiten zu bekommen. Wichtig: sich professionelle Hilfe suchen, etwa in einer Klinik.

Die OVB-Heimatzeitungen sprachen mit Armin Rösl, der seine Depression überwunden hat.

Wie begann bei Ihnen die depressive Phase? Wann haben Sie sich professionelle Hilfe gesucht?

Vor meiner schweren depressiven Episode (Diagnose in der Klinik lautete „Depression und Angst gemischt“) litt ich bereits seit etwa zwei Jahren immer wieder an Angst- und Panikattacken, wegen denen ich in ambulanter Behandlung war. In den Tagen vor dem Ausbruch der Depression bemerkte ich extreme Antriebs- und Lustlosigkeit. Nicht nur an einem Tag oder stundenweise, sondern über mehrere Tage hinweg.

Hinzu kamen verstärkt Angstattacken. Eines Nachts schreckte ich schweißgebadet hoch – ab diesem Zeitpunkt war mein Wesen verändert. Ich fühlte mich wie in einer Blase, nahm meine Umgebung schematisch wahr, aber hatte keinen Zugang mehr zu den Menschen und zur Außenwelt. Ich hörte ihre Stimmen, aber nicht, was sie sagten. In meinem Kopf kreisten nur noch Fragen und Gedanken wie „Was mache ich eigentlich auf der Welt?“, „Ich bin zu schlecht für diese Welt und mein Umfeld“, „Ich bin für meine Familie und meine Umgebung nur noch eine Last“, „Ich bringe meine Familie in den finanziellen Ruin“ – und später „Nur, wenn ich mich umbringe, bin ich für andere keine Last mehr“, „Nur, wenn ich mich umbringe, sind diese Gedanken weg“, „Ich bringe mich um. Aber wo? Wie?“. Diese Gedanken, diese Gefühle bestimmten ab jener Nacht mein Leben und gingen nicht mehr weg.

Zu dieser Zeit war ich in ambulanter Behandlung, mein Therapeut erkannte schnell, dass ich dringend eine stationäre Behandlung benötigte. Zwar war meine Angst vor der Klinik groß, doch nicht zuletzt meine Frau redete mir zu, dass dies die einzige sinnvolle Lösung für mich, aber auch für das Umfeld, sei. Also ging ich freiwillig in die Klinik. Diese Entscheidung hat mein Leben gerettet.

Wie reagierte Ihre Umgebung auf Ihr Verhalten und was hätten Sie sich gewünscht?

Zunächst wusste keiner, was mit mir los ist. Warum ich so verschlossen, traurig und panikartig geworden war. Die äußeren Umstände damals: Wir standen mitten während des Hausbaus, meine Frau war mit dem dritten Kind schwanger. Klar, neben meinem Beruf war da viel zu tun, aber alles lief gut – nur erkannte ich das nicht mehr. Ich hatte mich ins Hamsterrad gesetzt und immer wieder die gleichen Fragen und Gedanken im Kopf.

Natürlich versuchten alle, mich zu beschwichtigen mit Aussagen wie „Das wird schon“, „Kopf hoch“, „Es gibt doch keine Probleme“. Allerdings gab es auch Aussagen wie „Stell‘ Dich nicht so an!“, „Sei mal ein Mann!“ – die kamen von meinem Vater. Letztendlich war der Hausbau und die Verantwortung, die damit verbunden ist, jener Stein, der den Rucksack, den ich seit meiner Geburt auf meinem Rücken trage und der insbesondere in meiner Kindheit immer voller wurde, für mich zu schwer gemacht hat. Ich bin unter der gesamten Last zusammengebrochen. Für eine Depression gibt es nicht DIE eine Ursache.

Wünschen? Das ist schwierig, zu beantworten. Ich glaube, in der Phase, in der ich mich befand, hätte ich auf keine noch so gut gemeinte oder richtige Reaktion reagiert. Nichtsdestotrotz wäre es gut gewesen, wenn man versucht hätte, sich in meine Gefühlslage hineinzuversetzen. Ich weiß allerdings auch, dass das sehr schwer, eigentlich unmöglich ist, wenn man es selbst nicht erlebt hat. Da kann man diese – für Außenstehende – sehr komischen und überhaupt nicht nachvollziehbaren Gefühle, Gedanken und Aussagen des Betroffenen nicht nachvollziehen. Dennoch hätte dieses „Mitfühlen“ mir die Sache leichter machen können. Vielleicht.

Sie haben heute die Depression im Griff. Was heißt das ? Können Sie am Alltag wieder uneingeschränkt teilnehmen?

Ja. Ich genieße das Leben, bewusster als vorher. Das Haus wurde fertig gebaut, das dritte Kind und meine Familie sind wohlauf. Ich bin leidenschaftlicher und stolzer Familienvater. Meinen Beruf übe ich mit der gleichen Motivation, Freude und im selben Umfang aus wie vor der Depression. Im Nachhinein denke ich mir, das war ein völlig anderer Mensch, damals. War es aber nicht. Ich bin immer noch in ambulanter Behandlung, etwa alle zwei Monate spreche ich mit meinem Therapeuten. Manchmal ziehen dunkle Wolken in Form von depressiven Gedanken über mir auf, manchmal ereilt mich aus dem Nichts eine Angstattacke. Aber ich weiß sie einzuschätzen und damit umzugehen. Mein nächstes Ziel ist es, das einzige Antidepressivum, das ich derzeit noch präventiv nehme, komplett abzusetzen.

Interview: Sigrid Knothe

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