Raubling – An den Tischen im Zimmer der Offenen Ganztagsschule fischen die Kinder Käsebrote und Apfelstückchen aus ihren Tupperboxen; gemeinsam mit den Betreuern wird gegessen und getrunken, erzählt und gelacht. Nach dem Frühstück geht es auf den Spielplatz vom Raupennest, des benachbarten evangelischen Kinder- und Jugendhauses. Mal werden in der Schulküche unter Anleitung einer Konditorin Muffins gebacken, mal entstehen mithilfe eines Schreiners aus kleinen Holzklötzen Smartie-Spender. Mittags kommt ein warmes Essen auf den Tisch. Und einmal in der Woche steht ein Ausflug auf dem Programm – beispielsweise in den Raritätenzoo nach Ebbs, in die Sterntaler Filzen oder ins Salus Auwald-Biotop nach Bruckmühl. Eine ganz normale Ferienbetreuung also, bei der die Kinder Spaß haben sollen, wie Thomas Stingl, einer der beiden Geschäftsführer des Betreuungsdienstes mit Sitz in Rosenheim, betont. Nur dass die Kinder und Jugendlichen hier in den unterschiedlichsten Formen und Schweregraden körperlich und/oder geistig behindert sind.
Abgesehen von der Freizeit für die Teilnehmer verschafft das Angebot auch den Eltern eine wertvolle Auszeit; sei es, um ein bisschen durchzuschnaufen, sei es, um beruhigt in die Arbeit gehen zu können. „In den Ferien habe ich ein echtes Problem“, schildert etwa eine alleinerziehende Selbstständige aus Brannenburg. Ihr 14-jähriger Sohn, ein Autist, benötigt den ganzen Tag über Betreuung und ist bereits zum dritten Mal dabei. „Ohne dieses Angebot könnte ich in den Ferien nicht arbeiten“, verdeutlicht sie.
Nicht zu unterschätzen ist aber auch der Spagat, den Eltern zwischen gesundem und gehandicaptem Kind bewältigen müssen. So nutzt eine Mutter aus dem westlichen Landkreis, deren Tochter (9) an Epilepsie leidet und dazu eine geistige Behinderung hat, diese Tage, um mit ihrem anderen Kind etwas zu unternehmen. „Das ist eine große Erleichterung für uns.“
Den Stein ins Rollen gebracht hatten im Grunde genommen Familien, deren Kinder von Schulbegleitern des Betreuungsdienstes unterstützt werden. Immer wieder habe man den Wunsch nach einer Ferienbetreuung an ihn herangetragen, erzählt Stingl, selbst Krankenpfleger und Lehrer für Pflegeberufe. „Aber es fehlten die Räume.“ Sein Nachbar, der Raublinger Gemeinderat Herbert John, stellte dann den Kontakt zu Bürgermeister Olaf Kalsperger her. Und so hat sich in der Michael-Ende Schule der dreiwöchige Probelauf vom Sommer 2015 inzwischen als feste Einrichtung auch auf die Oster- und Pfingstferien ausgedehnt.
Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom Verein „Hilfe für behinderte Kinder und Jugendliche im Inntal e.V.“., den Herbert John im November 2016 ins Leben gerufen hat. Dem Rechtsanwalt, der seit einer Hirnblutung auf den Rollstuhl angewiesen ist, liegt dabei vor allem eines am Herzen: gelebte Inklusion. So finanziert der rund 60 Mitglieder zählende Verein im Sommer einen Workshop mit dem Puppentheater teakrino, an dem sich auch das Raupennest beteiligen wird.
Wunsch nach eigenen Räumen wächst
Dennoch: Der Wunsch nach eigenen Räumen wächst. Dann, so Stingl, könnte man zusätzlich zur Tagesbetreuung auch Übernachtungsmöglichkeiten anbieten: „Viele Eltern würden die Kinder auch außerhalb der Ferien gerne mal übers Wochenende oder in Notfällen – wenn beispielsweise ein Elternteil wegen Krankheit ausfällt – abgeben können.“ Zumal es im Landkreis Rosenheim bislang keine Kurzzeitpflege für behinderte Kinder und Jugendliche gebe. Ein Businessplan liege bereits fix und fertig in der Schublade.
Allerdings gestaltet sich die Suche nach einer Immobilie sehr schwierig. Wie berichtet waren vor wenigen Monaten die Pläne zum Erwerb eines ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesens in der Gemeinde Rohrdorf gescheitert.