Bad Endorf – Ein Anfängertraining hat Renate nicht nötig. Zehn Kilometer läuft sie spielend. Dennoch kam sie diese Woche zum Gruppentraining mit, um Marieluise Weichselbaumer aus dem Trainerteam zu begleiten. Die beiden Bad Endorferinnen trainieren ein- bis zweimal die Woche zusammen.
„Rechts um die Kurve, dann geht es leicht bergauf“, sagt Marieluise. Oder „Achtung Stufe“. „Füße hoch“ ist ihr Kommando, wenn das Gelände uneben wird. Die 53-Jährige hält ihre blinde Laufpartnerin buchstäblich an der kurzen Leine. Beide haben ein Ende der Schnur in der Hand, und Marieluise achtet darauf, dass sie synchron sind. Bei beiden muss gleichzeitig der innere oder der äußere Fuß vor, sonst geht es nicht. Aber das, so betont das Team, ist reine Sache der Übung.
„Schleichend“, erklärt Renate, kam ihre Leidenschaft fürs Laufen. Als Jugendliche hatte sie noch einen „Sehrest“, der es ihr ermöglichte, ihre Stammstrecke über fünf Kilometer ohne Hilfe zu bewältigen. Dann wurde ihr Augenlicht schlechter und sie musste mit dem Sport aufhören.
Irgendwann im Alter zwischen 25 und 30 fand sie den Weg ins Fitnessstudio und fing mit Torball an, einer Ballsportart für Blinde. Zum Warmmachen musste die Mannschaft immer einige Runden laufen. Erst mochte sie das nicht, entdeckte dann aber die Freude an dieser Art der Bewegung.
Das Laufband, so fand sie schnell heraus, ist nur eine Notlösung. Hier kann sie bei gleichbleibendem Tempo alleine laufen. Nur alle paar Schritte greift sie zu dem Handtuch, das sie an einer Stange hängen hat – zur Kontrolle, ob ihre Position auf dem Gerät passt. Aber: „Laufband ist öde“, findet die 49-Jährige.
Lieber läuft sie durch die Landschaft, die sie zwar nicht sehen kann, aber dennoch intensiv wahrnimmt. Gerne riecht sie die frische Waldluft und hört die Geräusche der Natur. „Ist das die Prien, die da so rauscht?“, fragt sie zum Beispiel beim Training im Eichental.
Über den Lauftreff des TSV Bad Endorf fand sie zu Marieluise. Meist trainieren die beiden zusammen nicht im Flachland, sondern am Berg. „In der regionalen Berglauf-Szene gehört die Renate fest dazu“, so Marieluise. Beim Heuberglauf sind die beiden unterwegs. Auch den unteren Teil des Kampenwand-Staffellaufs bewältigt Renate – hier läuft bei Zweiterteams einer bis Hintergschwend, der zweite dann bis zur Steinlingalm. Nur der Hochfellnberglauf, da ist ihr das Gelände zu felsig. Erleben wollte sie den Berg dennoch, und so wanderte sie mit Marieluise einfach mal hoch.
Vier Mal hat Renate schon den München Marathon geschafft. Die 42,195 Kilometer schafft sie, nur ihren Partner muss sie auf halber Strecke austauschen. Nicht wegen der Fitness, sondern wegen der Konzentration. „Das Begleiten ist enorm anstrengend. Vor allem, wenn es wegen der vielen Leute eng ist“, weiß Marieluise.
Oft werden die beiden angesprochen. „Deine Partnerin ist blind, oder?“, wurde Marieluise einmal gefragt. „Ja, aber hören kann sie gut“, lautete ihre Antwort. Und Renate setzte noch eins rauf: „Und reden kann sie auch.“
Mit Laufen und Torball ist es nicht getan. Ihre Freizeit verbringt die 49-Jährige, die beruflich als Masseurin in einer Klinik arbeitet, größtenteils beim Sport. Fürs Radfahren hat sie ein Mountainbike-Tandem, und Langlaufen, so sagt sie „ist das allerschönste“.
Das Alpinskifahren hat sie jedoch aufgegeben. Das Verletzungsrisiko ist ihr zu groß, nachdem sie dabei bereits ihr „Kreuzband geschrottet“ hat. Ihr nächstes Vorhaben ist ein Hobby-Triathlon in Seeon. Da graust ihr nur vor dem Schwimmen, Renates schwächste Disziplin.
Stolpersteine lässt sich die blinde Sportlerin nicht in den Weg legen – und wenn, dann räumt sie sie weg. Sie fuchst einzig, dass sie immer auf Begleiter angewiesen ist. Und einer der zuverlässigen Begleiter, der sogar nachts um 22 Uhr noch mit ihr Laufen war, umrundet gerade zu Fuß die Welt. Da könnte er ruhig ein wenig schneller machen, findet Renate.