Bad Endorf – „Von bayerischen Politikern werden uns unsere Werte, unsere Vorstellungen von Menschlichkeit und Koexistenz kaputt geredet“: Musiker Martin Kälberer (50) aus Bad Endorf macht seinem politischen Ärger in einem Brief Luft. Er plädiert für mehr Menschlichkeit. Dafür demonstrieren auch Menschen am Sonntag, 22. Juli, bei „#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst“. An der Demonstration in München, zu der rund 10000 Teilnehmer erwartet werden, nimmt auch Kälberer teil. Was nach seiner Einschätzung in unserem Land schief läuft und wer die Hemmschwelle überschritten hat, verrät Martin Kälberer im Interview mit dem Oberbayerischen Volksblatt und der Wochenzeitung „Hallo München“.
Herr Kälberer, Sie haben einen langen Brief geschrieben und sich über die derzeitige politische Lage Luft gemacht.
Ja, das gärt schon lange in mir. Allerdings verstehe ich „politisch“ eher im eigentlichen Sinn: die Gesellschaft betreffend. Ich möchte keine Politikerschelte betreiben. Klar, dieses wochenlange unsägliche Hin und Her zwischen München und Berlin hat gezeigt, dass es da vielen primär nicht um unser Land geht, sondern nur noch persönliche Scharmützel ausgetragen werden. Mir geht es aber mehr um die Haltung und Verantwortung von uns allen, mit der wir etwas verändern können – und müssen.
Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Ja. Das scheint eine andere Welt zu sein, in der regiert wird, man hat dort offenbar eine völlig andere Wahrnehmung. Und anstatt tatsächliche Probleme zu lösen, von denen wir genügend haben, werden manche so aufgeblasen, dass sie alles andere überdecken.
Wem haben Sie den Brief geschickt?
Allen Freunden und Bekannten, wie Werner Schmidbauer, Zither Manä, Konstantin Wecker und Wolfgang Niedecken. Sie haben ihn dann zum Teil weitergeleitet, so habe ich viele Menschen erreicht.
Wie war die Resonanz?
Durchweg positiv. Der Brief scheint auf großes Verständnis gestoßen zu sein. Ich war eben zunächst sprachlos darüber, was sich abspielt. Man muss aber den Mund aufmachen und darf den „Anderen“ nicht die Sprache überlassen.
Was läuft schief in unserem Land?
Worte werden zu Waffen. Und ich finde, dass man aufpassen muss, was man mit Worten anstellen kann. Scheinbar zufällig prasseln extreme Formulierungen auf uns ein, die das ganze Klima des Landes verändern. Wenn sich ein Minister dieses Landes erdreistet, uns das Wort „Tourismus“ im Zusammenhang mit tragischen menschlichen Schicksalen unterzujubeln, dann ist für mich eine Schwelle überschritten.
Wie stehen Sie zu der Aussage „Politik der Angst“?
Der Ausdruck trifft zu. Sicherlich ist dieses Angstschüren bei vielen klar kalkuliert, denn dadurch verschärft sich die Stimmung unter den Menschen. Einfache Konsequenz: mehr Staat, mehr Kontrolle – das zeigt ja auch das von der CSU initiierte Polizeiaufgabengesetz.
Was kann jeder Einzelne tun, um ein besseres Miteinander zu realisieren?
Mein persönlicher Ansatz ist, jedem respektvoll und achtsam gegenüberzutreten, in Wort und Tat – egal wem und woher. Jeder kann dazu beitragen. Dazu muss man nicht unbedingt politisch in der ersten Reihe stehen.
Planen Sie ein Konzert für mehr Menschlichkeit mit Werner Schmidbauer und Pippo Polllina?
Wir sitzen eh gerade zusammen beim Proben und überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, dieses Thema aufzugreifen.Interview: Ines Weinzierl