Oberaudorf – All das erfährt man, wenn man bei einer Höhlenwanderung des Oberaudorfer Tourismusbüros mitmacht.
Höhlen sind nämlich nicht nur dort zu finden, wo man gar keine vermuten würde, sie haben auch mehr mit uns zu tun, als man auf Anhieb denken möchte. Über Jahrtausende hinweg waren sie der bevorzugte Wohnort unserer prähistorischen Vorfahren, denn dort war man trocken, sicher und behütet und manche meinen, dass davon noch ein bisschen was in unseren Genen steckt: Wer hat sich als Kind nicht mit Decken, die über einen Tisch geworfen wurden, eine Höhle gebaut und sich darin pudelwohl gefühlt?
Dagegen steht das Unbehagen, das einen beschleichen kann, wenn man an Höhlen denkt: finster, eng und nass. Sie stehen für das Unbekannte, das Lauernde und Unerwartete.
Auch bei den Teilnehmern der Höhlenwanderung sind die Assoziationen immer ganz unterschiedlich. An der Stimmungslage möchte Peter Hofmann, der seit Jahrzehnten seine ganze Freizeit Höhlen widmet und die Wanderungen führt, auch gar nichts ändern, er möchte sie nur erweitern.
Dazu muss man zunächst einmal das Hinschauen üben, weswegen er beim Aufstieg zum ersten Wanderungspunkt, dem „Grafenloch“, die Aufgabe stellt, nach Höhlen Ausschau zu halten. Natürlich übersehen alle den kleinen Quellaustritt auf etwa halbem Weg, denn eine Quelle ist eine Quelle und keine Höhle. Neugier wird erst wach, als Peter Hofmann erklärt, dass hinter einer Quelle, die völlig unabhängig von der Wetterlage immer Wasser führt, ein Reservoir stecken muss. Im vorliegenden Fall wird sich die Größe, wie Peter Hofmann zugibt, wahrscheinlich in Grenzen halten, würde aber etwas mehr Wasser fließen, könnte sich eine Grabung lohnen: Im Altmühltal, so erzählt er, hat man auf diese Weise ein Gangsystem von mehreren Kilometern Länge entdeckt. Immerhin: Wären die Hohlräume, die sich hinter dieser Quelle befinden, auf mindestens fünf Meter für den Menschen begeh- oder wenigstens bekriechbar, würden sie von den Wissenschaftlern in ihren Katastern als Höhle ausgewiesen werden.
An dieser Stelle wird auch klar, warum Höhlenforscher ihr Hobby so faszinierend finden: Weil man in Deutschland selbst heute immer noch neue Höhlen finden kann.
Schon lange entdeckt, weil nicht zu übersehen, dabei auch wesentlich tiefer als fünf Meter und deshalb nach der Definition eindeutig als Höhle anzusprechen, ist dann das „Grafenloch“. Die Mauerreste, die davor zu sehen sind, zeigen selbst dem Laien, dass die Höhle einst nicht nur abgeschlossen, sondern sogar befestigt war. Allerdings hat der Hobbyhöhlenforscher auch hier sogar für die Einheimischen unter den Teilnehmern Neues zu berichten. Bis vor etwa zehn Jahren hat man nämlich in der Schule noch gelernt, dass es sich dabei um eine Befestigung aus dem Dreißigjährigen Krieg handele. Mittlerweile ist klar: Damals hat man sich in der Höhle vielleicht vor den durchs Inntal ziehenden Truppen versteckt, die Befestigung ist aber wesentlich älter: Sie stammt aus der Zeit um das zehnte Jahrhundert, denn hier befand sich der Vorläufer der Auerburg. Sieht man heute die Höhle mit ihrem steil ansteigenden und von Geröll bedecktem Boden, ist man geneigt, die damaligen Bewohner zu bedauern, kein besonders wohnlicher und schon gar kein repräsentativer Aufenthalt möchte man meinen.
Peter Hofmann aber gibt zu bedenken, dass man sich in der Höhle einen wahrscheinlich zweigeschossigen hölzernen Einbau denken muss, der durchaus repräsentativ gewesen sein kann. Das zumindest legen die Ergebnisse einer kurzen archäologischen Grabung aus dem Jahr 2009 nahe. Dabei kam heraus, dass es im Eingangsbereich der Höhle auf jeden Fall schon mal einen holzvertäfelten Empfangsraum gegeben haben muss.
Auch im jetzigen Zustand gibt die Höhle der Fantasie Nahrung. Wie Hofmann erzählt, ist sie in Größe wie Form sowie mit ihrem tollen Ausblick ins Inntal ein Musterbeispiel für das, was unsere prähistorischen Vorfahren wohl als „Immobilie in Premiumlage“ bezeichnet hätten: Man sieht gewissermaßen den Clan noch sitzen und den abendlichen Ausblick genießen.
Ob sie in diesen Zeiten auch tatsächlich bewohnt war, hat man bislang noch nicht erforscht, es wäre, so Hofmann, sogar möglich, dass das nicht der Fall war, einfach deswegen, weil sich weiter unten eine Höhle fand, die noch bessere Bedingungen bot: Dort ist zwar die Aussicht nicht so toll, aber dafür das Mikroklima so gut, dass es dort Orchideen gibt, die sonst erst in Südtirol wieder zu finden sind.
Heute ist von dieser Höhle nichts mehr zu sehen, denn davor befindet sich eine Hausfassade, der „Weber an der Wand“. Viele der Fremden, die je durch Oberaudorf gefahren sind, werden den Ort in ihrer Erinnerung mit diesem Haus im Fels verknüpfen, doch ist das nichts gegen die Berühmtheit, die es im 19. Jahrhundert hatte. Der Weber an der Wand war eines der ersten und berühmtesten Tourismusziele der Münchner, der Wittelsbachern bis Zar Alexander dem Ersten. Da die Wirtschaft im Moment ohne Pächter ist, bietet die Höhlenwanderung die einzige Gelegenheit, sich den Weber an der Wand auch einmal von innen anzusehen. Die Führung „Inntaler Unterwelten“ am 12. September gibt Gelegenheit dazu.