Kinder-Kulturwoche auf Gut Immling

Das fast Unmögliche wahr gemacht

von Redaktion

Kinder-Kulturwoche auf Gut Immling: Ein Theaterstück, 65 Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren und sechs Tage Zeit zum Einstudieren. Da scheint das Stück, das man sich ausgesucht hat, wirklich ideal gewählt zu sein: „In 80 Tagen um die Welt“ nach dem Roman von Jules Verne. Geht es doch in der Geschichte um ein Vorhaben, das eigentlich nicht zu schaffen ist.

Halfing – Denn nicht zu schaffen scheint das Ziel, binnen sechs Tagen eine Aufführung auf die Bühne zu stellen und das komplett, also mit Tanz, Musik, Akrobatik und inklusive Kostümen und Bühnenbild. Das wäre schon mit erfahrenen Laienschauspielern eine beachtliche Leistung, doch hier handelt es sich um Kinder, die die Theatercrew am Beginn der Kinderkulturwoche zum ersten Mal sieht und die sich auch untereinander nicht kennen.

Wozu Lehrer manchmal ganze Schuljahre brauchen, nämlich herauszufinden, wo die Stärken des Einzelnen sind, das muss hier binnen weniger Stunden passieren: Wer kann ein Instrument spielen, wer hat turnerisch was drauf, wer ist eher extrovertiert und traut sich vor anderen zu reden, wer kann erst im Schutz der Menge seine Fähigkeiten ausspielen? Diese Erkenntnisse muss das Team quasi im Handumdrehen gewinnen.

Schließlich hängt davon alles Weitere ab. Wie das Orchester aufgebaut wird, welche Instrumente es haben wird, wie viel Akrobatik ins Stück eingebaut werden kann und wie die Rollen verteilt werden. Dinge wie das Malen des Bühnenbildes, Mithilfe beim Fertigstellen der Kostüme laufen dabei quasi nebenher, weil hier die Gemeinschaftsleistung wichtiger ist als die Fähigkeit Einzelner.

Wie das Team das schafft, weiß auch Verena von Kerssenbrock, als Regisseurin Dreh- und Angelpunkt der ganzen Inszenierung, im Einzelnen nicht zu beschreiben. Sicher ist nur, dass hier die Erfahrung aus mittlerweile 15 Jahren Kinder-Kulturwoche hilft und ansonsten jede Menge Flexibilität gefragt ist.

„Das Stück ist erst am Samstag, dem Tag der Generalprobe, wirklich fertig“, erzählt die Regisseurin. Vorher wird eigentlich tagtäglich umgeschrieben, weil es eben immer wieder passiert, dass ein Kind, das am Anfang vor Schüchternheit den Mund kaum aufbringt, ein, zwei Tage später plötzlich zu Hochform aufläuft: „Das darf man nicht verschenken, also wird sein Text einfach entsprechend erweitert.“

Und derartige Verwandlungen machen viele Kinder durch, denn die Gruppendynamik ist wie ein Sog, der alle mitzieht. Die Kinder merken bald, dass hier jeder auf den anderen angewiesen ist, sei es ganz wörtlich im Sinne von Hilfestellung bei Tanz und Akrobatik oder sei es im übertragenen Sinn, weil Theater nur funktioniert, wenn der Text ineinandergreift. Weil alle zusammen helfen müssen, bleibt keine Chance, irgendjemanden auszuschließen. Das führt dazu, dass selbst jene, die im „normalen Leben“ eher zum Mauerblümchendasein tendieren würden, hier weder Zeit noch Gelegenheit dazu haben.

Dazu trägt natürlich auch bei, dass es keine Leistungsvoraussetzungen gibt, man muss nicht toll sein, um hier mitmachen zu dürfen. Es reicht vollauf, mitmachen zu wollen. Das kann man sehr schön am Orchester sehen.

Goldene Regel bei der Kinder-Kulturwoche ist, dass jedes Kind, das ein Instrument mitbringt, mit diesem auch im Orchester spielen darf, seien es auch nur wenige Töne, die daraus hervorzubringen sind: Das kann dann im Zweifelsfall ruhig auch mal etwas schräg klingen, denn Mitmachen steht hier vor Können.

Überhaupt ist es eine der größten Überraschungen, wie perfekt die Aufführungen am Ende sind. Ein Staunen, das selbst die zehnköpfige Theatercrew immer wieder ergreift. Die Profis wissen zwar mittlerweile aus Erfahrung, dass die Generalprobe chaotisch laufen kann – die eigentliche Aufführung wird demgegenüber nahezu perfekt über die Bühne gehen. Und trotzdem ist es auch für sie jedes Mal ein kleines Wunder, wie sehr sich Aufführung und Generalprobe unterscheiden.

„Das war in diesem Jahr nicht anders, obwohl die Bedingungen“, wie Verena von Kerssenbrock erzählt, „ein bisschen schwieriger waren als sonst, weil dieses Mal sehr viele kleine Kinder dabei waren, manche sogar unter dem ,Eintrittsalter‘ von sechs Jahren“.

Das brachte zumindest in der Generalprobe Komplikationen beim Ablauf, vor allem beim Umbau zwischen den Szenen: Der geht nur schnell, wenn jeder im Grunde im Schlaf weiß, wo er hinlangen soll, keiner darf dem anderen im Weg stehen. Wie soll so etwas mit Kindern, die erst seit einer knappen Woche auf der Bühne stehen, funktionieren? Für einen reibungslosen Ablauf bräuchte man Routine, die wiederum brauche Zeit. „Zeit aber benötigten die Kinder schon allein, um ihre Texte zu lernen. Gerade die Kleinen sind am Anfang von der Handlung so fasziniert, dass sie immer wieder vergessen, dass sie ja ein Teil davon sind: Sie stehen da, hören mit großen Augen und offenem Mund ihrem Mitspieler zu, man merkt richtig, wie sie sich, wenn dieser zu sprechen aufhört, fragen: Und? Wie geht’s jetzt weiter? Bis sie durch einen Rempler von Nebenfrau oder Nebenmann merken, dass das Weiter in ihrem eigenen Text enthalten ist“, erzählt Christiane Berker, die eigentlich in Namibia wohnt, doch für eine Regiehospitanz nach Immling kam.

Bei der Aufführung aber benahmen sich auch diesmal wieder alle so, als wären sie ausgebuffte Profis: Kaum ein Aussetzer beim Text, der Umbau zwischen den Szenen reibungslos – kurz: Alles klappte wie am Schnürchen und das Publikum war begeistert.

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