Riedering/Lausanne/Rom – Sigurd Stockklausner war unterwegs nach Rom. Der Senior aus Riedering, der eigentlich aus Fieberbrunn in Tirol stammt und in jungen Jahren gerne Gewichte stemmte und auf die höchsten Alpengipfel kraxelte, hatte sich wieder einmal aufgemacht. Diesmal in die heilige Stadt – entlang der Via Francigena. Dieser Pilgerweg führt von Canterbury in England über Lausanne am Genfer See nach Rom.
„Es war meine dritte Weitwanderung nach Rom. Und sie war wieder wunderbar und wieder ganz anders als die anderen“, erzählt der agile, schmale Mann. Nach Santiago de Compostela war er schon dreimal gepilgert. Und Rom hatte er bereits im Jahr 2012 und 2017 per pedes erreicht. Doch diese neue Route über Apulien reizte ihn besonders. „Ich wollte sie unbedingt machen. Und wann, wenn nicht jetzt“, gibt er schelmisch zu bedenken.
Zum Weitwandern ist er eigentlich aus Zufall gekommen, sagt er. „Irgendwann hörte ich einmal etwas über den Pilgerweg. Das packte mich.“ Zusammen mit seiner Frau war er dann in den Jahren 2002 und 2008 unterwegs. Doch im Jahr 2011 verstarb sie und mit ihr verlor er viel von seinem Lebensmut. Da beschloss er, alleine von Riedering nach Rom zu pilgern. Immer in Gedanken dabei: seine Frau. „Ich habe es für sie gemacht“, erinnert er sich. Und er merkte, dass ihm die Wanderung gut tat.
Im Jahr 2017 machte er sich wieder auf Schusters Rappen. Ziel: nochmal wieder die Heilige Stadt. Und weil es so schön war und 1200 Kilometer Weitwandern schließlich fast ein Pappenstil waren, wollte er es 2018 noch einmal wissen.
Am 5. Juni machte er sich auf den Weg nach Rom. Mit dabei sein Wind- und Wetter erprobter 15-Kilo-Rucksack mit „nur dem Nötigsten“ sowie einer kleinen Umhängetasche für Ausweise, Karten und Geld. Immer fest in der Hand: sein Pilgerstab. Vom Bahnhof Rosenheim ging es mit dem Zug nach Lausanne. Dort kam er gegen 15 Uhr an. Noch am selben Tag brachte er die ersten 15 Kilometer hinter sich. „Diese Strecke ist landschaftlich außerordentlich abwechslungsreich. Zunächst geht es am Genfer See entlang, über Weinberge, Höhen und Täler.“ Seine Erinnerung an diese erste Zeit: heiß! „Auch dort brannte wie hier die Sonne gnadenlos vom Himmel. Täglich hatte ich 34/35 Grad Hitze zu bewältigen.“ Da war Trinken angesagt. „Hunger hatte ich gar nicht so sehr. Frühstücken wie immer, und am Abend Nudeln oder Pizza. Der Salat ist übrigens herrlich“, schwärmt er.
Täglich pilgerte er rund 26 Kilometer weit. Seine Vorgabe: 1190 Kilometer in 46 Etappen. Da war Trödeln verboten.
Nur einmal machte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung: Am San Bernardino Pass, immerhin rund 2500 Meter hoch, war miserables Wetter. „Ich war bis auf die Knochen durchnässt und fror erbärmlich. Es lag so viel Schnee, es gab kein Durchkommen.“ Deshalb machte er einen Umweg und ging entlang der Passstraße.
Dann näherte sich sein Geburtstag am 23. Juni. Eigentlich wollte er nicht groß feiern und einfach seine Tages-Etappe hinter sich bringen. Doch dann die Überraschung: Zwei seiner drei Töchter kamen zu Besuch und trafen ihn eher zufällig in einer Bar entlang der Straße. Und weil es so schön war, spendierte der Wirt den Prosecco zur Familienfeier.
„Na klar. Pilgern in meinem Alter ist schon ein bisschen ungewöhnlich. Und ich gehe alleine. Die meisten, die ich unterwegs in Herbergen oder Hotels getroffen habe, waren ein oder gar zwei Generationen jünger als ich.“ Doch das Alter habe auch seine Vorteile: „Ich brauche keinen Urlaub zu nehmen und die Strecke nicht in Wochenabschnitte zu stückeln.“ Auf der anderen Seite kribbele und zwicke es bisweilen ganz gehörig. „Aber dann redete mir meine verstorbene Frau immer gut zu und erinnerte mich an meinen großen Traum, die Via Francigena von Lausanne nach Rom zu machen. Du schaffst das“, hätte sie ihm gesagt.
Am 22. Juli, wieder gegen 15 Uhr, erreichte Sigurd Stockklausner den Petersplatz. „Es war eine wunderbare Pilgertour. Am schönsten aber war die überaus große Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener unterwegs.“