Obing – „Im Moment ist er verschwunden“, sagt Dagmar von der Goltz. Und das hat auch seinen Grund: „Jakob hasst Regen“, erklärt sie. Da hilft es auch nicht, dass sie immer wieder seinen Namen ruft und mit einer kleinen Dose scheppert. Katzenfutter befindet sich darin. Eigentlich Jakobs Leibgericht. Doch die Obingerin gibt nicht auf. Mit einem Feuerzeug und einer Zigarette versucht sie Jakob anzulocken. Die hat er nämlich ganz besonders gern. Leitragende dieser Leidenschaft sind die Nachbarn. „Denen hat er immer wieder mal Zigaretten und Feuerzeug stibitzt“, erzählt Dagmar von der Goltz.
„Denen hat er immer wieder mal Zigaretten und Feuerzeug stibitzt.“ Dagmar von der Goltz
Und sie muss es wissen. Schon seit Mai dieses Jahres kennt sie die Rabenkrähe. Tochter Oda Bergmeier (41), die als Tierärztin in Rosenheim arbeitet, hat den jungen Vogel mit nach Hause gebracht. Jakob sei von Spaziergängern in Rimsting gefunden worden, erzählt Dagmar von der Goltz, sie vermutet, dass das Tier verletzt war. „Wahrscheinlich angefahren“. Ein kleiner Käfig wurde das neue Zuhause des Krähen-Kükens. „Wir wussten nicht, ob er durchkommt, denn er war wirklich noch recht klein“, erzählt Dagmar von der Goltz. Noch ein wenig nackert sei er dahergekommen, noch hatte das Federkleid nicht seine volle Pracht entwickelt. „Ich nehme an, dass er erst sechs Wochen alt war“.
Seine neue Familie päppelte Jakob wieder auf. Anfangs eine recht zeitaufwendige Geschichte. „Fast stündlich musste gefüttert werden“, erinnert sich Dagmar von der Goltz. Auf seiner Speisekarte stand Katzenfutter. Später war es Hundefutter, ehe Enkel Nicolas für Nachschub sorgte. Im Garten grub er fleißig nach Regenwürmern. Die wurden dann zerteilt und verfüttert. Kein ganz einfaches Unterfangen. Jakob habe sich am Anfang vor den Würmern geekelt, so Dagmar von der Goltz, „am Ende war der Hunger aber doch größer“. Die liebevolle Pflege hat sich ganz offenbar ausgezahlt. Schon nach wenigen Wochen intensiver Betreuung lernte „Jakob Rabi“, so hatten ihn die Nachbarskinder getauft, mit seinen Flügeln umzugehen. Nicht ohne professionelle Anleitung durch seine Pflegefamilie. „Wir haben ihn immer wieder auf eine Stange im Garten gesetzt“. Nach zahlreichen mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen flatterte die Rabenkrähe schließlich durch den Garten.
Die Flugstunden haben sich ausgezahlt. Der Radius von Jakobs Ausflügen wurde immer größer und damit auch die Probleme. Denn: Jakob war an den Menschen gewöhnt und so näherte er sich ihnen ohne große Scheu. „Das war natürlich vielen Obingern nicht geheuer. Jakob bettelte um Futter und das oft sehr nachdrücklich. Das erschreckt so manchen, der nicht erkennt, dass es sich um einen zahmen Vogel handelt“, sagt Katrin Bergmeier von der Goltz, die zweite Tochter von Dagmar. Der Amtstierarzt und das Veterinäramt seien bereits verständigt worden. „Die machen erst einmal nichts, außer es gibt Übergriffe“, sagt die 44-Jährige. Um auf den zahmen Vogel hinzuweisen, hat sie Jakob ein buntes Bändchen um das Bein gebunden. Außerdem einen Zettel in Obinger Ortsteil Pfaffing, das bevorzugte Revier des Vogels, ausgehängt. „Liebe Pfaffinger, euer neuer Nachbar heißt Jakob-Rabi“, steht darauf, verbunden mit der Bitte, das Tier nicht zu verletzen. „Meine größte Sorge ist, dass ihn jemand, wenn er zu nahe kommt, tot schlägt“, befürchtet Katrin Bergmeier von der Goltz.
„Liebe Pfaffinger, euer neuer Nachbar heißt Jakob-Rabi.“
Im Brief an die Nachbarn
Denn Jakobs Ausflüge werden immer abenteuerlicher. Mitunter geht die Reise bis zum Strandbad und auch bei seiner Pflegefamilie lässt sich die Rabenkrähe immer seltener blicken. Das hat aber nicht nur mit dem Erwachsenwerden zu tun. „Jakob hat sich mit einem unserer Pflegehunde nicht vertragen“, sagt Dagmar von der Goltz, dennoch taucht ihr Zögling immer wieder auf. „Meist begleitet er mich auf Spaziergängen und fliegt dann wieder zurück über die Straße nach Pfaffing“. Es ist kein Zufall, dass Jakob die Nähe zu „seiner“ Familie sucht. Tierliebe wird hier großgeschrieben. „Das war von jeher so. Meine Eltern haben mir mitgegeben, Verantwortung für die Tiere zu übernehmen“, sagt Dagmar von der Goltz. Und so gleicht ihr Haus manchmal einer kleinen Tierauffangstation. Hunde, Katzen, Vögel, Meerschweinchen – „irgendwas ist immer da“, bemerkt die Obingerin lachend. Neuester Pflegefall: eine junge Turteltaube. „Sie ist noch ein Nestling, aber wir versuchen unser Bestes, sie durchzubringen“. Denn das gelingt nicht immer. „Bei einem kleinen Spatz hat das leider nicht geklappt“.
Die erfolgreiche Aufzucht von Jakob sei deshalb gleich doppelt schön. Mit etwas Glück kann man sich im Hause von der Goltz noch einige Zeit daran erfreuen. Rabenkrähen werden bis zu 15 Jahre alt. Da wird der ein oder andere Besuch wohl nicht ausbleiben.