Chiemgau/Bad Feilnbach – Kaffeebecher, Tüten, Hundebeutel, Wattestäbchen, Plastiknetze, Strohhalme oder Flaschen in der Landschaft: Den Anblick kennt man. „Es ist manchmal ein Fluch, rauszugehen“, sagt Julia Hager: „Der Müll ist überall.“ Sie kämpft seit Jahren gegen die Vermüllung, mit Sammelaktionen, Vorträgen und Schulprojekten. Die 39-jährige Auerin verfolgt eine Mission: Den Menschen die Augen für den Abfall öffnen. „Ich will die Müllblindkeit bekämpfen“, sagt die Meeresbiologin. Allerdings belehrt sie nicht nur, sondern geht auch mit gutem Beispiel voran. Kein Spaziergang, von dem sie nicht mit zehn bis zwölf Litern Abfall nach Hause kommt.
Vom Jenbach bis
ins schwarze Meer
Ihre jüngste Aktion gegen Plastik fand am „World Oceans Day“ in den heimischen Gewässern am Chiemsee statt: Dort fischte sie von der Fraueninsel aus mit einem speziellen Netz kleinste Teile, sogenanntes Mikroplastik, aus dem Wasser und sammelte mit Passanten Unrat vom Ufer. Ein Bub füllte dabei auf wenigen hundert Metern von der Südspitze der Insel bis zum Fährsteg alleine einen 20-Liter-Beutel mit Müll.
Hierzulande ist das Abfall-Problem zwar nicht so groß wie anderswo. Initiativen wie das „Ramadama“ und die „Aktion saubere Landschaft“ räumen regelmäßig auf. Das findet Hager gut. Ihr liegt besonders daran, dass weniger Müll in den Gewässern landet. „Ein Plastikteil hat theoretisch das Potenzial, über den Jenbach in die Mangfall, den Inn, die Donau und ins schwarze Meer zu gelangen“, zählt sie auf. Insgesamt landen in den Ozeanen jährlich rund acht Millionen Tonnen Kunststoff. In der Masse zerstöre das Plastik dann im großen Stil Lebensraum für Vögel und Meerestiere sowie Natur.
Ein aufrüttelndes Erlebnis, welche Ausmaße die Verschmutzung bereits angenommen hat, hatte die gebürtige Weimarerin 2009 in Oregon. Dort war auf einem 2,3 Kilometer langen Strand jede Menge Abfall angeschwemmt worden. „Er war übersät von Plastikschnipseln“, erinnert sich Hager. „Garniert“ war der Sand zudem mit Kühlschranktüren, Monitoren, dicken Schiffstauen, Fischnetzen und Flipflops. Hager wusste: „Man konnte das gar nicht aufräumen, bis die Flut wieder alles ins Meer zieht. Das war beklemmend.“ Dieses einschneidende Erlebnis ist jetzt fast zehn Jahre her, das Müllproblem aber aktueller denn je. „Der Strand in Oregon war ein Wendepunkt für mich“, betont die Biologin. Sie änderte daraufhin ihre Lebensweise, und versucht seither kaum mehr Müll zu produzieren. Wenn es Erdbeeren nur in der Plastikschale gibt, dann ignoriert Hagerdie Früchte. Statt Shampoo liegen schon lange Seifenstücke in der Dusche. Kaffee kommt niemals in einen Einwegbecher, denn ihr ist klar: „Wegwerfplastik ist bequem, so lange man es verwendet. Danach ist es ein Problem.“
Das sahen vor einigen Jahren viele noch nicht so. Auf der nächsten Konferenz, zu der sie eingeladen war, sprach Hager über Plastikmüll statt wie bisher über das Verhalten von Seelöwen oder Eisalgen in der Antarktis. Kopfschütteln und Desinteresse waren die Reaktionen der Zuhörer. „Es hieß: Was will die? Die Dringlichkeit dieses Themas war dort noch nicht so in den Köpfen“, erinnert sich Hager.
Viel Plastikmüll liegt auf dem Meeresgrund
Gleichgesinnte wiederumfand sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 2011 im Verein „1earth1ocean“. Dessen „Müllabfuhr“-Katamaran namens „Seehamster“ fischt seit 2012 Plastik aus Weihern und Seen. Hager fuhr mit und half bei der Trennung und Analyse des Mülls. Vier Jahre später stach die „große Schwester“ des Schiffs, die „Seekuh“, in See – laut Hager das erste Projekt dieser Art in Europa, das den „Praxistest“ auf den Weltmeeren bestand.
Dass es derzeit viele weitere Ideen, etwa einen „Plastikrechen“ oder „Fangarme“ mit Netzen für den Müll auf der Meeresoberfläche gibt, freut Hager: „Die machen im großen Stil das, was ich im Kleinen mache. Ich glaube auch, dass das effizient ist.“ Allerdings lägen rund 70 Prozent des Plastikmülls auf dem Grund der Ozeane – außer Reichweite der Netze. Darüber hinaus seien die Müllmengen, die solche Geräte aufsammeln, nur Tropfen auf dem heißen Stein. „Wir müssen den Verpackungswahnsinn stoppen“, betont die Meeresbiologin.
Nach diesem Motto geht sie dem Plastik von ihrem Wohnort Au aus an den Kragen. Nicht nur im Landkreis, sondern auch deutschlandweit: mit Vorträgen, Aktionen et cetera. Auch im Ausland wie in den USA hält die Auerin Referate. Aktiv wird sie, wenn sie in der Region mit Schülern den Müll von Flussufern sammelt und die Buben und Mädchen auch Wasserproben nehmen lässt. Unter der Lupe und unter Hagers Mikroskop forschen die Kinder dann nach Schmutz und Plastikteilchen. Für die genauere Analyse richtet sie sich zu Hause derzeit ein Labor ein. Ihr nächstes Projekt steht am „World Cleanup Day“ am 15. September an: Dann wird sie mit Gymnasiasten und Interessierten die Isarauen am Flaucher in Sendling reinigen, Müll wiegen und sortieren.
Regelmäßig leitet sie zudem als Wissenschaftlerin Reisen in die Polregionen, zu den Galapagosinseln oder nach Spitzbergen. Mit ihren Gruppen räumt sie auch dort den Müll von den Stränden. Oft kommen auf rund 400 Metern solche Mengen zusammen, dass sie nicht auf einmal in das Schlauchboot passen. „Einmal haben wir in zwei Stunden so viel Unrat gesammelt, dass zwei Ein-Kubikmeter-Säcke voll waren“, erinnert sich Hager.
Mithelfen, gründlich aufzuräumen, will Hager bald auch wieder in Bad Feilnbach: Im Herbst steht das „Ramadama“ an. „Da bin ich dabei“, sagt sie – wenn sie nicht gerade anderswo auf der Welt Plastik sammelt.