von Redaktion

Eröffnung der Ausstellung im Rahmen der Neubeurer Kulturtage

Spielte eine zentrale Rolle bei der Gründung der Gruppe 47: Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg.

„Es begann unter Apfelbäumen …“

Neubeuern – „Wir haben mit den Kulturtagen mehrere Gründe zu feiern“, erklärte der Kurator der Ausstellung, Reinhard Käsinger, gleich zu Beginn seines Vortrags. „Zum einen das Treffen vor 70 Jahren im September der Gruppe 47 in Altenbeuern, die Erinnerung an das Findungstreffen im Juli 1947 in Altenbeuern bei Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg in Hinterhör und die Stiftungsgründung des Landerziehungsheims Schloss Neubeuern nach dem Krieg 1948.“

Abschließend berichtete er, dass beim Verkauf des Hauses in Hinterhör in der Garage unter einem Sofa ein Tonband mit der Originalstimme von Marie-Therese, der Tochter der Gräfin, gefunden wurde. Die Zuhörer kamen in den Genuss einer Stimmprobe. Zudem verwies Käsinger darauf, dass dieses kostbare Tondokument von den Ausstellungsbesuchern in voller Länge gehört werden könne.

Der Kulturreferent des Landkreises Rosenheim, Christoph Maier-Gering, der während seiner sechs ersten Lebensjahre in Neubeuern aufgewachsen ist, freute sich besonders über die kostbare Erinnerungskultur. Intellektuelle Traditionen würden fortgeführt werden, wie bei den neu geschaffenen Neubeurer Kulturtagen.

Bürgermeister Hans Nowak erinnerte daran, dass man auf dem Weg nach Hinterhör, wo alles seinen Anfang nahm, einen wunderbaren Ausblick genießen kann. Vielleicht war auch das eine besondere Quelle der Inspiration.

Alfons Maria Arns, Mitkurator der Schwangauer Wanderausstellung „Ich bin als Rebell geboren“, die in Neubeuern neben der Ausstellung „Es begann unter Apfelbäumen“ zu sehen ist, verlas das Grußwort des Bürgermeisters von Schwangau, der verhindert war. Die Wanderausstellung erinnert an Ilse Schneider-Lengyel (1903 bis 1972), Fotografin, Kunsthistorikerin, Ethnologin, surrealistische Lyrikerin, Essayistin und Literaturkritikerin. In ihrem Haus am Bannwaldsee in Schwangau fand das Gründungstreffen der Gruppe 47 statt.

Sie führte ein für die damalige Zeit und die Normen der konservativen ländlichen Umgebung recht ungewöhnliches Leben. Sie trug lange Hosen und auffälligen Schmuck, hatte rot lackierte Fingernägel. Manchmal sah man sie sogar mit offenem schwarzen Haar Motorrad fahren. Die Einheimischen nannten die progressive Frau daher nur „die Hex‘ vom Bannwaldsee“. Mit der Ausstellung soll Leben und Werk dieser bemerkenswerten Frau gewürdigt werden, denn auch bei der Gruppe 47 traten Frauen anfangs nur als Randfiguren in Erscheinung.

„Ich soll Ihnen über meine Großtante Ottonie berichten“, mit diesen Worten leitete Rose-Marie Gräfin von Degenfeld-Schonburg ihren Vortrag ein. Geboren im Jahr 1882 wuchs sie als Ottonie von Schwartz in einer Familie mit zehn Kindern in einem kulturell offenen Haus auf. Im Alter von 20 Jahren wurde sie auf das Schloss Neubeuern eingeladen zu Jan Wendelstadt und seiner Frau Julie, geborene von Degenfeld. Sie lernte Christoph Martin von Degenfeld-Schonburg kennen und heiratete 1906. 1908 wurde ihre Tochter Marie-Therese geboren, zwei Monate später starb ihr Mann an Krebs. Daraufhin erkrankte sie schwer, konnte nicht mehr gehen und zitterte am ganzen Körper. So holte sie ihre Schwägerin, Julie von Wendelstadt, nach Neubeuern und Julie kümmerte sich um Marie-Therese, genannt Baby. „Sie war für mich immer die Tante Baby – selbst mit 95 Jahren“, so Rose-Marie Gräfin von Degenfeld-Schonburg.

Als Hugo von Hofmannsthal in dieser Zeit zu Besuch auf das Schloss kam, wollte er ihr helfen, schickte Pakete mit Büchern und besprach sie mit ihr ausführlich. Daraus entstand ein offener, herzlicher Briefwechsel, der für Literaten sehr viel über die Werke Hofmannsthal aussagt.

Nach dem Tod von Jan Wendelstadt im Jahr 1909 führten die beiden Witwen im Schloss von Neubeuern das offene Haus weiter. So entstanden von 1910 bis 1914 die Neubeurer Wochen, die von Silvester bis in den Januar hinein dauerten. Alles was in der Literatur Rang und Namen hatte, war dort zu Besuch – außer Rainer Maria Rilke.

Im Ersten Weltkrieg wurde das Schloss Lazarett und Ottonie und Julie Krankenschwestern.

Die 20er-Jahre wurden für die beiden Frauen eine finanziell schwierige Zeit. Deshalb wurde, auch auf Anregung von Hofmannsthal, das Schloss zum Landschulheim umstrukturiert. In der gleichen Zeit hat Ottonie im Gut Hinterhör, das sie von Jan Wendelstadt geerbt hatte, eine Höhere Töchterschule geführt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Hinterhör 70 Flüchtlinge untergebracht, für die sie von den Bauern Lebensmittel besorgte.

Ottonie war früh geprägt von Hilfsbereitschaft und so war es ihr auch bei dem Findungstreffen in Hinterhör sehr wichtig, dass sich alle wohlgefühlt haben. Das brachte sie auch in ihren Briefen zum Ausdruck. „Wenn nun unser kleiner, vom Weltgeschehen so behüteter Winkel euch Jungen einige Tage Sorglosigkeit geben konnte, dann hat es sich gelohnt“.

„In Hinterhör bei der Gräfin Ottonie wurde Literaturgeschichte geschrieben“, sagte Prof. Dr. Klaus Goebel und referierte über den Dichter Rudolf Alexander Schröder, der mit Goethe in eine Reihe gestellt wurde. Rudolf Alexander Schröder war ein alter Freund der Gräfin und war bei dem Treffen dabei. „Man habe sich in einer anderen Welt gefühlt“; so empfand er die Zusammenkunft in Hinterhör.

Er lebte von Ende 1935 bis zu seinem Tod 1962 in Bergen, und war mit Hugo von Hofmannsthal befreundet. 1942 wurde er in Rosenheim als Laienprediger berufen. Er leistete einen bedeutenden Beitrag zur Erneuerung des evangelischen Kirchenliedes im 20. Jahrhundert.

Alfons Maria Arns hielt einen Vortrag über Altenbeuern und die Erfindung der Gruppe 47. In der Geschichtsschreibung war deren Gründungsphase lediglich mit dem berühmten Treffen am Bannwaldsee verknüpft, während die Vorgeschichte bis heute nur wenig bekannt ist und mit den Orten Altenbeuern und Hinterhör eng verbunden ist. Beim ersten Treffen waren acht Autoren der späteren Gruppe 47 bereits dabei.

„Hinterhör und der Bannwaldsee sind Orte der Zeugung und Wiedergeburt der deutschen Literatur“, bemerkte Arns in seinem Schlusswort.

Für den musikalischen Rahmen der Veranstaltung sorgte das Ensemble Mosaique mit Alice Guinet (Querflöte), Barbara Pöschl-Edrich (Harfe) und Anna Kakutia (Geige).

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