Lernen, was zum gesunden Leben gehört

von Redaktion

„Big friends“ lautet ein Angebot für übergewichtige Kinder in der Region. Für die elfjährige Lilly (Name geändert) ist diese Bezeichnung im zurückliegenden Jahr Programm geworden: Nicht nur, dass sie eine Menge über gesunde Ernährung gelernt hat – sie hat auch neue Freundinnen gewonnen.

Bad Aibling – Auf das Projekt des „Lufti-Teams“ Rosenheim (siehe Kasten) aufmerksam geworden war Lillys Mutter auf der Suche nach einem Abnehmkurs durch einen Zeitungsbericht. „Meine Tochter bewegt sich zwar viel, aber optisch hat man das Zuviel an Gewicht doch schon bemerkt.“

Nach dem Besuch des Informationsabends stand für sie und ihre Tochter fest: „Da machen wir mit.“ Zwar sind es natürlich die Kinder, die sich für die Dauer eines Jahres wöchentlich beim „Lufti-Team“ treffen. Doch ohne zumindest ein Elternteil, das dahintersteht, geht gar nichts, weiß auch Ernährungsexpertin Bettina Kuba aus Erfahrung.

Die vier Säulen des „Big Friends“-Programms sind Medizin (Dr. Thomas Nowotny), Sport (Gaby Mayer, die auch die Organisation übernimmt), Ernährung (Bettina Kuba) und Pädagogik (Verena Siedow). Die Experten schulen und begleiten Kinder und Jugendliche, „die es dick haben, zu dick zu sein“. Mit Mannschaftssport, Ausdauertraining und Beweglichkeitsspielen kommt die Bewegung nicht zu kurz. Darüber hinaus gibt es Tipps zur Freizeitgestaltung, die Möglichkeit zu Gesprächen über Probleme und überhaupt Hilfe zur Selbsthilfe. Wichtig ist dabei die Gemeinschaft. Hier hat es Lilly von Anfang an gut getroffen: „Ein Mädchen saß beim Infoabend neben mir und wir sind gleich Freundinnen geworden.“ Bei einem Kennenlernspiel kamen sich auch die zehn weiteren Kursteilnehmer gleich etwas näher.

Gespräche, Spiele, Psychosoziales

Einige Wochen später folgte dann der Start. „Montags machen wir nach der Schule immer erst Sport. Danach gehen wir rüber ins Jugendzentrum Mosaik. Da stehen dann Ernährung, Gespräche, Spiele und Psychosoziales auf dem Programm.“ Was lernt man denn beim „Psychosozialen“? „Na, wie man zum Beispiel reagiert, wenn man blöd angeredet wird. Dass man das nicht ernst nehmen und einfach weggehen sollte“, weiß Lilly. Passiert ist ihr so etwas aber ohnehin noch nicht.

Geholfen hat ihr dieser Programmpunkt aber schon beim Nein-Sagen an anderer Stelle – nämlich wenn es um das Zugreifen bei Süßigkeiten geht. Grade weil die Oma es oft vergisst, dass die Enkelin im „Big-Friends“-Programm ist. Aber Lilly ist konsequent, was hier den Rat von Bettina Kuba angeht. Die Ernährungswissenschaftlerin sagt: „Das geht natürlich leichter, wenn die Eltern mithelfen. Oder aber – und das wäre der Königsweg – man nimmt den Schenkenden mit ins Boot und bittet etwa die Oma, lieber etwas anderes zu schenken.“

Das hat auch Lillys Mutter schon verinnerlicht: „Wenn meine Tochter nach weiteren Süßigkeiten fragt, reicht es, wenn ich sage, dass sie schon ein Stück hatte.“ Zu trinken gibt es zu Hause eigentlich nur noch Wasser und Tee – aber nicht mehr den süßen Instant-Tee wie früher, sondern die gesunde Alternative.

„Beim Einkaufstraining haben wir gelernt, dass wir immer auch auf die Inhaltsangaben der Produkte schauen sollen. So erkennt man gleich, wie viel Zucker darin enthalten ist“, sagt Lilly. Hilfreich sowohl beim Einkaufen als auch beim Essenzubereiten ist für die Schülerin die Ernährungspyramide, die Obst und Gemüse in sehr viel größeren Mengen beinhaltet als tierische Produkte wie Milch, Käse, Fleisch et cetera. Für die Kinder erfreulich: „Eine Portion Süßigkeiten ist auch erlaubt.“

Aber auf Nutella zum Beispiel war Lilly ohnehin nie scharf. Dafür isst sie mittlerweile sehr gerne und vermehrt Obst. „Unser Himbeer-Konsum ist ganz schön angestiegen“, schmunzelt die Mutter. Hoch im Kurs stehen auch Smoothies. Gesüßt werden sie bei Lilly zu Hause mit Banane.

Das herkömmliche Toastbrot ist dagegen vom Speiseplan verschwunden. Denn bei einer Verkostung mit verbundenen Augen haben die Mädchen und Buben herausgefunden, dass es auch sehr gut schmeckende Vollkornbrot-Varianten gibt. „Das erstaunt die Teilnehmer oft, weil es auch auf diesem Sektor sehr fein vermahlenes Korn und saftiges Brot gibt.“

Nicht ganz so einfach ist es mit der Verköstigung an langen Schultagen. Zur Pause nimmt sich Lilly ein Schinken-Käse-Brot, einen Apfel oder Gemüse mit. Aber mittags begnügt sie sich dann doch oft mit einer Breze oder einer belegten Semmel vom Pausenverkauf, denn die Alternativen in der Mensa des Schulzentrums sind für sie nicht so prickelnd: „Pommes, Currywurst oder Hamburger mag ich da nicht essen und Gerichte wie Gemüsereis oder etwas anderes Leichtes gibt es nicht so oft.“

Großen Spaß haben die „Big Friends“ dagegen beim gemeinsamen Kochen. „Die Putenspieße und das Kartoffelgemüse aus dem Backofen haben mir sehr gut geschmeckt“, berichtet Lilly. Aber auch gesunde Brotaufstriche, Gemüse-Sticks, Dipps und Plätzchen haben sie ausprobiert. „Beim Kochen und Backen lernen die Kinder zum Beispiel die fettärmeren Varianten kennen, schulen aber auch ihren Geschmackssinn, spüren den Aromen nach und genießen bewusst“, sagt Bettina Kuba.

Zuckerkonsum reduzieren

Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass „Big Friends“ bei jedem Kind anders funktioniert. Ein Erfolg ist es beispielsweise schon, wenn die jungen Teilnehmer während des Wachstums ihr Gewicht halten können. Wenn sie den Zuckerkonsum reduzieren, langsam essen und Spaß an Bewegung haben, sei schon viel erreicht.

„Dazu haben die Teilnehmer ein Jahr lang Zeit. Dabei lernen sie viel über Ernährung und Lebensmittel.“ Ziel sei es, dass die Kinder und möglichst auch die Eltern gar nicht so sehr merken, dass sie nun etwas ganz anders machen. „Das muss sich langfristig entwickeln, dann ist es auch keine Last oder Opfer.“

Auch Lillys Mutter ist froh: „Der Mama glauben die Kinder so etwas oft nicht richtig, aber jetzt, durch die Teilnahme an dem Programm, will Lilly es selber umsetzen.“

Das geht auch so weit, dass sie nicht müde wird bei den Versuchen, ihren Vater und ihren Bruder zu Hause zu einer gesünderen Ernährung zu animieren. „Aber das ist gar nicht so einfach. Mit Vollkornnudeln zum Beispiel kann man sie gar nicht überzeugen“, seufzt die Elfjährige.

Sie selbst geht ihren Weg aber unbeirrt weiter, macht montags Sport mit „Big Friends“, geht dazu einmal die Woche zum Turnen und bald erfüllt sich ein weiterer Wunsch: „Ich fange an zu reiten.“

Im Februar endet das Kursjahr für Lilly. Danach wird es noch diverse Treffen mit den Freunden aus der Gruppe und den Betreuern geben (siehe Kasten). Weiterempfehlen würden sie und ihre Mutter den Kurs in jedem Fall: „Es hat nicht nur Spaß gemacht, sondern auch wirklich etwas gebracht.“

Der Verein „Lufti-Team“ Rosenheim

Seine Philosophie fasst der Verein „Lufti-Team“ Rosenheim so zusammen: „Wir finden, dass jeder das Recht hat über seinen Körper genau Bescheid zu wissen. Ob Asthma, Anaphylaxie, Neurodermitis oder starkes Übergewicht beziehungsweise Adipositas: Wir glauben an Hilfe zur Selbsthilfe. Wir machen Sie und Ihr Kind zu Experten. Dazu arbeiten wir immer in einem interdisziplinären Team, um nicht nur Wissen, sondern auch Handlungskompetenzen zu vermitteln und den Austausch zwischen Betroffenen zu fördern.“

Der Kurs

Der nächste „Big Friends“-Kurs startet am 18. März und dauert ein Jahr. Im Anschluss folgt eine zweijährige Nachbetreuungsphase mit Treffen in größeren Zeitabständen. Am Montag, 28. Januar, findet von 18 bis 19 Uhr ein Informationstreffen statt, zu dem man sich bei Gaby Mayer, Telefon 08061/37836 oder E-Mail gaby.mayer@lufti-team.de, anmelden kann. Kurstag ist immer montags von 15.45 bis 19 Uhr (nicht in den Ferien) im Schulzentrum und im Jugendtreff Mosaik. Geschult wird in kleinen Gruppen von acht bis zwölf Kindern oder Jugendlichen im Alter von zehn bis 14 oder zwölf bis 16 Jahren. Die Kosten werden zu einem großen Teil von den Krankenkassen übernommen.

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