„Leben ohne Europa nicht vorstellbar“

von Redaktion

Interview Monika Hermann initiiert den EU-Bürgerdialog in Kolbermoor

Kolbermoor – Erstmals findet im Landkreis das Bürgerforum zum Thema „Unsere Zukunft in Europa“ statt. Monika Hermann, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, hat 2017 die Bürgerinitiative „Pulse of Europe“ in Rosenheim gegründet, mittlerweile ist die Initiative der Träger des Pro-Europa- Netzwerkes in der Region.

Frau Hermann, was ist Ihr Antrieb?

Europa ist meine Heimat. Ein Leben ohne die EU möchte ich mir nicht vorstellen. Die Weichen für die Zukunft unseres Kontinentes werden jetzt gestellt. Überall sehen wir Warnsignale gesellschaftlicher Konflikte. Tiefgreifende Reformen sind notwendig. Die Nationalstaaten allein sind zu klein, um den globalen Herausforderungen gewachsen zu sein und die Zeit drängt. Noch haben wir ein historisches Zeitfenster zur Verfügung und noch sind die liberalen Demokratien gerade intakt genug, um die EU zukunftsfähig zu machen. Wenn wir nicht zu bloßen Einflusssphären der Großmächte werden wollen, brauchen wir eine entschei-dungsfähige EU, die nach außen mit einer Stimme spricht und gesamteuropäische Handlungsstrategien entwickelt.

Worin sehen Sie die großen Probleme?

Solange sich in zentralen Fragen von gesamteuropäischer Bedeutung nationale Politiker aller 28 Mitgliedsstaaten einigen müssen und das teilweise auch noch einstimmig, wird es der EU nur schwer gelingen, die Erwartungen ihrer Bürger zu erfüllen. Global agierende Unternehmen zahlen oft kaum Steuern in der EU, weil sich die Mitgliedsstaaten in der Steuerpolitik gegeneinander ausspielen. Steuern, die in den Haushalten fehlen, um in eine nachhaltige Wirtschaft, Infrastruktur und Sozialsysteme zu investieren.

Bürger können Sorgen und Nöte, aber auch Hoffnungen vorbringen. Wo drückt der Schuh Ihrer Erfahrung nach am meisten?

„Ich kann ja eh nichts machen“ ist ein Satz, den ich schon oft gehört habe. In politisch turbulenten Zeiten bedroht so etwas die Demokratie. Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit gefährden unsere Zukunft. Falsche politische Weichenstellungen haben Auswirkungen auf jeden von uns. Europa hat alles, was man für eine gute Zukunft braucht. Mit dem Europäischen Bürgerforum wollen wir Menschen miteinander ins Gespräch bringen.

Warum ist Europa so wichtig für die Region?

Unsere Region liegt im Herzen Europas, sie lebt von und mit Europa. Wir sind eine wirtschaftsstarke Grenzregion, für die offene Grenzen in Europa in der Tat lebenswichtig sind. Die Europäische Union setzt den Rahmen, der unserer Region die Entfaltungsmöglichkeiten bietet, die die Grundlage unseres gesamten Wohlstandes sind. Die wiedereingeführten deutschen Grenzkontrollen geben nur eine leise Vorahnung, was ein Ende des Schengener Abkommens für den gesamten Landkreis Rosenheim bedeuten würde.

Denken Sie an ein konkretes Beispiel?

Allein der Spedition Dettendorfer kosteten die Grenzkontrollen 2016 rund 40000 Euro pro Monat. Ob Klimawandel oder äußere Sicherheit – viele Fragen können nur noch auf europäischer Ebene sinnvoll gelöst werden. Der in den Regionen oft wahrgenommene Selbstbestimmungsverlust resultiert nicht aus der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union, sondern aus den globalen Entwicklungen.

Was hat der Landkreis konkret von Europa?

Neben Subventionen, die die EU für unsere Landwirte leistet, fördert sie auch zahlreiche Einzelprojekte im Landkreis, vom „Kältenetz Lokschuppen“ bis zu „Streuobst wertschätzen und erhalten“. Die EU hat im Vergleich zu den Mitgliedsstaaten nur einen sehr kleinen Haushalt. 2017 hat jeder Bundesbürger eine Nettozahlung von 129 Euro in den EU-Haushalt geleistet, aus diesem Haushalt werden nur etwa sechs Prozent für Personal, Verwaltung und Gebäude ausgegeben. Das meiste Geld aus dem EU-Haushalt fließt zurück in die Regionen.

Welche Konsequenzen hätte ein Rechtsruck für den Landkreis?

Die Wahl ist entscheidend für die Zukunft. Die Handlungsfähigkeit des Parlamentes ist bedroht. Wichtige Entscheidungen müssen dort mit einer Zweidrittelmehrheit gefasst werden. Gelingt es den Gegnern der EU, ein Drittel der Sitze zu erringen, so ist das Parlament gelähmt. Die Wahlbeteiligung wird entscheidend sein für den Ausgang. Wer nicht zur Wahl geht, lässt eine Minderheit über die Zukunft entscheiden.

Interview: Ines Weinzierl

Jugend zeigt wenig Engagement

Die 22-jährige Elisabeth Pangerl aus Rosenheim brachte es auf den Punkt: „Es gibt in meinem Bekanntenkreis niemanden, der Europa ablehnt, im Gegenteil. Das Problem ist, dass die meisten es bei dieser positiven Grundhaltung belassen. Sich engagieren wollen nur wenige.“ Zwar wollte sie damit primär die Haltung ihrer Generation beschreiben, doch gilt diese offenbar für alle: Zum Bürgerforum im Rathaus „Unsere Zukunft in Europa“, das erstmalig im Landkreis stattfand, waren rund zehn Teilnehmer gekommen.