Wasserburg-Reitmehring – Die „Rattenplage“ in Reitmehring ist noch immer Tagesgespräch. Der Tierfreund, der sich um die Ratten kümmerte, und seine Nachbarn ringen um die Schuldfrage. Die Nager, die keine Scheu vor Menschen zeigten, leben nun bei Brandenburg auf einem einsamen Hof. Aufgenommen hat sie eine Frau, die sich auf einen Facebook-Aufruf hin bei den Reitmehringern gemeldet hatte.
Rund 1200 Euro hat der tierfreundliche Student (34) eigenen Angaben zufolge für die Rettung der Nager bisher ausgegeben und die Tiere selbst in ihr 600 Kilometer entferntes neues Zuhause gebracht. „Wir leben buddhistisch und wollten nicht, dass in unserem Haus ein Lebewesen sterben muss“, sagen der Mann und seine Partnerin. Sie von einem Kammerjäger töten zu lassen, kam nicht in Frage.
80 Wanderratten
im Keller
Rund 80 Wanderratten hatten sie vorübergehend im Keller ihres Mietshauses beherbergt, bis das Landratsamt Rosenheim einschritt (wir berichteten). Nach einer Begehung war ein Amtsbescheid erlassen worden; man räumte dem Tierfreund vier Wochen Zeit ein, die Nager loszuwerden.
„Da durch Wildratten grundsätzlich Krankheitserreger auf den Menschen übertragen werden können, ist eine Gesundheitsgefahr der Bevölkerung nicht auszuschließen“, hatte Michael Fischer von der Pressestelle des Landratsamtes mitgeteilt.
Warum hatte das Paar den Nagern Unterschlupf gewährt? „Das mache ich seit 2016 jedes Jahr von April bis etwa Juli“, sagte der 34-Jährige. Auf diese Weise hoffe er, die Konfliktsituation zwischen den Tieren und den Nachbarn zu entschärfen, die entstanden ist, weil die Ratten ansonsten gerne in den Gärten unterwegs sind.
Er beherbergte die Ratten, die hier „schon immer vorkommen“, vorübergehend und entließ sie später zehn Kilometer entfernt an einem Waldrand in die Freiheit.
Durch die Nähe zu Obstbäumen, Erdbeerfeld und anderen landwirtschaftlichen Flächen seien hier regelmäßig an die 40 Tiere unterwegs gewesen. Heuer waren es doppelt so viele. „Sie fressen, was sie vorfinden. Auch Rasen- oder Birkensamen oder etwa Sprossen.“
Ein Grund für die Menge an Tieren, die heuer unterwegs waren, so glaubt der Mann, seien die Starkregenereignisse, die sie aus der Kanalisation gescheucht hätten, und die wilden Müllablagerungen an der Wertstoffinsel an der Schmiedwiese. Und, davon ist er überzeugt, die Lockstoff-Fallen, die manche Nachbarn aufgestellt hätten.
Die Anlieger wiederum sehen in ihm den Schuldigen an der „Reitmehringer Rattenplage“, wie die Angelegenheit von einer Frau bezeichnet wird. Auch hätten die Tiere Schäden in den benachbarten Gärten verursacht, etwa Terrassenplatten oder gar einen Wintergarten unterhöhlt. Die Ratten sind nicht scheu, was eine Anwohnerin als sehr unangenehm beschreibt. „Wir haben seit Jahren Igel im Garten, die regelmäßig vorbeikommen, weil sie gefüttert werden. Nun traut man sich nicht mehr, diese Nutztiere zu füttern, weil dies die Ratten wohl noch mehr anlockt“, sagt eine Nachbarin ratlos. Andere machen das Aufkommen der Ratten an den beiden Tierfreunden fest und sagen, „früher gabes nie Rattenprobleme“ in der Siedlung. Dass nun inReitmehring „diverse Falschaussagen herumgeistern“, stört die Tierfreunde. „Wir züchten nicht, die Tiere waren weder zahm, noch waren wir die Halter. Die Haltung ist nach dem Wildtierschutzgesetz verboten“, sagt der Student.
Als Halter könnte man das Paar womöglich für die Schäden in den Gärten verantwortlich machen. Erste Schadensersatzforderungen seien schon bei ihnen eingetrudelt. Die beiden haben einen Anwalt eingeschaltet.
„Sie haben die Tiere nicht gezüchtet und nicht gehalten“, bestätigt Heinz-Jürgen Pohl, staatlich geprüfter Schädlingsbekämpfer und Naturschutzwächter.
Lebendfallen
im Keller
Er wurde von den Tierfreunden engagiert, als ihnen der Amtsbescheid ins Haus flatterte. Pohl sagt ganz klar, in Reitmehring gebe es schon lange und immer wieder Wanderratten und er sei regelmäßig dort in Sachen Rattenbekämpfung unterwegs, zum Beispiel an der Wertstoffinsel. „Die Tiere waren vorher da, auch ohne diese beiden Tierfreunde“, sagte Pohl. Sie hätten sie ja nicht aus Rosenheim oder sonst wo hergelockt. Sie aber auf eine Stelle zu konzentrieren, sei nicht optimal gewesen. Gerade wegen der Nähe zu den anderen Häusern.
Dennoch: In der Gegend fänden die Tiere viele „Spielplätze“ vor: große Holzlager, landwirtschaftliche und fruchttragende Felder, einen Bach. Auch Geruchsstoffe, die die Industriebetriebe abgeben, taugen den Tieren. Theoretisch können sie aus dem Kanal kommen, das sei nicht auszuschließen. Wegen der erhöhten Lage Reitmehrings sei die Starkregen-Theorie jedoch unwahrscheinlich.
Zum Thema „zahm“ sagt der Tierschutzexperte, Ratten seien grundsätzlich nicht menschenscheu. „Solange sie keine negativen Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, meiden sie die Menschen nicht.“ Ratten gehen in Häuser und in Wohnungen, das sei nicht ungewöhnlich.
Wenn weitere Tiere in den Keller wollen, landen sie in den Lebendfallen und werden dann nach Brandenburg gebracht. Das Landratsamt wird überwachen, dass keine Ratten mehr in dem Keller beheimatet werden. Und einen neuen Bescheid erlassen, was künftig zu passieren hat, wenn immer wieder Ratten den Weg in das Untergeschoss suchen.
Laut Angaben des Rattenfreundes seien „ums Haus noch etwa zehn unterwegs“.