Verkehr belastet Bergsteigerdörfer

von Redaktion

Mobilität zentrales Thema bei Jahrestagung – „ÖPNVin Bayern in der Steinzeit“

Berchtesgaden/Ramsau – „Die Bergsteigerdörfer sind Vorzeigeorte. Sie sollen aber auch in Zukunft lebenswert sein“, brachte Rudi Erlacher, Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins (DAV), bei der 12. Jahrestagung der Bergsteigerdörfer auf den Punkt. Im Haus der Berge in Berchtesgaden trafen sich zur Eröffnungsveranstaltung mit dem bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber (FW) an die 100 Besucher. Über 50 Tagungsteilnehmer befassten sich in Theorie und Praxis mit dem Thema „Die Zukunft der Bergsteigerdörfer“.

Forderung: ÖPNV soll ausgebaut werden

Intensiv diskutiert wurde über die Verkehrsbelastung in den Bergregionen. Man brauche bei öffentlichen Verkehrsmitteln neue Strukturen, auch länder- und landkreisübergreifend, sagte etwa Sachrangs Bürgermeister Peter Solnar: Der ÖPNV befinde sich in Bayern „in der Steinzeit“. Während Tirol für seine Bürger eine ÖPNV-Jahreskarte für 400 Euro anbiete, koste die Hin- und Rückfahrt zwischen Sachrang und dem Bahnhof in Aschau für Pendler pro Jahr 2000 Euro. Solnar kritisierte die Diskussion auch als zu einseitig um den Tourismus kreisend. „Es geht um das gesamte Leben eines Dorfes.“ Wenn dieses funktioniere, komme der richtige Gast von selbst.

Auch Rudi Fendt von der Bergwacht Ramsau plädierte angesichts des Parkchaos am Hintersee und Staus auf den Zugangswegen für Unterstützung der Gemeinden beim ÖPNV. „Damit wären bei vielen Bergsteigerdörfern eine Menge Aufgaben gelöst.“ Ein ehemaliger Bürgermeister aus dem Mostviertel bezweifelte hingegen die Akzeptanz besserer ÖPNV-Angebote: „Unsere Generation ist es offenbar nicht gewohnt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.“

„Die Herausforderungen sind enorm“, sagte der Umweltminister mit Blick auf die künftige Entwicklung des Alpenraums, der 20 Prozent des Flächenlandes Bayern ausmache. „Rund 80 Prozent aller Arten in Bayern leben dort. Ich will hier auch Partner für die Zukunft sein“, so Glauber. Angesichts des offensichtlichen Gletscherschwunds und des Klimawandels dürfe man nicht zögern oder zaudern.

„Enormer Stellenwert bei der Jugend“

Glauber warnte auch davor, sich zu sehr von „Werbung von außen“, wie man sich entwickeln könnte, bestimmen zu lassen. Man bekomme sonst „seelenlose“, einheitliche Orte ohne den regionalen, individuellen Charme. Bei der Jugend habe der Alpenraum wieder einen „enormen Stellenwert“. Es gelte, mit einfachen Maßnahmen der Besucherlenkung und dem Aufzeigen von Regeln den Erlebnisdrang der Jugend einerseits und den Naturschutz andererseits unter einen Hut zu bringen.

Auf die Frage von Moderator Georg Bayerle vom Bayerischen Rundfunk „Wie groß ist der Geldbeutel für den Wunschzettel?“ gab sich der Minister mit Förderzusagen bedeckt. „Wir werden schauen, was die Bergsteigerdörfer uns zurückspiegeln, und dann adaptieren“, erklärte er.

Als „Musterprojekt des Alpentourismus“ bezeichnete Ministerialdirigentin Marion Appold vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie die Bergsteigerdörfer. In Bayern warte man derzeit auf weitere Bewerbungen für diesen Titel. Als Unterstützung gebe es bis zu 30000 Euro pro Dorf für das Marketing sowie Töpfe für Infrastruktur, Gewerbe oder Gaststättenmodernisierung. Das Ministerium habe Mittel freigemacht für eine Wanderausstellung über die Erfolge der vier Bergsteigerdörfer, die andere Dörfer ermutigen sollen.

„Nachhaltigkeit ist die einzige Art und Weise, wie man vorwärtsgehen kann“, sagte die Slowenin Alenka Smerkolj, Generalsekretärin der Alpenkonvention (siehe Infokasten), in ihrer Rede. Sie gratulierte zu dem Netzwerk Bergsteigerdörfer, das immer internationaler werde. Für nächstes Jahr hat sie drei Konferenzen zum Nachhaltigkeitstourismus geplant zu den Themen Gesundheits-, Outdoor- und Kulturtourismus, eine in Deutschland, eine in Österreich und eine in Italien. Sie lud die Bergsteigerdörfer ein, hier ihre Erfahrungen einzubringen.

Im Impulsreferat von Berg-Philosoph Jens Badura (siehe Kasten) sowie in einer Podiumsdiskussion wurden gute Erfahrungen und Problembereiche angesprochen. Die Wichtigkeit der Ausdauer und gegenseitigen Unterstützung hob Ramsaus Bürgermeister Herbert Gschoßmann hervor. Ramsau wurde nach Ansicht von Beppo Maltan, DAV-Sektionsvorsitzender in Berchtesgaden, deshalb 2015 das erste deutsche Bergsteigerdorf, weil die Bevölkerung dahinter stand und regionale Produkte einbezogen wurden. „Wir wollen vorleben, wie man ohne Bahnen und Technik in die Berge kommen kann“, betonte er. Angesichts von beispielsweise überlaufenen Hütten gelte es mittlerweile, den Drang der Menschen in die Berge „zu lenken, zu steuern und zu limitieren“.

Stichwort „Bergsteigerdorf“

Die Initiative Bergsteigerdörfer, die 2007 vom österreichischen Alpenverein ÖAV gegründet wurde, tritt für die Umsetzung der Protokolle der Alpenkonvention ein. Diese ist ein völkerrechtlicher Vertrag, abgeschlossen zwischen den acht Alpenstaaten und der Europäischen Union, zur nachhaltigen Entwicklung und zum Schutz der Alpen.

Inzwischen sind auch die alpinen Verbände in Deutschland (DAV), Slowenien und Südtirol/Italien mit im Boot. Die Bergsteigerdörfer verstehen sich als „vorbildhafte regionale Entwicklungskerne im nachhaltigen Alpintourismus mit einer entsprechenden Tradition“.

Mittlerweile gibt es 20 solcher Dörfer in Österreich, das nächstgelegene ist Weißbach bei Lofer. Vier befinden sich in Bayern, nämlich Ramsau bei Berchtesgaden, Schleching, Sachrang und Kreuth. Zwei Orte sind in Slowenien gelistet, Jezersko und Luce, sowie drei in Italien: Lungiarü, Matsch in Südtirol und das Val die Zoldo im Veneto.

Philosoph fordert „Mut zur Mäßigung“

„Den Alpentourismus“ habe es nie gegeben, man solle immer im Plural von mehreren Tourismusarten sprechen, erklärte Jens Badura, Philosoph und Leiter des „berg_kulturbüros“ im Bergsteigerdorf Ramsau. In seinem Eröffnungsvortrag zur Jahrestagung der Bergsteigerdörfer beleuchtete er aktuelle Trends und Herausforderungen. Der Alpenraum werde zunehmend „spektakularisiert“, zum Beispiel durch Klettersteige „technisch aufgerüstet“ oder durch besondere Architektur oder Kunstwerke „künstlerisch dekoriert“. Bedenklich sei auch, dass der Bergsport mit einer „hoch unter Druck stehenden Ausrüster-Industrie“ gekoppelt sei. Auch dadurch werde das Bergerlebnis immer mehr kommerzialisiert. Angesichts der Entwicklung in den vergangenen Jahren riet Badura zu „Trendskepsis“ auf, die „Mut zur Mäßigung“ erfordere. Ziel müsse eine echte „Wert(e)schöpfung“ sein. „Was uns wichtig ist, ist immer mehr als Geld“, verwehrte sich Badura gegen die Reduktion von „Wert“ auf das rein Finanzielle.

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