Rohrdorf/Rosenheim – Vor dem Amtsgericht in Rosenheim wurde jüngst gegen einen 66 Jahre alten Mann aus Bosnien verhandelt, der immer wieder als Exhibitionist auffällig wurde. Mehrere alleinstehende Frauen, die unter einem Dach mit ihm in einem Mehrfamilienhaus in Rohrdorf wohnen, waren die Leidtragenden.
Traumatisiert im Balkankrieg
Der Mann hat ein schlimmes Schicksal erlitten, wie sich in der Verhandlung herausstellte. Über einen Zeitraum von 14 Monaten war er während der 90er-Balkankriege in einem serbischen Gefangenenlager untergebracht. Nach Ansicht des Verteidigers machten ihn die dort erlittenen traumatischen Erlebnisse, seit er schließlich 1993 nach Deutschland kam, unfähig, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Mit einer beruflich erfolgreichen Ehefrau an seiner Seite habe er als Hausmann für den Haushalt und die zwei Kinder sorgen können. Jedoch hätten ihn Albträume und auch die Langeweile zuhause schließlich zur Flasche greifen lassen, so der Rechtsbeistand. So umgänglich und zurückhaltend der Angeklagte im nüchternen Zustand sei, unter Alkohol verliere er jegliche Kontrolle über sich. Im Jahre 2008 befand er sich erstmals im Klinikum Gabersee, wo ihm eine Anpassungsstörung attestiert wurde. Der psychologisch-forensische Gutachter Dr. Stefan Gerl berichtete, dass der Angeklagte damals verrentet wurde, wobei ihm gleichzeitig der „Lebenssinn“ abhanden gekommen sei.
Aktuell warf ihm die Staatsanwaltschaft vor, dass er sich im Oktober 2018 vor dem Parterrefenster einer Mitbewohnerin entblößt und onaniert hatte. Genau vor der selben 74-jährigen Frau hatte er sich bereits 2017 einmal im Treppenhaus entblößt. Auf die gleiche Art war er im August 2019 im Treppenhaus einer anderen Mitbewohnerin gegenübergetreten.
Guten Worten
folgten keine Taten
Dr. Gerl brachte in seinem Gutachten zum Ausdruck, dass der Angeklagte bei beiden Vorfällen höchst alkoholisiert und deshalb nur eingeschränkt schuldfähig gewesen sei. Andererseits habe er keine Therapie zu Ende gebracht. Von „erfolgreich“ könne überhaupt keine Rede sein.
Ein Gutachter aus der letzten, abgebrochenen Therapie brachte es auf den Punkt: „Verbal ist der Patient durchaus bereit, an sich zu arbeiten. Diesen Ankündigungen folgt jedoch keinerlei praktische Umsetzung.“ Dr. Gerl erklärte, eine Unterbringung im Maßregelvollzug sei wegen der Sprachbarriere wenig sinnvoll. Aus dem einzigen Fremdsprachen-Therapieinstitut sei er wegen eines krassen Rückfalls hinausgeworfen worden. Es sei damit zu rechnen, dass er in alkoholisiertem Zustand erneut ähnliche Vergehen begehe.
Die Staatsanwältin beklagte, dass der Angeklagte seine Taten nicht nur unter offener Bewährung begangen habe. Obwohl er wusste, dass wegen der Tat im Oktober gegen ihn ermittelt werde, habe er dasselbe Fehlverhalten erneut gezeigt.
Bewährung kam
nicht mehr in Frage
Aufgrund der Alkoholisierung sei ihm wohl eine verminderte Schuldfähigkeit zuzubilligen. Das bedeute, dass der Strafrahmen sich nach unten verschiebe. Jedoch müsse auch gewertet werden, dass die Mitbewohner nun mit der Belastung leben müssten, dass sie jederzeit erneut mit einer solchen Situation konfrontiert werden könnten. Sie forderte eine Haftstrafe von einem Jahr, das jedoch auf keinen Fall mehr zur Bewährung ausgesetzt werden dürfe.
Verteidiger Harald Baumgärtl bemühte sich positive Aspekte zu finden und zu benennen. Jedoch war allen Beteiligten klar, dass der Antrag auf zehn Monate Haft mit nochmaliger Bewährung keinerlei Chancen auf Erfolg hatte.
So entschied der vorsitzende Richter Dirk Dombrowski im Sinne der Anklage. Ein Jahr Gefängnis, das sich um die vorausgegangene Bewährungsstrafe verlängern wird. „Wenn eine Therapie unmöglich ist,“ so Dombrowski, „dann bleibt nur die Haft – die ja auch eine Entziehung bedeuten wird.“