Samerberg – Von wegen „von drauß, vom Walde…“ – von hoch droben, vom Himmel, da kommt er her: Willi Dirmhirn, Mitglied beim Drachenfliegerclub Hochries, ist der fliegende Nikolaus.
Heute feiert er seinen 80. Geburtstag, und mit seinem weißen Bart schaut er dem Nikolaus nicht nur ein bisschen ähnlich. Früher ist er tatsächlich regelmäßig am 6. Dezember eingeschwebt, im roten Kostüm, mit Weihnachtsmann-Mütze, zum Entzücken der Kinder.
Ein Kind, erzählt er, sei er selbst gewesen, als die Faszination des Fliegens von ihm Besitz ergriff.
Aufgewachsen in Niederbayern erlebte er, sah er aus der Ferne, wie sich die Bomberströme zum Angriff etwa auf Salzburg oder Passau heranschoben. Die da oben, so muss es sich der kleine Kerl gedacht haben, die schweben über allem, auch über der Not auf Erden. „Das hat mich dermaßen fasziniert, dass die nicht runterfallen…“
Landung auf
einem Hausdach
Dirmhirn wurde, was man heute Schilder- und Leuchtreklamehersteller nennt. Das war sein Beruf. Seine Berufung aber blieb das Abenteuer. Als Bergsteiger bestieg er zum Beispiel den Montblanc, eine Expedition brachte ihn an den Nanga Parbat.
1976 flog er das erste Mal mit einem Drachen, 200 Meter weit, am Brenten war das. Noch nicht spektakulär, aber bereits mit all dem, was das richtige Fliegen so schön macht.
Dieses Anlaufen, das sich der Luft anvertrauen, dieses Schweben, mit dem Rauschen des Windes in den Ohren, diese Weite im Himmel – das alles verzauberte ihn sofort.
Die Drachen waren damals noch nicht genau das, was man als bombensicheres Sportgerät bezeichnen würde, „die waren teilweise schon ganz schön gefährlich“, sagt er; „gewusst haben wir das nicht“. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da er, vom Himmel über dem Wettersteingebirge herabschwebend, auf einmal über Garmisch-Partenkirchen in Schwierigkeiten geriet. „Ich bin aus heiterem Himmel abgekippt“, sagt er. Dirmhirn schraubte es in eine Steilspirale, ein Hausdach raste heran – und der Flugbegeisterte krachte auf die Dachziegel.
„Das muss ganz schön gescheppert haben“, erzählt er und lacht, „die Hausfrau hat jedenfalls ganz verdutzt durchs Dachfenster zu mir hergeschaut.“
Gutes Gefühl für
die Thermik
Er hatte Glück, verletzte sich nur an einer Rippe und am Handgelenk, nicht entfernt so viel, dass er einen Gedanken darauf verschwendet hätte, künftig am Boden zu bleiben.
„Es fasziniert mich nach wie vor, vor allem das Aufdrehen in der Thermik, hinauf zur Wolkenbasis.“ Dirmhirn machte erfolgreich bei Meisterschaften mit, auf seinen Instinkt, sein Gefühl für die richtige Thermik ist er sichtlich stolz. Er erzählt von einem Flug von der Hochries aus, über Altötting und Töging nach Mühldorf, von der Landung auf einem Privatgrundstück, bestaunt von den Menschen, da doch die Berge so weit entfernt vom Landeplatz sind; er schwelgt in Erinnerungen an Acht-Stunden-Flüge. Dirmhirn ist ganz schön herumgekommen mit seiner Leidenschaft. Er ist in den Dolomiten geflogen, in der Schweiz, in Österreich.
Seine Frau Ellina wollte da nicht nachstehen. Als Willi Dirmhirn eines Nachmittags bei Berchtesgaden von einem Flug vom Jenner herab landete, stellte er fest, dass die Ehefrau in der Zwischenzeit mit einem anderen Piloten abgeflogen war, mit einem Motordrachen Richtung Watzmann und Steinernes Meer. „Wunderschön“ sei das gewesen, sagt die Frau.
Willi Dirmhirn scheint den Tag eher angespannt in Erinnerung behalten zu haben: Wer weiß schon, ob man anderen Piloten einfach so vertrauen kann?
Im Winter
lockt Lanzarote
Eines seiner Lieblingsziele ist Lanzarote. Im Januar will er dort wieder fliegen, „es ist dann das 30. Mal“. Die Faszination ist ungebrochen, versichert er. „Mein Vorbild ist der Willi Ritter.“ Der sei nun zwar nicht mehr mit dem Drachen unterwegs, aber – „bis 87 ist er geflogen“.
Der fliegende Nikolaus hat, Geburtstag ist Geburtstag, auch einen Wunsch geäußert. Dass man erwähnen möge, wie freundlich die Bauern und die Grundbesitzer an der Hochries seien, die nie schimpften, wie nett auch die Mitarbeiter von der Hochriesbahn, die ihm so oft behilflich seien. „Denn sonst täte ich mich schon schwer, den Drachen zu schleppen.“