Wasserburg – „Ich habe nie geglaubt – nur an die Flasche.“ Willi ist 56 Jahre alt und Alkoholiker. Seit drei Jahren ist er trocken. Die Weihnachtszeit war für ihn in der Vergangenheit oft sehr einsam: „Wenn man alleine ist, dann ist das eine sehr schwere Zeit, denn Freunde und Familie sind weg. Man kommt ins Grübeln und greift zur Flasche. Ich habe die Feiertage oft alleine verbracht, weil ich kein Geld hatte“, erklärt der Wasserburger.
Häufiger
Suizidgedanken in der
besinnlichen Zeit
In dieser besinnlichen Zeit habe er häufiger Suizidgedanken gehabt. Die Einsamkeit zu ertragen sei schwierig, besonders wenn andere feiern. Alkoholismus ist seit 1968 in der Medizin offiziell als Krankheit anerkannt.
Auch im öffentlichen Raum wird viel Alkohol angeboten. Auf Weihnachtsmärkten gibt es Glühwein, Met, Punsch und vieles mehr. Nicht nur auf Weihnachtsfeiern ist das Trinken ganz normal. Der Dezember gilt als ein Monat zum Entspannen und Vergnügen – auch schon weit vor Heiligabend. „Alkohol wird immer angeboten und keiner macht sich Gedanken darüber. Gegen mal losziehen und sich die Kante geben kann man ja nichts sagen“, stellt Willi klar, „aber man muss sich selbst beobachten.“
Er selbst begann mit zwölf Jahren exzessiv zu trinken. Als Ursache dafür möchte er aber nicht seine schwere Kindheit gelten lassen. Er habe mehrere Geschwister, die nicht Alkoholiker seien. Ein genetisch bedingtes Risiko sei wahrscheinlicher, denn manche Menschen seien eben anfälliger dafür als andere.
In der Verbindung von Alkoholismus und Depressionen entsteht ein Teufelskreis, sagt er: „Man steigert sich in etwas rein und greift zur Flasche.“ Auf diese Weise hat Willi binnen 40 Jahren ein „Vermögen versoffen“: Denn Willi war ein sogenannter Spiegeltrinker. Über den Tag verteilt nahm er das Nervengift zu sich, um „den Pegel aufrecht zu halten“.
Seinen Alkoholismus hat er versucht zu verbergen. „Ich hatte überall meine Flasche versteckt, sogar im Garten vergraben. Man trinkt sich in so einen Tunnel rein, und kommt da nicht mehr raus“, erklärt er.
„Ich habe Jobs verloren wegen der Trinkerei und musste irgendwann nehmen, was kommt.“ Eine Zeit lang war er selbstständig – er hatte ursprünglich Maschinenbau studiert. Es lief gut. „Aber ich hab‘ es nicht mehr geschafft. Ich war zu besoffen. An einer Bushaltestelle bin ich als Penner beschimpft, getreten und bespuckt worden.“
Willi wurde auch kriminell. Seine Familie und Freunde wandten sich von ihm ab. Denn die Folgen des Trinkens treffen auch die Angehörigen. „In nüchternen Momenten war ich froh, dass meine beiden Töchter gegangen sind.“
40 Jahre nach Krankheitsausbruch sucht sich Willi Hilfe: „Ich lag in meinem Zimmer – wie so oft – und bin von Gott umarmt worden. Anders kann ich das nicht erklären. Ich habe die letzte halbe Flasche Wodka weggekippt und zehn Tage kalten Entzug gemacht. Dann habe ich Kontakt zu den Anonymen Alkoholikern aufgenommen“, erklärt er. „Ich bin kein Kirchgänger, aber seitdem glaube ich an eine höhere Instanz, die man Gott nennen kann.“
Denn der kalte Entzug ohne fachkundige Anleitung ist gefährlich. Es treten typische Entzugssymptome, wie Zittern oder Schwitzen auf. Willi erinnert sich auch an Wahrnehmungsstörungen. Der 56-Jährige rät dazu, sich beim Entzug professionelle Hilfe zu holen. Es gibt dafür spezialisierte Fachärzte und Kliniken, oder Gruppen, wie die Anonymen Alkoholiker. Durch sie hat es auch Willi geschafft, trocken zu bleiben – seit drei Jahren ohne Rückfälle. Die Anonymen Alkoholiker (AA) sind eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die ihre Erfahrungen untereinander teilten. Die Gruppen sind in sich selbstständig, stehen aber untereinander in Kontakt. Sie finanzieren sich über Spenden – aus den eigenen Reihen. Denn sie wollen unabhängig von Parteien und Organisationen agieren. Die Mitglieder treffen sich dazu regelmäßig in sogenannten Meetings und tauschen sich aus.
„Es gibt dort keine Kritik“, erklärt Willi, „sondern Gespräche auf Augenhöhe, denn jeder dort kennt das Thema.“ Ziel der Meetings sei es, anderen Alkoholikern mit der eigenen Geschichte weiterzuhelfen. Jederzeit sei durch die AA auch ein Ansprechpartner da. Denn der Alkoholismus kann jederzeit wieder ausbrechen – auch nach zehn Jahren Abstinenz. Willi hat durch die Meetings eine zweite Chance bekommen. „Ich habe ein tolles Leben, kann rausgehen und sehe jede Kleinigkeit. Ich kann vorbeigehen am Alkohol. Ich sehe ab und zu eine schöne Flasche, aber der Inhalt interessiert mich nicht mehr“ erklärt er. Lebensmittel, die Alkohol enthalten, kauft er nicht. Zu groß ist die Angst vor einem Rückfall. Einsam an Weihnachten ist er nicht mehr, denn Familie und Freunde sind stolz auf ihn. Und die Anonymen Alkoholiker veranstalten ein eigenes Weihnachtsmeeting für Mitglieder. „Ein kleine Feier, aber ohne Alkohol“, grinst er.