Neubeuern – Viele Schulen in Bayern tun sich in der Corona-Krise noch schwer mit digitalem Unterricht. Ein ganz anderes Bild bietet sich im Internat Schloss Neubeuern, an dem noch kein einziger Schultag ausgefallen ist. Digitaler Unterricht ist nämlich hier nichts Neues und klappt auch prima, wenn die Schüler über die ganze Welt verteilt sind.
Lehrerin Susanna Hennes (34) unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und erzählt am Telefon, wie der Unterricht funktioniert: Die Schüler haben ein paar Grammatikübungen bekommen, die sie in Stillarbeit machen sollen. Über die Onlineplattform Teams sehen sie, dass Frau Hennes gerade telefoniert. Unaufgeregt klingt es, wenn sie vom digitalen Unterricht erzählt: „Wenn ich ehrlich bin, geht es bei uns eigentlich genau so weiter, wie vor den Schulschließungen.“
Blick auf den
digitalen Alltag
Wie sieht ein digitaler Schultag in Neubeuern für die gut 200 Schüler aus? Über eine Onlinekonferenz-Software loggen sich Lehrer und Schüler ein. Der Unterricht beginnt um 8.10 Uhr. Zuerst wird die Anwesenheit kontrolliert. Sollte ein Schüler nicht da sein, wird, ähnlich wie beim Präsenzunterricht im Sekretariat, nachgefragt, ob er entschuldigt ist. Und dann geht es nach dem regulären Stundenplan einfach weiter bis zum Schulende, Pausen inklusive. Für viele kaum vorstellbar: Sogar der Sportunterricht findet digital via Online-Konferenz statt. Derzeit sind Geschicklichkeitsspiele, die der Lehrer vorturnt und die Kinder nachmachen, sehr beliebt.
Wie es den Neubeurern gelungen ist, nach der Schulschließung digital anzuknüpfen? Bereits seit 1995 setzte Schloss Neubeuern auf IT-gestützten Unterricht und hat kontinuierlich mit der technologischen Entwicklung Schritt gehalten. Heute verfügt jeder Schüler und auch jeder Lehrer über ein eigenes Tablet, über den der komplette Unterricht auch im Klassenzimmer läuft. So werden zum Beispiel Tafelbilder online gespeichert und geteilt, ebenso Notizen der Lehrer. Außerdem nutze man Lernapps und weitere Angebote, berichtet Susanna Hennes. Eltern und Schüler können sich über eine Notenapp über die Leistungen informieren.
Die Entwicklung geht weiter: Schloss Neubeuern ist eine Partnerschule von Microsoft und wurde als „Showcase School“ auch in ein internationales Netzwerk mit anderen innovativen Schulen aufgenommen. Die Schule verleiht die Tablets an ihre Schüler, den Eltern entstehen dadurch lediglich geringe monatliche Kosten für Versicherung und Software-Aktualisierungen.
Schreiben mit
digitaler Tinte
Während die Neubeurer sich also international mit anderen digitalen Schulen messen und Innovationen wie „Digital Ink“, also eine digitale Tinte auf den Tablets zum Mitschreiben nutzen, sieht das im staatlichen Schulwesen doch etwas anders aus. Die Plattform mebis, eigens für den digitalen Unterricht konzipiert, kollabierte sogar zu Beginn der Schulschließungen. Immerhin, die Pressestelle des bayerischen Kultusministeriums informierte am 27. April, dass künftig digitale Endgeräte von den Schulen an Schüler verliehen werden können – allerdings erst Wochen nach Beginn der Schulschließungen. Bei einer Jahresgebühr von 42120 Euro für den Schulbesuch hat das Schloss Neubeuern sicherlich auch ein anderes finanzielles Fundament, auf dem es bauen kann.
Technische Probleme gebe es gar keine, sagt Hennes. Und das, obwohl die 34-Jährige in erster Linie internationale Schüler unterrichtet. Wegen Corona sind die Schüler in ihre Heimatländer zurückgekehrt, die aber mitunter in unterschiedlichen Zeitzonen liegen. Für Hennes aber gar kein Thema: „Die Kinder, die in Asien leben, die loggen sich zum Unterricht ein, wenn in Deutschland der Schultag beginnt. Die in Mexiko oder den USA dann eben in unseren Nachmittagsunterricht.“
Wie eingespielt der Unterricht funktioniert, zeigt sich im Gespräch mit den OVB- Heimatzeitungen. Zweimal unterbrechen Schüler, die eine Rückfrage haben, das Telefonat. Hennes gibt kurz eine Rückmeldung, dann geht das Interview weiter. Währenddessen arbeiten die Schüler an ihren Übungen.
Eine Einschränkung gibt es jedoch: Leistungsnachweise fanden in den vergangenen Wochen nicht statt. Schulaufgaben oder mündliche Abfragen sind digital nicht durchführbar. Außerdem besteht aus Sicht von Susanne Hennes die Gefahr, dass man online nicht jeden Schüler erreichen könne. Der Bildschirm lade eben auch zum „Berieseln lassen“ ein. „Aber auch damit kann man in einem gewissen Maße umgehen. Ich vergebe eher ergebnisorientierte Aufgaben, um zu sehen, wo die Schüler stehen“, sagt Hennes. Dennoch, die Vorteile überwiegen für die Internatsschule. Schloss Neubeuern veranstaltet jährlich einen Kongress zum Thema „Digitale Didaktik“: „Blended Learning“, „Social Media im Unterricht“ oder auch „Chemie digital“ sind die Themen der Workshops und Vorträge. Andere Schulen können sich hier über konkrete Anwendungsfälle des digitalen Unterrichts informieren. Ob irgendwann das Internat gar nicht mehr nötig sei, wenn es mit dem Unterricht via Microsoft Teams so gut klappe? „Nein, was wirklich fehlt, ist der soziale Aspekt. Dazu zählen auch die Gespräche und das Geplänkel in den Pausen“, sagt Hennes. Die Schüler vermissen ihre Klassenkameraden. Auch in Neubeuern wird bald wieder Präsenzunterricht die Regel sein. Der Corona-Ausbruch hätte viele Schüler sehr verunsichert, sagt Hennes. Dass der Unterricht einfach online weiterging und für Struktur und Beschäftigung sorgte, sei für Eltern und Kinder sehr hilfreich gewesen.
Einreise zum
Teil erschwert
Die meisten Schüler verbrachten zwei Wochen in Quarantäne, andere erlebten in ihren Heimatländern noch striktere Ausgangssperren als in Bayern. 18 Schüler mussten sogar in Neubeuern bleiben, da sie wegen Einreisebeschränkungen oder fehlenden Flugverbindungen nicht in ihre Heimat fliegen konnten. Sie wurden nach wie vor betreut, erlebten aber ein ansonsten verwaistes Schulgelände.
Nun sind die 12. Klassen bereits zurückgekehrt, bald auch die 11. Stufe. Paradoxerweise zu Beginn der Pfingstferien sollen die internationalen Schüler, sofern es ihnen möglich ist, zurückkehren. Nach zwei Wochen Quarantäne, könne dann der reguläre Unterricht wieder starten – so der jetzige Plan. Am Tag des Interviews bleibt Susanna Hennes nach Schulende online. Dann unterrichtet sie nämlich ihre Kollegen: natürlich nicht „Deutsch als Fremdsprache,“ sondern Yoga.