„Unwertes Leben“ ins Gas geschickt

von Redaktion

75 Jahre Frieden Schwarzes Jahr 1940 für „Kretinenanstalt“ in Berg

Schnaitsee – „Schwachsinn, Blödsinn, Epilepsie, Idiotie, triebartige Unruhe, taubstumm, gelähmt“ – so oder ähnlich hießen die Diagnosen für Bewohner in der NS-Zeit der sogenannten Kretinenanstalt in Berg bei Schnaitsee.

Diese menschenverachtenden Meldeblätter, die der Heimatzeitung vorliegen, geben ein erschütterndes Bild darüber ab, wie zu jener Zeit sogar Ärzte Menschen als „unwertes Leben“ bewerteten und ihre Entscheidung auch entsprechend dokumentierten. Das, was mit diesen Bewohnern dann geschah, gehört zum dunkelsten Kapitel, das Schnaitsee je erlebt hat.

1940 gilt in der Gemeinde als „schwarzes Jahr“. Das Geschehen liegt nun 80 Jahre zurück. Bei der geplanten Maiandacht am Denkmal für die im Süden Schnaitsees ums Leben gekommenen KZ-Häftlinge wollte Ortsheimatpfleger Reinhold Schuhbeck auf diese schlimmen Monate zurückblicken. Die Corona-Krise lässt das aber nicht zu.

Aufbau der
Tötungsmaschinerie

Bei einem Gespräch mit der Wasserburger Zeitung erläutert Schuhbeck das damalige Geschehen: „Nachdem im Jahr 1934 der Pfarrhof von Berg nach Schnaitsee verlegt wurde, ging das ehemalige Pfarrgut an die Stiftung Ecksberg bei Mühldorf über. Diese richtete eine Betreuungsstation, damals „Kretinenanstalt“ genannt, für Menschen mit Behinderung ein. Am 20. August 1937 kamen dann neun Ecksberger Schwestern mit 25 Betreuten nach Berg. Die braunen Machthaber hatten jedoch anderes mit diesen Menschen im Sinn: Denn mit Kriegsbeginn im Jahr 1939 begannen sie mit dem Aufbau ihrer Tötungsmaschinerie für alles, was sie als „unwertes Leben“ bezeichneten.

Dafür wurde die Organisation „T4“ eingerichtet. Das bedeutete, dass für die meisten Betreuten in Berg zwei Jahre später ihr Leben in den Gaskammern der sogenannten Reichsanstalt in Hartheim bei Linz endete.

Wie Schuhbeck weiter ausführt, waren die Grundlage für die Auswahl die bereits erwähnten „Meldeblätter zur planwirtschaftlichen Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“. Nur ein paar Insassen, die man als arbeitsfähig in der „Ökonomie“ einstufte, durften bleiben.

Die allermeisten aber wurden unter einem Vorwand nach Eglfing bei Haar ausquartiert. Von dort führte der Weg schließlich nach Hartheim bei Linz ins Gas.

Schuhbeck hat einen berührenden Augenzeugenbericht von Schwester Zeno aus Berg dabei: „Ein paar von uns Schwestern sind mit nach Eglfing mit dem Bus gefahren, um die Pflegebedürftigen zu versorgen. Uns wurde ein Platz in Haus 25 zugewiesen, der dadurch frei geworden war, weil andere Pfleglinge gerade weitertransportiert worden waren. Der Pater, der die andere Gruppe begleitet hatte, wusste wohl, dass die Behinderten nicht mehr zurückkehren würden, er hat ihnen dann die letzte Ölung gegeben.“

Kein Laut mehr
aus den Waggons

Die Leute aus Berg wurden am 24. Januar 1941 nach Hartheim gebracht. Eine Mitschwester hatte sich vor der Abfahrt noch einmal in die Nähe der Waggons geschlichen, aus denen kein einziger Laut mehr zu hören war. Die Schwestern glauben, dass die Menschen mit Behinderung in Hartheim gar nicht lebend angekommen waren, denn einige Zeit später hat man ihre Wäsche zurückgebracht, und die war ganz sauber. Insgesamt wurden 248 behinderte Menschen aus Berg, Ecksberg und Bachham zur Ermordung nach Hartheim gebracht.

Denkmal erinnert
an die Toten

Ein Denkmal für diese Toten wurde am 14. Mai 1985, also genau vor 35 Jahren, von Weihbischof Graf von Soden-Fraunhofen in Ecks- berg eingeweiht. Das Pflegeheim Berg bei Schnaitsee existierte für einige Jahre nicht mehr. Aber bald nach Kriegsende nahmen die Ecksberger Schwestern die Betreuung von Menschen mit Behinderung wieder auf und führten sie bis in Jahr 1991 weiter.

Seit 1996 betreibt der Caritas-Verband in dem Pflegeheim Berg bei Schnaitsee ein Reha-Zentrum für suchtkranke Menschen.

Artikel 1 von 11