Tuntenhausen/Rott – Über den Eder-Parkplatz in Tuntenhausen weht der verlockende Duft gebrannter Mandeln. Ein wenig Volksfeststimmung kommt auf in einer Zeit, in der es sobald keine Volksfeste wieder geben wird. Hendrik Branicki und Belinda Lettner aus Rott am Inn haben hier ihren Mandelwagen aufgestellt. Sie verkaufen Popcorn, Lebkuchenherzen, Kokoswürfel, Magenbrot, Schokofrüchte, gebrannte Mandeln und Erdnüsse. Die Eder GmbH hat ihnen den Platz zur Verfügung gestellt. „Ich war schon fast verzweifelt, weil ich seit Wochen erfolglos nach einem Platz für uns gesucht hatte“, ist der 34-Jährige dankbar. In normalen Jahren sind er und seine Frau Belinda (31) von April bis Dezember in ganz Bayern auf Achse – mit fünf Wägen, die wandelbar zum Einsatz kommen können. „Die Schaustellerbranche ist eng. Man muss flexibel sein“, erklärt Hendrik. Deshalb verkauft er in seiner Allzweckhütte mal Pizza oder Steaks, mal Langos oder Schmalzkuchen. „Denn man muss immer in eine Nische passen, die es auf den jeweiligen Volksfesten noch nicht gibt“, erklärt er.
Zwei geborene
Schausteller
Einen Schießstand haben die beiden, ein Bungee-Trampolin, einen Ballwagen, an dem mal Büchsen geworfen, mal Lose verkauft werden. Sie sind geborene Schausteller und ein Teil der bayerischen Volksfestkultur. Belindas Familie ist seit mehr als 100 Jahren mit einem Schießstand auf dem Oktoberfest. Wie weit die Wurzeln der Schaustellerfamilie Branicki zurückreichen, weiß Hendrik gar nicht so genau. „Viele Generationen“, vermutet er. Die beiden kennen das Schaustellerleben von Kindesbeinen an. Und sie lieben es, von April bis Oktober mit ihrem Campingwagen durch die Lande zu reisen. Auf vielen Volksfesten und Märkten sind sie bis Weihnachten zu Hause – zum Beispiel auf dem Josefimarkt in Tuntenhausen, dem Apfelmarkt in Bad Feilnbach oder dem Herbstfest in Rosenheim. In diesem Jahr aber fällt alles aus und damit auch das gesamte Jahreseinkommen der jungen Familie. „Ich habe die Zeit erst einmal genutzt, um meine Wägen zu warten und zu renovieren“, erzählt der gelernte Metallbauer (Konstruktionstechnik). Eigentlich ist das eine Arbeit für den Winter. „Aber in diesem Jahr ist der Winter unendlich lang.“ Also reduzieren sie ihre Kosten, legen die Fahrzeuge still, fahren die Versicherungen auf ein Minimum herunter und leben auf Sparflamme. Die beiden schreiben Bewerbungen, sind bereit, sich als Lkw-Fahrer, Verkäuferin, Lagerhilfe oder mit Regalefüllen zu verdingen. Doch dann keimt neue Hoffnung auf, das eigene Gewerbe zu retten, suchen sie neue Vertriebswege für ihre Lebensmittel. „Ich gehe davon aus, dass wir noch ein ganzes Jahr durchhalten müssen, ehe wieder Volksfeste stattfinden können“, glaubt Hendrik.
Unternehmen umstrukturiert
Also strukturiert er sein Schausteller-Unternehmen komplett um, investiert seine letzten aufgesparten Euro in Material und baut kleine Stände, mit denen er nun in verschiedenen Märkten die gebrannten Mandeln und Erdnüsse anbietet. Auch in seiner ganz persönlichen Corona-Krise bleibt Hendrik fair, und bietet am neuen Standplatz nur das an, „womit ich dem benachbarten Markt keine Konkurrenz mache“. Im Mandelwagen in Tuntenhausen ist jetzt die „Produktionszentrale“. Hier bereitet Belinda Mandeln und Nüsse frisch zu. Und Hendrik beliefert damit die Märkte. „Es ist unglaublich, wie gut das Angebot angenommen wird“, ist er dankbar. „Die Menschen hier in Tuntenhausen sind einfach der Wahnsinn. Die haben Lust auf Volksfeststimmung“, sagt er glücklich. Und sie wollen helfen: „Wir machen uns eine Freude und tun Euch etwas Gutes“, muntert ihn eine Kundin auf. Das macht Mut, genauso wie das Gefühl, wieder jeden Tag auf Arbeit gehen zu können, unter Menschen zu sein und trotz der Corona-Krise ein kleines Stück der bayerischen Volksfestkultur leben zu dürfen.
Es ist nicht viel, was die Schausteller-Familie mit ihren Süßigkeiten verdient. „Aber es reicht, um die Miete zu bezahlen“, ist Belinda zufrieden: „Wir stecken den Kopf nicht in den Sand, wir schauen nach vorn.“