Raubling/Oberaudorf – Gesundheit und Freiheit – laut Jugendforscher Simon Schnetzer sind das die wichtigsten Werte der ‚Generation Z‘ – wie die Jugend von heute auch genannt wird. Aber ein Blick zurück auf die DDR zeigt, dass es damals keineswegs eine uneingeschränkte Freiheit gab. Gegenüber unserer Zeitung äußern sich Jugendliche aus der Region zum Thema Deutsche Einheit.
Damian Kürzinger, 15, aus Oberaudorf, zeigt sich beeindruckt von den Bildern, die die Nacht der Grenzöffnung zeigen: „Ich finde, dass diese Bilder viel Freiheit verkörpern, da man einfach sieht, wie eine Grenze, eine Einschränkung der Freiheit, überwunden wird.“ Ihm wäre wichtig, dass politische Themen, die einen aktuellen Bezug haben, im Schulunterricht generell früher behandelt werden.
Freiheit war keine Selbstverständlichkeit
Johannes Weiß, 14, aus Oberaudorf, hat ebenfalls die Bilder der Nacht des Mauerfalls vor Augen: „Man spürt, dass die Menschen es gar nicht fassen konnten, dass sie sich ihre Freiheit erkämpft haben! Endlich war man frei von Beschränkungen und Familien konnten zusammengeführt werden.“ Er findet außerdem: „Geschichte und politische Bildung in der Schule sind wichtig, zum Beispiel auch um klarzumachen, dass die Freiheit, die für uns selbstverständlich ist, nicht immer selbstverständlich war.“ Leon Wudy, 17, aus Raubling, findet, das ,Gut‘ Freiheit gehöre unbedingt bewahrt: „Das muss ein befreiendes Gefühl gewesen sein, einfach über diese, davor so gut bewachte Mauer zu steigen. Davor war es ja kaum möglich, seine Meinung frei zu äußern. Dabei ist genau das eines der wichtigsten Güter in unserer Gesellschaft, die es mit allen Mitteln zu schützen gilt. Wirft man heute einen Blick nach Hongkong, sieht die Sache ganz anders aus. Äußert man dort frei seine Meinung über das Regierungssystem, wird man womöglich festgenommen so wie der Demokratie-Aktivist Joshua Wong.“ Auch Leon ist wichtig, „dass Geschichte und politische Bildung an der Schule unterrichtet werden. Jeder sollte über gewisse Abschnitte in unserer Geschichte Bescheid wissen, um vielleicht einige Dinge anders zu machen als die Generation davor.“
Alle drei Schüler besuchen das Gymnasium in Raubling und ihre Äußerungen zeigen, dass auch in der heutigen Jugend das Interesse an der Deutschen Einheit vorhanden ist.
Einer, der die damalige Zeit noch hautnah miterlebt hatte, ist Sven Herrmann aus Aschau, Mit-Inhaber einer Versicherungsagentur in Raubling: „Ich war damals noch Schüler in der achten Klasse, als ich mit meinen Eltern 1992 von Dresden nach Garmisch gezogen bin. So konnte ich beide Schulsysteme ‚genießen‘ und mir von dieser Seite her eine Meinung bilden.“ In der DDR waren Bildungsinhalte und Erziehung sehr politisch geprägt, erinnert er sich. „Ich war in meiner Klasse zuständig, die Wandzeitung zu pflegen. Dort wurden immer alle Zeitungsausschnitte über Heldentaten aus der Republik aufgehängt.“ Außerdem verbrachten die Kinder viel Zeit in der Schule. Dort gab es viele zentral gesteuerte Freizeitaktivitäten und Sportangebote. „Man wollte uns ja im sozialistischen Sinne erziehen“, betont Herrmann.
Er beleuchtet aber auch die Kehrseite der Medaille: Kameraden, deren Eltern nicht ins System passten, wurden von Gruppennachmittagen ausgeschlossen. Zulassung zur höheren Bildung wie Abitur und Studium gingen vor allem nach Parteibuch und kaum nach der eigentlichen Leistung eines Schülers. Und nachdem seine Schwester 1989 – vor dem Mauerfall, aber nach langem Verfahren des Ausreiseantrags – ausgereist war, wurden seine Eltern so lange vom Staat drangsaliert, bis sie sich 1992 ebenfalls zur Ausreise entschlossen hatten. Hermann hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass man nicht glauben dürfe, dass sich ab dem Mauerfall alles geändert hätte: „Da haben sich die SED-Schergen einfach ein ‚PDS‘-Mäntelchen angezogen, saßen an der gleichen Position und haben genauso weiter- gemacht.“
Mitten im Schuljahr landete er dann im westlichen Schulsystem. Und er musste feststellen: In der ganzen Freiheit gingen auch irgendwo die Struktur und die Zielgerichtetheit verloren. Zwar sei er froh, dass sein Sohn Paul in einer Demokratie aufwachsen kann, dennoch denkt Hermann gern an seine Kindheit zurück, denn die politischen Dimensionen hätte man damals als Kind noch nicht erfasst.
Als „Ossi“ muss man sich mehr einbringen
Und wie war das damals, als ,Ossi‘ in den Westen zu kommen? Daran kann sich Hermann noch gut erinnern: „Das war schon eine Nummer, mit einem ausgeprägten sächsischen Dialekt in eine bayerische Jungenschule zu wechseln. Ich wurde sehr ausgegrenzt, denn wir haben uns buchstäblich nicht verstanden. Einer hat mich auch schon mal als Ausländer bezeichnet. Da habe ich gelernt, dass man als ‚Zuagroaster‘, speziell als eingewanderter ‚Ossi‘, sich viel mehr einbringen muss, um anzukommen, als einer, dem der Kulturkreis vertraut ist.“ Und daran hätte sich bis heute nichts geändert: „Deshalb gehe ich offen auf die Leute zu und kokettiere sogar damit, aus dem Osten zu kommen. Damit bekomme ich meist ein positives Feedback.“