Schechen – Es ist eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen für die Gemeinde Schechen: Vergangene Woche hat die Deutsche Bahn mit der violetten Trasse des Brenner-Nordzulaufs ihren Favoriten gekürt. Sie beeinträchtigt das Schechener Gemeindegebiet massiv. Ein Gespräch mit Bürgermeister Stefan Adam (CSU) über die Wahl der Bahn und was sie für die Gemeinde bedeutet.
Herr Adam, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Wahl der violetten Trasse gehört haben?
Das darf nicht wahr sein, Katastrophe, ein Albtraum!
In der jüngsten Gemeinderatssitzung, kurz nachdem das Ergebnis bekannt gegeben wurde, sagten Sie, Sie müssten sich nun erst einmal neu sortieren. Wie ist Ihre Stimmung mit ein paar Tagen Abstand?
Ich war mehr als enttäuscht und von dem Video (das die Deutsche Bahn zur Visualisierung präsentiert hatte, Anm. d. Red.) geschockt. Mir ist bewusst, dass diese Entscheidung viel Kraft und Energie frisst und womöglich andere sinnvolle Projekte in meiner Gemeinde verlangsamt. Ich muss jetzt die Bürger Schechens unterstützen und alles tun, um diese sinnlose Zerstörung des Gemeindegebiets zu verhindern.
Hatten Sie bereits befürchtet, dass es die violette Trasse werden könnte?
Nicht unbedingt. In der Raumordnung gibt es das Anbindegebot, welches besagt, dass neue Siedlungsgebiete in der Nähe bestehender Siedlungen auszuweisen sind. Analog hierzu dürften neue Verkehrswege nur an bestehende anknüpfen. Tatsächlich hatte die Trasse oliv das optimale Kosten-Nutzen-Verhältnis. Aufgrund des vorkommenden Seetons, welcher die Machbarkeit der Varianten gelb, türkis und oliv infrage stellt, fand bei der Auswahl der weiterzuverfolgenden Trasse nur die Variante violett Berücksichtigung. Der Bundestag als entscheidendes Gremium hat somit keine Alternative und muss der Empfehlung folgen. Seeton findet man übrigens sehr wohl auch auf der violetten Trasse.
Wie genau soll die Bahnstrecke im Bereich Schechen aussehen?
Der südliche Gemeindeteil von Schechen liegt im Rosenheimer Becken. Das Inntal im Bereich der geplanten Bahnstrecke wird östlich und westlich durch Geländekanten begrenzt. Dieses Tal mit einer Breite von rund fünf Kilometern muss aufgrund der Höhendifferenz von mindestens 25 Metern zum Beckenrand zu den Nachbargemeinden Stephanskirchen und Großkarolinenfeld überspannt werden. Nach den vorliegenden Unterlagen wird der Inn mittels einer einen Kilometer langen Brücke überquert. Die restlichen vier Kilometer werden als aufgeschütteter Damm mit einer Breite von rund 80 Metern die Landschaft trennen. Dabei rückt der Damm zum Teil bis auf wenige Meter an die Wohnbebauung von Pfaffenhofen, Deutelhausen und Mintsberg heran.
Was wären dabei die gravierendsten Auswirkungen in der Gemeinde?
Unabhängig von dauerhaften Beeinträchtigungen durch Lärm und Erschütterungen und der Entwertung von Grundbesitz wird die achtjährige Bauzeit mit Baustellenlärm und Baustellenverkehr eine der größten Herausforderungen.
Welche weiteren Folgen hätte das Vorhaben etwa für die Natur oder die Landwirtschaft?
Der Rosenheimer Norden mit seinen Innauen wird nicht mehr zu erkennen sein. Er wird von einem Grenzwall geprägt sein. Die Auswirkungen auf Flora und Fauna sind noch überhaupt nicht abschätzbar. Ebenso die Effekte auf Grundwasserströme oder das Mikroklima. Die Bahn selbst spricht zum Beispiel von einer potenziellen Beeinträchtigung der Durchlüftung im Bereich Pfaffenhofen. Den Schechener Bauern werden durch die Westtangente und der Ausweisung von 70 Hektar Ausgleichsfläche für die A8 bereits Flächen entzogen. Durch den Bau der Neubaustrecke, durch Baustellenflächen, aber auch durch weitere Ausgleichsflächen für den Brenner-Nordzulauf, werden weitere landwirtschaftliche Existenzen bedroht.
Wie wird man in der Gemeinde nun weiter vorgehen?
Die Bahn wird aufgrund ihres Auftrages vom Deutschen Bundestag weiter an der Vorzugstrasse planen. Die Gemeinde wird sich daher mit den Gemeinden, die von der ausgewählten Trasse betroffen sind, weiterhin am Planungsdialog beteiligen. Unabhängig davon werden wir immer wieder den tatsächlichen Bedarf hinterfragen, der bis heute nicht nachvollziehbar dargestellt wurde.
Wenn es bei der violetten Version bleibt – könnte diese Strecke zumindest etwas verträglicher gestaltet werden?
Der Brenner-Nordzulauf im Bereich Kiefersfelden bis Ostermünchen verläuft nach den derzeitigen Plänen zu 60 Prozent im Tunnel. Die Tiroler haben es bereits auf 80 Prozent gebracht. Die Forderung nach mindestens 80 Prozent Untertunnelung hat auch der Rosenheimer Kreistag in seiner Stellungnahme zum Raumordnungsverfahren formuliert. Ich schließe mich dieser Forderung ausdrücklich an und werde mich für sie einsetzen.
Was würden Sie sich in Sachen Nordzulauf wünschen? Eine andere Trasse? Keine Trasse?
Ich würde mir wünschen, dass die Konsumenten noch viel mehr regional einkaufen und somit der sinnlose Güterverkehr reduziert werden kann. Ich glaube allerdings auch, dass Corona unser Verhalten nachhaltig verändern wird. Telearbeit und Videokonferenzen werden den Personenverkehr dauerhaft verringern.
Interview: Katharina Heinz