Otto von Steinbeis‘ rollendes Denkmal

von Redaktion

Wer von Brannenburg aus nicht zu Fuß auf den Wendelstein will, fährt entweder mit „Otto von Steinbeis“ oder „Prinzregent Luitpold“, also mit einem der beiden Triebwagenzüge. Aber auch sonst wäre die bequeme 25-Minuten-Fahrt ohne die beiden Pioniere nicht möglich.

Brannenburg – Dem Prinzregenten Luitpold kommt der kleinere Anteil zu, er hat den Bau der Wendelsteinbahn Anfang des letzten Jahrhunderts nur genehmigt. Geplant und gebaut hat die Zahnradbahn der Brannenburger Unternehmer Otto von Steinbeis.

Seine Leistung wird deutlich, wenn man sich bei der Fahrt durch die spektakuläre Landschaftskulisse klarzumachen versucht, dass beim Bau damals keinerlei Maschinen eingesetzt werden konnten. Wirklich vorstellen kann man es sich aber wohl nicht, es ist für uns Heutige einfach nicht mehr nachzuvollziehen: Keine Bagger, keine Planierraupen, keine Lastkraftwagen, keine Kräne – nichts. Alles, buchstäblich alles wurde von Hand erledigt, mit Schaufel, Pickel und einer Menge Schwarzpulver.

800 Arbeiter bauten
zwei Jahre lang

Und doch betrug die Bauzeit der Strecke, die in den Anfangsjahrzehnten beim Brannenburger Bahnhof begann, damit 9,8 Kilometer lang war und bis auf 1720 Meter führt, nur zwei Jahre. Von 1910 bis 1912.

Ermöglicht haben dies 800 Arbeiter, die nach Dokumenten des Wendelsteinbahn-Archivs gleichzeitig auf der Baustelle beschäftigt waren. Die Arbeitswoche dauerte sechs Tage. Schon sie unterzubringen und zu verköstigen war eine logistische Meisterleistung. Die Mahlzeiten mussten zu Anfang per Pferd oder Maultier zu den Männern am Berg gebracht werden, so wie Werkzeug und Material auch.

Seine Männer bestens zu versorgen war Otto von Steinbeis wichtig. Er war überaus sozialer Arbeitgeber, der vor guter Arbeit hohe Achtung hatte. Das wissen die Urenkel Michael und Hans Steinbeis aus dem Briefwechsel ihres Urgroßvaters zu berichten.

Solch eine Unternehmung wagen – und dann auch erfolgreich durchführen – kann nur jemand, der weiß, worauf er sich einlässt. Und so ein Mann war Otto von Steinbeis. Er, der bei Beginn des Baus schon 71 Jahre alt war, hatte sich laut Hans Steinbeis europaweit einen Namen gemacht als eine Art Logistikspezialist in Sachen Holz.

Seit 1892 hatte er in Bosnien die Aufgabe übernommen, in einem bergigen und weitgehend unbewohnten Waldgebiet eineinhalb Millionen Kubikmeter Holz zu schlagen und vor allem: es auch abzutransportieren. Eine Aufgabe, der er gewachsen war, weil er darin bereits eine fast 30-jährige Erfahrung hatte: Seit 1863 war er Teilhaber und Geschäftsführer eines württembergischen Konsortiums, das die Wälder rund um Brannenburg bewirtschaftete und verwertete. Seit dieser Zeit lebte er in Brannenburg.

Auch hier war die Herausforderung vor allem die gewesen, das Holz aus den Wäldern heraus und zu Tal zu bringen. Und natürlich auch, es zu verarbeiten. Also waren Sägewerke nötig und vor allem Absatzmärkte. Otto von Steinbeis kam die Idee, nicht nur billiges Rohholz zu verkaufen, sondern dieses zu veredeln und weiterzuverarbeiten: zum Beispiel zu imprägnierten Eisenbahnschwellen und Telegrafenmasten.

Otto von Steinbeis muss man sich – nach allem, was von ihm überliefert ist – als einen Mann vorstellen, der Techniker, Praktiker sowie Unternehmer in einem war und Probleme nicht als Hindernisse, sondern als Herausforderung ansah.

Die Transportwege in Bosnien für den Abtransport des Holzes fehlen? Bauen wir eben 400 Kilometer Eisenbahnstrecke. Die Bahn auf den Wendelstein soll elektrisch fahren, aber es gibt kein Stromnetz? Bauen wir eben selbst eines auf.

Der Bau einer Bahn auf den Wendelstein war für ihn von Anfang an sicher nicht so unvorstellbar, wie es uns heute erscheint. Übrigens wurde die Bahn von ihm wohl nie in erster Linie als spätere Geldquelle gesehen. Das meinen zumindest seine Urenkel, die unlängst in der Brannenburger Wendelsteinhalle für die Volkshochschule einen Vortrag über ihren Urgroßvater hielten. Sondern eher als Denkmal für sein Lebenswerk.

Unternehmer mit
Auge für Schönheit

Eisenbahnschwellen, Telegrafenmasten, Bahngebäude in der Schweiz und in Konstantinopel sind dafür nicht so recht tauglich. Eine Bahn auf den Brannenburger Hausberg, der mit dem Bau des Wendelsteinhauses 1883 anfing, ein touristischer Publikumsmagnet zu werden, durchaus. Denn, so Michael Steinbeis, sein Urgroßvater habe trotz unternehmerischer Rationalität einen Blick für landschaftliche Schönheit gehabt, und dabei ein romantisches Auge – das belegen etliche Briefe. Sich ein Denkmal zu setzen, ist Otto von Steinbeis tatsächlich gelungen. Mehr als elf Millionen Fahrgäste hat die Bahn seit 1912 chauffiert, die ersten Lokomotiven mit dem Baujahr 1911 sind noch heute einsatzbereit und zumindest für die älteren Brannenburger ist die Wendelsteinbahn, an der die Familie bis 1968 Anteile hatte, noch immer untrennbar mit dem Namen Steinbeis verbunden.

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