Halfing/Rosenheim/Indianapolis – „You may now kiss the bricks“ (engl. Sie dürfen jetzt die Ziegelsteine küssen) ertönt es im Indianapolis Motor Speedway Stadion, USA. Das 17-köpfige Team der Technischen Universität München (TUM) stellt sich an der mit Ziegelsteinen gepflasterten Zielgerade der Rennstrecke auf, die Köpfe neigen sich zum Kuss vor.
Mit dabei sind Leonhard Hermansdorfer (29) aus Halfing und Tim Stahl (30) aus Rosenheim. Sie entwickelten im Team ein auf Künstlicher Intelligenz basierendes System, um einen Rennwagen autonom zu steuern. Bei einem komplett fahrerlosen Rennen der „Indy Autonomous Challenge“ in Indianapolis fuhr ihr Wagen mit einer Spitzendurchschnittsgeschwindigkeit von 218 Stundenkilometern auf den ersten Platz. Die jungen Forscher gewannen mit ihrem Sieg für die TUM das Preisgeld von einer Million US-Dollar.
Ein überwältigender und surrealer Moment
Ein überwältigender Moment, da sind sich die beiden Doktoranden aus der Region einig. „Es hat etwas gedauert, bis ich realisiert habe, dass wir gewonnen haben“, sagt Stahl. Hermansdorfer legt nach: „Es war eine schwierige und anstrengende Zeit“, der Sieg sei es aber wert gewesen. Hermansdorfer und Stahl promovieren am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik.
Hermansdorfer befasst sich mit dem Schwerpunkt Simulation. Sein Ziel ist, die möglichst genaue Abbildung des Fahrzeugverhaltens, um die Software testen zu können. Stahl beschäftigt sich vor allem mit der Trajektorienplanung und deren Sicherheit, also dem Fahrweg eines Fahrzeugs.
Der Weg zur „Indy Autonomous Challenge“ sei ein „schleichender Prozess“ gewesen, sagt Stahl. Ihr Wissen brachten die beiden bereits 2018 bei Events der Rennserie „Roborace“ ein. Über verschiedene Auswahlwettbewerbe wie Heckathons und Stimulationsrennen qualifizierte sich das Team der TUM für das finale Rennen in den USA. „Im Herbst 2020 sind wir das erste Mal mit unserer Software bei simulierten Rennen an den Start gegangen“, erinnert sich Hermansdorfer. Das Team schaffte es, sich im vorderen Viertel zu platzieren. „Da war uns bewusst, da geht was.“
Bis kurz vor dem Rennen im Oktober wurde an der Software gefeilt. „Die groben Parameter waren früh bekannt“, sagt Hermansdorfer. Die Details zu dem Wagen wurden dann im September bekannt gegeben. „Faktoren wie die Oberfläche der Fahrbahn und die Temperatur spielen aber auch eine Rolle“, so Stahl.
Eine Künstliche Intelligenz, die autonomes Fahren ermöglicht, entwickelt man, indem Wissen über Programmierung, Fahrdynamik und Physik in den Code einfließt. „Das ist ein langwieriger Prozess“, erklärt Stahl. Die KI werde immer feiner. Wie schnell kann ein Auto fahren, bevor die Räder beim Bremsen blockieren? Welchen Weg sucht sich das Auto, wenn sich ein Hindernis auftut? All diese Szenarien müssen in der Software berücksichtigt werden.
Ein Bordcomputer erfasst und analysiert in Sekundenbruchteilen alle Informationen, die die Kameras, Laser-Sensoren, Radare, GPS-Empfänger und Radsensoren liefern. Auf Basis dieser Daten gibt das System Fahrbefehle in Sachen Lenkung und Gaspedal oder Bremsen. Und das während des Rennens bei Spitzengeschwindigkeiten von bis zu Tempo 240.
Das nächste Rennen startet in Las Vegas
Gerade die hohen Geschwindigkeiten auf der Rennstrecke helfen der Weiterentwicklung des autonomen Fahrens im normalen Straßenverkehr, sagt Hermansdorfer. „Die Rennwagen bewegen sich im Wettbewerb immer am fahrdynamischen Limit.“ Wenn das autonome Fahren dort klappt, könne es auch langfristig auf den alltäglichen Verkehr, vor allem bei Notfall-Manövern, übertragen werden. Auch wenn eine Rennstrecke ohne Fußgänger und anderen Verkehr eine besondere Fahrsituation sei. „Der Wettbewerb treibt die Entwicklung maßgeblich voran“, sagt Stahl.
Der Code, mit dem die Mannschaft die „Indy Challenge“ gewonnen hat, ist im Sinne der Forschung für jeden frei zugänglich. „Jeder kann mitentwickeln“, sagt Stahl. Für die jungen Männer ist die Reise ebenfalls noch nicht zu Ende. Zu Beginn des neuen Jahres soll in Las Vegas ein weiteres Rennen stattfinden. Geplant ist, dass die autonomen Rennwagen diesmal gleichzeitig auf der Rennstrecke gegeneinander fahren.