Zwei kleine Wunder bis zur Heimkehr

von Redaktion

Wie der bereits für Tod erklärte Hermann Kink den Zweiten Weltkrieg überlebte

Prutting – Es war am Allerseelentag, den zweiten November 1944, als der Pruttinger NSDAP Ortsgruppenleiter Leopold und Therese Kink die Nachricht überbrachte: Ihr Sohn Hermann sei in Italien gefallen. Hermann Kink war erst 19 Jahre alt, eigentlich Bordfunker bei der Luftwaffe, erst kürzlich in die Abruzzen zur Verstärkung der dortigen Bodentruppen verlegt.

Was genau passiert war, wussten seine Eltern damals natürlich nicht, das erfuhren sie erst später. Hermann Kink war zu einem Spähtrupp eingeteilt worden, zusammen mit einem Kameraden. In der Nacht hatte man bei Hermann Kinks Einheit in der Nähe Panzergeräusche gehört. Kink sollte mit seinem Kammeraden feststellen, ob es eigene oder amerikanische Panzer waren – und wenn amerikanische Panzer, um wie viele es sich handelte. Bis auf etwa hundert Meter waren die beiden an die Stellung, die tatsächlich von Amerikanern besetzt war, herangekommen, als sie entdeckt und beschossen wurden.

Begraben unter
einer Berghütte

Hermann Kink wurde leicht verletzt, sein Spähtruppführer schwer. Trotz seiner Verletzung gelang es Kink, den durchschossenen Oberschenkel des Kameraden abzubinden und den Mann anschließend zurückzuschleppen, zu einem improvisierten kleinen Verbandsplatz, der sich in einer Berghütte befand. Die beiden konnten gerade noch versorgt werden, als die Amerikaner die Berghütte unter Beschuss nahmen. Sie stürzte daraufhin ein. Der dort eingesetzte Sanitäter aber hatte die Hütte noch verlassen können. Er war es, der dann seiner Einheit den Tod aller vier Verwundeten meldete, die sich in der Hütte befunden hatten.

In welches bodenlose Loch Leopold und Therese Kink an diesem Allerseelentag gefallen sein müssen, kann und mag man sich nicht vorstellen. Natürlich gab es damals so gut wie keine Familie, die keinen Gefallenen zu betrauern hatte, aber die Hoffnung war doch immer da, dass man selbst den Krieg überstehen könnte, ohne Vater, Bruder oder auch Sohn zu verlieren. Zumal Ende 1944 bereits absehbar war, dass der Krieg nicht mehr ewig dauern würde.

Wie man mit einer solchen Nachricht umzugehen versucht, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bei Leopold Kink war es grenzenlose Wut, in die er sich rettete. Er zertrümmerte kurzerhand den Volksempfänger. Offensichtlich hatte er genug von all der Propaganda, die immer noch von Wunderwaffen sprach, die bald zum Einsatz kommen sollten.

Wozu Wunderwaffen? Für Leopold Kink war der Krieg, an diesem zweiten November im Grunde abgeschlossen. Therese Kink aber hielt es so bald nicht mehr aus. Die absolute Stille im Haus wird ihr die innere Leere, die sie empfunden haben musste, wohl noch deutlicher gemacht haben. Sie jedenfalls bat ihren Mann, sich in der Nachbarschaft einen Volksempfänger zu leihen, sie wolle wenigstens an Silvester etwas Musik haben, in der Hoffnung, sich zumindest ein klein wenig ablenken zu können.

Radio nennt Namen
von Gefangenen

Es war am Neujahrstag 1945, als die Eltern von Hermann Kink zum ersten Mal wieder Radio hörten, allerdings nicht den Großdeutschen Rundfunk, sie hatten einen Schweizer Sender eingestellt. Der unterbrach mit einem Mal sein Volksmusikprogramm, um eine Liste von deutschen Soldaten durchzugeben, die in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten waren, also überlebt hatten. Dies würde, so hieß es, am nächsten Tag wiederum stattfinden.

Leopold und Therese Kink saßen deshalb am Nachmittag des zweiten Januars 1945 wieder vor dem Gerät. Wieder wurde eine Liste verlesen und schon der zweite Name lautete: Hermann Kink.

Dieser Moment muss ein Augenblick einer grenzenlosen einer schier unbeschreiblichen Freude gewesen sein. In die vielleicht, so könnte man sich vorstellen, aber bald auch wieder sorgender Zweifel eindrang: Hatte man sich auch wirklich nicht verhört? Waren die Amerikaner, war der Schweizer Rundfunk beim Erstellen der Liste auch wirklich keiner Verwechslung unterlegen?

Für Therese Kink aber war kein Zweifel möglich. Für sie war die Nachricht die Bestätigung einer Hoffnung, die sie insgeheim schon seit einigen Wochen gehegt hatte. Bei seinem letzten Urlaub hatte sie von ihrem Sohn eine Calla geschenkt bekommen, keine blühende Pflanze, nur den Stock. Der aber bekam nur wenige Tage nach der vermeintlichen Todesnachricht unvermittelt eine Blüte. Für Therese Kink etwas, an das sie sich mit aller Inbrunst geklammert hatte: Es muss dies ein Zeichen von Hermann sein, es kann nicht sein, dass er tatsächlich tot ist.

Die jetzt erlangte Gewissheit fußte allerdings einer Nachricht, die mit absolut niemandem zu teilen war: sie war ja durch Anhören eines „Feindsenders“ erlangt, in der damaligen Zeit ein Verbrechen, das viele andere bereits mit ihrem Leben bezahlt hatten. Also war nach außen Stillschweigen zu bewahren, und zusätzlich das Bemühen des Ortsgruppenleiters, Herman Kink zu einem Pruttinger Helden zu stilisieren, hinhaltend abzuwehren.

Über Tennessee
in die alte Heimat

Hermann Kink, den die Amerikaner aus der eingestürzten Hütte herausgegraben hatten, kam zunächst nach Tennessee. Schon im April 1946 wurde er aber von New York aus zusammen mit 2000 anderen eingeschifft. Alle hatten von den Amerikanern ihre Entlassungspapiere bekommen, und dennoch ging es nicht nach Hause. Das Schiff legte in Le Havre an, den 2000 ehemaligen Soldaten wurde eröffnet, dass sie zunächst für zwei Jahre in französische Arbeitslager kämen, bevor sie nach Hause dürften.

Hermann Kink erzählt, dass er als Neuling in seinem Arbeitslager zufällig in ein Zelt kam, wo einer der Kameraden den anderen aus der Hand las. Ob auch er seine Zukunft erfahren wolle, wurde er gefragt. Hermann Kink willigte ein und erzählt, dass sein Gegenüber, kaum nachdem er seine Hand genommen hatte, erstaunt ausrief: „Du kommst aber bald heim!“.

Die Verletzung
bringt ihn heim

Hermann Kink erinnert sich, dass er das Ganze für einen mehr als schlechten Witz gehalten habe, denn wie sollte er an den auferlegten zwei Jahren Arbeitslager vorbeikommen? Das wurde auch dadurch nicht besser, dass der Handleser voller Überzeugung prophezeit hatte, er werde noch vor seinem Geburtstag wieder zuhause sein. Der war im Oktober, jetzt war es Mai, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen, wäre, so dachte sich Hermann Kink, schon ein reichlich großes Wunder nötig.

Genau dieses trat aber ein. Die Verletzung, die Hermann Kink während des Spähtrupps erlitten hatte, brach wieder auf. Der Arzt des Arbeitslagers entschied, dass Hermann Kink so keine vernünftige Arbeitskraft war und deshalb zu entlassen wäre.

Noch im Juni 1946 war Hermann Kink wieder zuhause, 20 Jahre jung und doch schon im Bewusstsein, bereits zweimal ein kleines Wunder erlebt zu haben.

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