Aschau – Die Pandemie geht ins dritte Jahr, Konzertsäle dürfen nur bis zu 25 Prozent ausgebucht werden, für die Besucher gilt die 2G-plus-Regelung – was bedeutet das für viele Künstler aus der Region, die für ihren Lebensunterhalt das Publikum brauchen? Komponist Prof. Peter Michael Hamel, der in Aschau lebt, über verschobene Aufführungen und seine Sorge, dass in Zeiten von Corona die Kraft der Musik für die Seele schwindet.
Wie trifft Sie persönlich die Corona-Pandemie?
Für mich als Noten schreibender Komponist ist ja ein Rückzug in die Isolation, in das sogenannte Komponierhäusl, sozusagen in Quarantäne, eigentlich vertraut, sogar essenzielle Voraussetzung des schöpferischen Schaffens. Als Pianist und Organist sind allerdings alle Konzerte seit Anfang 2020 ausgefallen. Auch diejenigen mit meinen Söhnen Johnny und Michael Thelonious zusammen.
Sie haben viele Kontakte zu Künstlern. Wie sieht es bei den Kollegen aus?
Als Professor im Ruhestand geht es mir zwar wirtschaftlich nicht schlecht. Aber ich kenne viele Notfälle bei den freiberuflichen Kollegen und große Not bei den freischaffenden Instrumentalisten, Sängern und Liedermacher. Außerdem: Was bedeutet „Kein Singen in der Kirche?“ Was bedeutet „Kein Singen in der Schule?“
Welche Auswirkungen sehen Sie, wenn das Singen in Präsenz fehlt?
Betroffen denke ich an die seelischen Auswirkungen der Pandemie, an die Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen, an die Zunahme von Gewalt in Familien und an die Zunahme beim Alkoholkonsum.
Wie geht es weiter?
Auch im Jahr 2022 wird es ein Kulturbetrieb mit angezogener Handbremse sein. Wo wieder Opern- und Theateraufführungen kurzfristig stattfinden konnten, fehlte plötzlich das Publikum. Die Sorge ist, dass nach der Pandemie keiner mehr hingeht.
Was bedeutet das wirtschaftlich?
Riesige Umsatzeinbußen in der Kreativwirtschaft sind die Folge, auch bei der GEMA. Immerhin wurden für die 1,8 Millionen erwerbstätigen Kulturschaffenden fast zwei Milliarden Euro Unterstützung für Neustart bei Kunst und Kultur als Corona-Hilfen lockergemacht. Das scheint viel zu sein. Aber die Antragsformalitäten waren und sind für viele eine unüberwindbare Hürde.
Nennen Sie uns bitte persönliche Beispiele?
Ein persönliches Beispiel ist die Berliner Philharmonie: Meine Sinfonie Ur-Aufführung (UA) wurde nun erneut verschoben, jetzt auf Juni 2023. Hansjörg Schellenberger aus Sachrang als Chefdirigent will meiner Sechsten Sinfonie dort mit den Berliner Symphonikern zur Uraufführung bringen. Ein weiteres Beispiel ist Stuttgart: Während die Fußballstadien und Tanzveranstaltungen mit Publikum möglich waren, fand meine UA „So kam ich unter die Deutschen“ mit dem Tenorstar Daniel Behle in der leeren Liederhalle statt. Er hätte den Saal dreimal füllen können. Immerhin wurde vom Sender SWR eine Tonaufnahme gemacht und das Konzert als Videoaufzeichnung von der Internationalen Hugo Wolf Akademie veröffentlicht.
Was ist Ihre Hauptkritik an den Corona-Entscheidungen?
Meine größte Kritik ist der politische Missbrauch der Pandemie, die unterschiedlichen Maßnahmen in den verschiedenen Bundesländern und den unterschiedlichen Nachbarländern. Konzerte wurden leichtfertig mit Freizeitveranstaltungen gleichgesetzt. Sorgfältige Hygienemaßnahmen waren umsonst. Kultur hat leider keine Lobby, aber Kultur ist gesellschaftlich relevant und kein Luxus!
Was ist Ihr Wunsch für Ihre Heimatgemeinde Aschau?
Seit gut 20 Jahren haben wir nach Pfingsten jeden Freitag „Musik für die Seele“ in der katholischen Pfarrkirche „Zur Darstellung des Herrn“, möge es im Neuen Jahr wieder möglich sein. Eine weitere Hoffnung ist, dass wir am Palmsonntag eine Uraufführung des Werkes „Anverwandlung“ für Englischhorn und Streichtrio mit Hansjörg Schellenberger erleben können.
Interview: Anton Hötzelsperger