Stephanskirchen – Bloß kein Regen. Nur nicht fallen lassen. Oder gar selber hinfallen. Am 24.August 1972 standen sechs Jugendliche und junge Männer in Stephanskirchen auf der Straße, mit zunehmend schlotternden Knien. Sie warteten auf das olympische Feuer.
Jakob Wiesheu, Konrad Mühlberger, Hermann Ladner, Hans-Ulrich Kröger, Georg Bitter und Manfred „Bubi“ Fux waren sechs von 6200 Fackelträgern, die in einer Staffel dafür sorgten, dass die olympische Flamme ihren Weg von Olympia nach München – und in die Außenstellen Kiel und Augsburg – fand. Von Waldering bis hinunter zur Innbrücke liefen sie durch Stephanskirchen, „die halberte Gemeinde war unterwegs“, erinnert sich Hermann Ladner, dabei war es ein ganz normaler Donnerstagvormittag.
Eine Fackel
im Sportheim
Mitglieder im Sportverein waren sie alle, die Fackelträger. Und auch die jeweils sechs „Beiläufer“, die die Flamme und ihren Träger eskortierten. Zu den „Beiläufern“ gehörte Christian Ladner, mit damals 13 Jahren zu jung, um die Verantwortung eines olympischen Feuers zu tragen. Aber den 16-jährigen Bruder zu eskortieren, das ließ er sich nicht nehmen. „Naa, neidisch war ich nicht. Ich war froh, dass ich dabei sein durfte“, sagt er heute. Das durften überwiegend männliche Jugendliche, „ich glaub, dass nur hinter mir ein paar Mädels herliefen“, sagt Konrad Mühlberger mit einem breiten Grinsen.
Überhaupt sind sie sehr vergnügt, die vier noch lebenden Fackelträger und der eskortierende Bruder, bei einem Treffen im Sportheim des SVS. Dort ist eine der beiden Fackeln aufbewahrt, die damals in der Gemeinde blieben. Die andere ist im Gemeindemuseum im alten Rathaus.
Georg Bitter, mit damals 25 Jahren der Älteste der Runde, hat eine Rarität mitgebracht: Ein weißes Trägerhemd mit den olympischen Ringen, Schriftzug „München 1972“ und sonnenähnlichem Logo. Schallendes Gelächter in der Runde ob der Größe. „Mei, damals hat‘s basst“, sagt Bitter trocken. „Das durften wir behalten, die weißen kurzen Hosen mussten wir wieder abgeben.“ Nicht gleich am Straßenrand, aber doch kurz darauf. Da waren die Offiziellen vom IOC eisern.
„Die waren überhaupt saustreng“, erinnert sich Hermann Ladner. „Stimmt“, sagt Bitter, „als ich die Flamme an Kröger übergeben habe, hat sofort einer von den Offiziellen meine Fackel ausgemacht.“ Die fünf Herren im besten Alter gucken sich an, grinsen verschwörerisch – na klar hatte jemand ein Feuerzeug dabei. Und schon brannte die Flamme wieder…
Wer die olympische Flamme wie viele Meter durch Stephanskirchen getragen hat, das bekommen sie nicht mehr zusammen, die Herren, die sich zum Teil seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Auch bei der Reihenfolge bleiben leichte Zweifel. Sicher ist, dass Jakob Wiesheu der erste Stephanskirchner Fackelträger war. Er übernahm in Waldering von den Rosenheimer Radfahrern. Die waren in der Stadt vergessen worden, der SVS hatte großzügig die Strecken von Sonnen bis zur Gemeindegrenze abgetreten. Am Fuße des Schloßbergs übergab Bubi Fux an den Rosenheimer Kajakclub. Er hatte die Flamme von Uli Kröger übernommen, der wiederum von Bitter. Aber dazwischen? Erst Ladner, dann Mühlberger? Oder doch umgedreht? „Ach, ist doch wurscht“, finden sie.
Alle vier wissen noch genau, wie aufgeregt sie 60 bis 90 Minuten, bevor sie dran waren, am Übergabepunkt standen. Wie die Nervosität stieg und stieg. „Lass nicht ausgerechnet bei mir die Flamme ausgehen“, das Stoßgebet schickten sie alle nach oben. Es half auch nichts, dass sie wussten, dass die Originalflamme in einer Laterne im Tross mitgeführt wurde, das olympische Feuer immer wieder entfacht werden konnte. Die Blamage wollten sie sich alle ersparen. „Mei, hab ich die Fackel verkrampft getragen“, amüsiert sich Wiesheu über sein 16-jähriges Ich. Den anderen ging es auch nicht besser. Und das, obwohl sie mehrfach laufen geübt hatten, „damit wir synchron ein gewisses Tempo laufen konnten und damit die vorgegebene Choreografie hinhaute“, erzählt Hermann Ladner. „War das eine Riesenaufregung, als der Tross mit Polizei, NOK- und IOC-Vertretern dann kam“, erinnert sich Bitter, der mitten im Ort übernahm. Dort, wo Tausende auf beiden Seiten der Straße standen und klatschten. Mehr als zuschauen und jubeln ging nicht, einreihen war unmöglich. Da passten die Offiziellen auf. Überhaupt: „Der ganze Lauf war komplett durchgetaktet.“
„Wer hat denn dann…“, die Frage ist noch nicht ganz raus, da antworten die anderen im Chor: „Der Zahn!“ Günter Zahn, 18-jähriger Mittelstreckler aus Passau, war der letzte Fackelläufer. Ausgewählt aufgrund seines schönen Laufstils, drehte er die Runde im Olympia-Stadion und lief hinauf zum Stadionrand, um am 26.August 1972 die olympische Flamme in München zu entzünden. „Bracht hat‘s ihm nix, ganz große Erfolge hatte er nicht“, weiß Mühlberger.
Kleiner Teil
der Geschichte
Die hatten die Stephanskirchner Fackelträger – im Gegensatz zu Zahn – gar nicht angestrebt. Aber ein bisschen stolz sind sie alle, dass sie damals dabei waren. Hausieren gehen sie damit nicht, aber wenn das Thema darauf kommt, dann erzählen sie gern. Die jüngeren Generationen, die sind oft verblüfft, dass „der Alte“, der da gerade erzählt, ein kleiner Teil der olympischen Geschichte ist – „und dann sind sie meist beeindruckt“, lacht Hermann Ladner. Und erzählen können sie alle noch lebhaft davon, die Stephanskirchner Fackelläufer und ihre Eskorte. Klar, denn: „Das ist ein Ereignis, das es nur einmal im Leben gibt“, sagt Bitter. Und das man nie vergisst.