„Ich konnte mich nicht mehr bewegen“

von Redaktion

Richard Helm aus Rott über seinen beeindruckenden Weg aus dem Rollstuhl

Rott – Ganz normal vorwärtsgehen, das tun die meisten Menschen automatisch – ohne darüber nachzudenken. Doch was ist, wenn das nicht mehr funktioniert? Richard Helm, freier Mitarbeiter bei der Wasserburger Zeitung, hat eine Zeit lang den anderen neidisch zugesehen, wenn sie plaudernd über Bordsteine oder Hügel gingen. Denn er konnte es nicht. Das ist jetzt sieben Jahre her, aber der heute 61-Jährige erinnert sich noch an die schwere Zeit, als wäre es gestern gewesen. Seine Erfahrungen dazu hat der Rotter in dem Buch „Der Traum vom Gehen: Wie gehe ich damit um“ zusammengefasst. Der Wasserburger Zeitung hat er seine Geschichte erzählt.

Über zehn
Stunden dauert
die Notoperation

„Bei mir war das Gehen wegen eines Risses des oberen Aortenbogens für lange Zeit vorbei. Irgendwie spürte ich vorher, dass etwas nicht stimmt. Ich konnte gerade noch einen Freund anrufen, rettete mich ins Bett und da setzte schon ein großer Schmerz ein. Die Wand der Aorta riss, Blut strömte in meinen Oberkörper. Aber das merkte ich gar nicht mehr. Ich hatte bereits das Bewusstsein verloren“, erzählt Helm. Sein Freund fand ihn, alarmierte den Notarzt. „Und da kam mir das Glück zu Hilfe. Die Rettungsleitstelle hatte keinen Sanitätswagen zur Verfügung, deshalb schickte sie einen Hubschrauber. In einer mehr als zehnstündigen Notoperation retteten sie mir das Leben. Sie setzten mir eine Herzklappe und einen Stent ein. Bei dieser Operation muss der Brustkorb weit geöffnet werden. Dabei wurden einige Nervenbahnen zur Wirbelsäule zerstört“, berichtet der 61-Jährige. „Nach der OP konnte ich mich nicht bewegen: Ich war linksseitig gelähmt.“

Ein Leben im Rollstuhl stand ihm bevor. Helm lernte, damit die Hügel und Wege in der Umgebung rauf und runter zu fahren. Er lernte, wie Türen geöffnet werden oder wie er mit dem Rollstuhl rückwärts über einen Bordstein kommt.

In der Rehaklinik übte er das Gehen am Rollator und mit Nordic-Walking-Stöcken. „Ich habe auch mit diesen Stöcken das Treppengehen geübt. Ich wollte unbedingt mein altes Leben wieder haben.

Zur Seite standen mir zum Glück meine Geschwister und viele Freunde. Ihre Besuche waren Balsam für meine Seele. Es war wie Urlaub vom Klinikalltag, wenn sie kamen“, erzählt er. „Sie haben für mich auch eine Wohnung im Rotter Zentrum mit Aufzug gefunden und sind für mich mit allen Möbeln umgezogen. Oder sie nahmen mich mit zum Rotter Ausee zum Gehen und Baden“, blickt Helm zurück.

Schnell lernte er, nur noch mit den Nordic-Walking-Stöcken zu gehen, später konnte er sich auf „elegante Gehstöcke“ verlassen. „Soweit war alles bestens. Leider wurde ich leichtsinnig. In der Wohnung ging ich schon ohne Unterstützung und hielt mich an Möbel und den Wänden fest“, erzählt er. Doch als er eines Tags aus dem Badezimmer kam, rutschte er auf den nassen Fließen aus und brach sich den linken Oberschenkelknochen“, berichtet Helm.

Ein sogenannter Gamma-Nagel wurde zur Fixierung angebracht und er kam wieder auf Reha. Wieder musste er von Neuem das Gehen lernen – zuerst mit dem Rollstuhl, dann mit dem Rollator und schließlich mit den Stöcken.

Es war leider nicht das letzte Mal. Auf den ersten Gamma-Nagel folgte ein zweiter, dann bekam er eine Platte aus chirurgischem Stahl mit starken Schrauben und schließlich wurde die Bruchstelle begradigt und Titan eingesetzt. Die Wunde konnte heilen, aber der linke Fuß ist seitdem zwei Zentimeter kürzer. Mittlerweile hatte ich alles so satt. Das ständige Kämpfen, das Trainieren, das immer wieder neu beginnende Spiel vom Rollstuhl über den Rollator zu den Stöcken. Ich begann zu resignieren, mich mit meiner Behinderung abzufinden“, erzählt Helm.

Training
gegen Resignation und Langeweile

„Doch ein weiterer glücklicher Umstand in meinem Leben ist, dass mir schnell langweilig ist. So habe ich wieder trainiert und suchte mir eine neue Beschäftigung: Ich engagiere mich heute als Behindertenbeauftragter der Gemeinde Rott und ich schreibe für die Wasserburger Zeitung. Ich habe mich eingerichtet“, sagt der 61-Jährige.

Das Buch von Richard Helm „Der Traum vom Gehen: Wie gehe ich damit um“ bei Amazon erhältlich.

„Es gibt keine Lähmung, ich kann ganz normal gehen“

Richard Helm will noch weiter. Er glaubt: „Wenn ich mich einrichte in meiner eingeschränkten Gehweise, dann steckt darin auch eine große mentale Falle. Wir alle sind vielschichtige Menschen. Wir haben einen Körper, einen Geist und eine Seele. Wenn alles in Harmonie ist, geht es gut. Man sagt, der Glaube versetzt Berge. Und das stimmt. Wenn ich glaube, das ist halt so mit meiner Behinderung, dann ist es halt so und wird sich nicht ändern. Zum Glück habe ich einen Frohsinn, einen festen Willen und den Glauben, dass alles besser wird. Nach sieben Jahren in Kliniken und Rehazentren, ambulanter Physiotherapie und viel Training daheim wurden meine gelähmten Körperteile langsam besser. Ich kann wieder etwas spüren. Jetzt habe ich mir den Glaubenssatz gewählt: ‚Es gibt keine Lähmung, ich kann ganz normal gehen‘. Ich sage mir es immer wieder vor. Vielleicht ein Wunschglaube, aber ich spüre eine Besserung. Noch brauche ich den Rollator. Aber ich denke, ich kann ihn bald wieder durch Gehstöcke ersetzen. Vielleicht brauche ich irgendwann gar keine Hilfsmittel mehr. Ich muss nur noch normal gehen lernen, denn das habe ich mittlerweile verlernt.

Artikel 6 von 11