„Sie ist der gute Geist des Hauses“

von Redaktion

Manch anderer geht mit 60 Jahren in Rente: nicht Hildegard Kirner vom Keilhof in Aschau. Die 83-Jährige vermietet seit 60 Jahren Zimmer. Ans Aufhören denkt sie nicht. Kirner erzählt von Gästen, die Freunde wurden, und ihrer Leidenschaft als passionierte Vermieterin.

Aschau – „Sie ist der gute Geist des Hauses. Es geht um sie“, sagt Norbert Heep und zeigt auf Hildegard Kirner. Man sitzt in einer vertrauten Runde: Heep, der mit seiner Frau seit 35 Jahren nach Aschau kommt, Jürgen Burmann, er ist seit 1996 Stammgast bei Hildegard Kirner, und die Gastgeberin vom Keilhof selbst. Alle drei sind miteinander vertraut, kennen sich und sind Freunde – man siezt sich trotzdem.

Es begann als
Zimmermädchen

Der Keilhof liegt im Herzen Aschaus, nahe der katholischen Pfarrkirche „Zur Darstellung des Herrn“, gleich gegenüber der Residenz Heinz Winkler. Es ist ein beeindruckendes Gebäude mit einer gelben Fassade und grünen Fensterläden. Ganz in bayerischer Tradition blühen Geranien auf dem Balkon. „Vor 62 Jahren bin ich nach Aschau gekommen. Seit 60 Jahren bin ich auf dem Hof“, sagt Hildegard Kirner. Sie war damals „in Stellung“, also als Zimmermädchen angestellt.

Ihren bereits verstorbenen Mann, dem der Hof gehörte, lernte sie beim nahgelegenen Bäcker kennen. Und mit ihrem Mann heiratete sie in eine Gastgebertradition ein. „Ich habe die Zimmervermietung von meiner Schwiegermutter übernommen“, sagt Kirner. Eine Bürde sei das nie gewesen. Kirner habe schon immer mit Menschen arbeiten wollen und durch ihren Beruf als Zimmermädchen habe sie viele Aufgabenbereiche, die zur Zimmervermietung gehören, bereits gekannt. Seitdem hat sich einiges auf dem Keilhof verändert. „Am Anfang hatten wir keine Duschen und Toiletten in den Zimmern“, erinnert sich Kirner. Das warme Wasser musste mithilfe eines Ofens erhitzt werden.

Auch einen Fernseher gab es nicht. „Wir saßen abends oft mit unseren Gästen zusammen, haben gemeinsam musiziert, getanzt und gefeiert“, erzählt Kirner. Es seien schöne Zeiten gewesen.

Die drei am Tisch lächeln sich an und kommen ins Erzählen. Davon, dass der Junge von Jürgen Burmann in der noch damals angeschlossenen Landwirtschaft geholfen hat. Dass Kirner immer Platz für Gäste hatte: auch wenn mal ein Notlager im Bügelzimmer aufgeschlagen werden musste. „Erinnern Sie sich an einen Gast, der solches Sitzfleisch bewies, dass die Frau im Nachthemd runter kam, um ihn ins Bett zu holen?“, wirft Heep lachend ein. Solche Abende der Geselligkeit sind seltener geworden. „Die Gäste gehen abends auf ihre Zimmer und bleiben da“, so die Vermieterin. Doch mit ihren Stammgästen pflegt sie nach wie vor das Miteinander.

„Wir sind in über 44 Länder gereist“, sagt Heep, „aber einmal im Jahr müssen wir nach Aschau zu Frau Kirner.“ Die Verbundenheit zum Keilhof und zu Hildegard Kirner haben beide Stammgäste an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben. „Meine Kinder wollten vor zwei Jahren nach Südafrika, doch dann kam Corona. Da hieß es: Dann fahren wir nach Aschau zu Frau Kirner“, so Heep. Die Verbundenheit Burmanns zu der Region geht noch tiefer. Burmann lebt seit geraumer Zeit selbst in Aschau, sein Sohn hat sein zu Hause in Frasdorf gefunden. Nach wie vor kommt Jürgen Burmann mehrmals die Woche zum Kaffee.

Kirner und Burmann haben viel miteinander erlebt: der Verlust von Partnern, aber auch schöne Zeiten. Kirner hat den ersten Urlaub ihres Lebens bei den Burmanns, die damals noch in Bochum lebten, verbracht. „Es war das erste Mal, dass ich aus Aschau herausgekommen bin.“ Vor Ort habe Burmann Chauffeur gespielt. Denn dank seinen Erzählungen von der schönen Zeit auf dem Keilhof kamen viele Gäste aus dem Ruhrpott nach Aschau. „Die haben alle geschaut, als ich plötzlich vor der Tür stand.“ Die Gastgeberin wurde das erste Mal selber zum Gast.

Bereit für
das Frühstück

Hildegard Kirner ist nun 83 Jahre alt, aufhören will sie trotzdem noch nicht. „Ich bekomme ein bisschen Hilfe“, sagt Kirner. Denn Gäste bewirten ist viel Arbeit. Zu Beginn hat sie alles selber gemacht: das Frühstück, die Wäsche, die Zimmer und natürlich ihren Garten, mit dessen Blumen sie jahrelang die nahegelegene Kirche geschmückt hat. „Da muss man für alles Liebe und Freude empfinden“, sagt Kirner. Eine Liebe, die noch bis heute anhält: Denn noch heute steht die Vermieterin um viertel vor sechs Uhr auf, bereitet das Frühstück zu und deckt für ihre Gäste den Speisesaal ein. Aufhören kommt nämlich nicht in Frage.

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