„Da kommt noch Arbeit auf uns zu“

von Redaktion

Stephanskirchner Behindertenbeauftragter berichtet Gemeinderäten

Stephanskirchen – „Bayern ist 2023 barrierefrei“. Das hat 2013 Horst Seehofer, damals Ministerpräsident, verkündet. „Da ist, auch in Stephanskirchen, noch ein wenig zu tun“, sagt Harald Oberrenner, im neunten Jahr Behindertenbeauftragter der Gemeinde. Denn, so Oberrenner jüngst bei seinem Beauftragtenbericht im Hauptausschuss, behinderte Menschen sind oft nicht in der Lage, so am öffentlichen Leben teilzunehmen, wie sie es möchten. „Da kommt noch Arbeit auf uns zu.“

Ein Badesteg
als Meisterstück

Viel Arbeit hat Oberrenner in den letzten Jahren in einen barrierefreien Zugang in den Simssee investiert. Mittlerweile steht der Plan, der Seebesitzerverband ist mit an Bord, die Förderung über Leader ist gesichert. „Ich hatte immer das Gefühl, dass Verwaltung und Gemeinderat mit mir an einem Strang ziehen“, freut sich Oberrenner.

Hubert Lechner (Parteifreie) bezeichnete den Badesteg, der zur nächsten Schwimmsaison fertig sein soll, als „Meisterstück“ des Behindertenbeauftragten: „Höchst komplex, mit vielen Beteiligten – aber Sie sind immer dran geblieben.“ 1250 von 10700 Stephanskirchnern haben eine Behinderung, „aber jeder Mensch ist ein Einzelschicksal“. Das hat Oberrenner, selbst Rolli-Fahrer, in der letzten Zeit verstärkt festgestellt, denn die Zahl derer, die bei ihm Rat und Hilfe suchen, hat deutlich zugenommen. Nicht immer kann er so schnell helfen, wie im Fall einer verzweifelten Mama aus Baierbach: Die habe völlig aufgelöst bei ihm angerufen, weil ihr behindertes Kind auf dem neuen Spielplatz ausgegrenzt sei – es gebe kein einziges passendes Spielgerät. Ein Anruf im Bauamt bei Johannes Ottinger reichte. Der holte sich die finanzielle Rückendeckung des Bürgermeisters, installierte einen neuen Schaukelsitz – Mutter und Kind glücklich. Janna Miller (Die Grünen) schlug vor, den neuen Spielplatz am Tulpenweg inklusiv zu gestalten. Heißt zum Beispiel: Die Rutsche ist nicht über eine Leiter zu erreichen, sondern führt einen Hügel entlang. In Wasserburg sei das schon beschlossene Sache und auch Stephanskirchen solle da etwas Neues wagen. „Das ist öffentlicher Raum, da muss das für meine Begriffe sein“, bekam sie eindeutige Unterstützung von Oberrenner. Enorm dicke Bretter gilt es bei vielen Arbeitgebern zu bohren. „Die Arbeitslosigkeit unter behinderten Menschen ist horrend“, sagt Oberrenner. Er gebe noch immer das Vorurteil, dass einmal eingestellte Behinderte nicht kündbar – „Quatsch“, sagt der Behindertenbeauftragte – und dass sie weniger leistungsfähig seien. Dabei habe die Erfahrung längst gezeigt, dass Behinderte einem Betrieb gut tun. Die Gemeinde, lobte Oberrenner, gehe mit gutem Beispiel voran, habe mehr Mitarbeiter mit einer Behinderung, als sie müsste. Bei mehr als 20 Beschäftigten müssen es fünf Prozent sein, sonst zahlt der Arbeitgeber Strafe, immer wieder – bis die Quote erfüllt ist.

Stetige Verstöße
gegen Bauordnung

Sorgen macht Oberrenner auch, dass noch immer zu wenig Augenmerk auf barrierefreies Bauen gelegt wird. In der Bayerischen Bauordnung ist in Artikel 48 festgehalten, dass bei drei und mehr Wohneinheiten in einem Gebäude mindestens eine Wohnung barrierefrei zugänglich sein muss. Das gilt auch für private Bauvorhaben. Und doch würden immer wieder Bauanträge genehmigt, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, so Oberrenner. „Das engt die Auswahl für behinderte Menschen um mindestens 80 Prozent ein – und das bei dieser Marktlage.“

Gaststätten oder Geschäfte, die nur über zwei Stufen zu erreichen sind, Fußgängerampeln, die nicht piepsen, Treppen ohne Handläufe, Durchsagen in Bussen ohne schriftliche Anzeige – es sind die oft kleinen Dinge des Alltags, die Nicht-Behinderte gar nicht bemerken, die Menschen mit Behinderung das Leben schwer machen. Und die dafür sorgen, dass Bayern bis 2023 sicher nicht barrierefrei ist.

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