Rohrdorf – Derzeit häufen sich kritische Stimmen aus den Reihen der Feuerwehren. Bisweilen geht es um örtliche Probleme, wie in Schonstett. Manchmal aber auch um prinzipielle Fragen, wie jüngst auf der Jahreshauptversammlung der Ortsteilfeuerwehr Höhenmoos aus Rohrdorf. Dort wurde grundsätzliche Kritik am Rettungssystem geübt. Die OVB-Heimatzeitungen fragen Kommandanten Erich Turetschek und Kreisbrandrat Richard Schrank, warum?
Herr Turetschek, Sie sprachen auf der Jahresversammlung von einem zunehmenden Missbrauch der Feuerwehr für Rettungseinsätze. Worum geht es?
Erich Turetschek: Es geht darum, dass die Feuerwehren immer häufiger als Ersatz für die normalen Rettungswagen herhalten müssen. Wenn abzusehen ist, dass der Rettungswagen den Einsatzort nicht in der gesetzlich angepeilten Zeit von etwa zwölf Minuten erreichen kann, werden als Erstversorgungseinheiten die Feuerwehren alarmiert.
Aber erste Hilfeleistungen gehören doch sowieso zu Ihrem Aufgabengebiet?
Turetschek: Hier geht es aber nicht um Routineaufgaben, um das Retten oder Bergen von Personen und die unmittelbare Versorgung. Hier ist Leben oft aus komplexen Gründen in akuter Gefahr und dafür sind wir nicht vorbereitet. Wir sind keine ausgebildeten Rettungssanitäter. Ein Beispiel: Erst unlängst kam die Einsatzmeldung: „Atemnot, Person läuft blau an, höchste Eile geboten.“ Als wir vor Ort waren, stellte sich unvermittelt heraus, dass die „Person“ ein wenige Wochen altes Baby war. Sie können sich nicht vorstellen, wie es einem bei einem solchen Einsatz geht – helfen zu wollen, helfen zu müssen, ohne dafür geschult zu sein.
Richard Schrank: Solche Einsätze bleiben einem in den Knochen stecken, selbst wenn sie, wie im gerade erwähnten Fall, am Ende gut ausgehen. Ich erinnere mich noch heute an einen aus meiner Zeit als Kommandant. Auch da kam über Funk die Meldung „Unterstützung Rettungsdienst, Reanimation eines 18 Monate alten Babys.“ Da rutscht einem das Herz in die Hose. Sie müssen sich das vorstellen, wie wenn Sie zu einer Prüfung antreten müssen, auf die Sie sich absolut nicht vorbereitet haben, nur dass es hier auch noch um Menschenleben geht. Unsere Kameraden haben den Anspruch an sich – und normalerweise die Sicherheit – dass sie für ihre Einsätze optimal geschult und trainiert sind. Wenn man dann aber vor Aufgaben gestellt wird, bei denen man, statt effektiv und professionell arbeiten zu können, sozusagen im Nebel stochern muss, belastet das gewaltig.
Nun hat sich aber gerade in Rohrdorf, bei der Feuerwehr Thansau, eine schlagkräftige First-Responder-Truppe gebildet, um solchen Einsätzen professionell begegnen zu können.
Erich Turetschek: Das ist aber ein freiwilliges Engagement der Thansauer Kameraden, die das zusätzlich zu ihren normalen Aufgaben auf sich nehmen. Es soll und darf nicht sein, dass solche notgedrungenen Eigeninitiativen zu einer Regel werden, zu einer schleichenden Norm, auf die man sich dann einfach verlässt.
Wo sehen Sie die Ursache für die steigende Zahl dieser „First-Responder-“ Einsätze?
Schrank: Das hat verschiedene Gründe. Vereinfacht gesagt liegt dieses Problem auch daran, dass immer weniger Personal für immer mehr Patienten zuständig ist, und das ist übrigens nicht nur ein Phänomen der Corona-Pandemie gewesen. Es ist leider ein allgemeiner Trend. Das Personal im Pflege- und Rettungsdienst und die Ärzte leisten tolle Arbeit, befinden sich aber schon seit längerer Zeit an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Krankenhäuser sind überlastet und Rettungswagen immer häufiger immer weiter unterwegs, weil die naheliegenden Kliniken die Patienten nicht aufnehmen können. Das führt zum Teil so weit, dass ein Rettungswagen, der vom Landkreis nach München muss, quasi gar nicht mehr zurückkommt. Er wird sofort nach seiner „Freimeldung“ von den Münchener Leitstellen für dortige Notfall-Einsätze verwendet, weil auch da Mangel herrscht. Für die fehlenden Einsatzfahrzeuge hier vor Ort müssen dann eben die Feuerwehren einspringen. Dazu sind die Feuerwehren bei Vorliegen eines sogenannten Notstandes auch verpflichtet. Aber dies war von jeher für den besonderen Einzelfall vorgesehen und darf keinesfalls zur Regel werden. Das ist schlicht und einfach ein Zustand, der nicht tragbar ist.
Wo müsste man den Hebel ansetzen, damit sich die Bedingungen wieder normalisieren?
Schrank: Eine Änderung bedarf der Anpassung gesetzlicher Strukturen, da der Rettungsdienst über die Krankenkassen finanziert wird. Hier ist die Politik maßgeblich gefragt.
Interview: Johannes Thomae