Stephanskirchen – Es gibt Gemeinden entlang des geplanten Brenner-Nordzulaufs, die haben sich in ihr Schicksal ergeben. Ihnen geht es nicht mehr darum, ob eine Trasse kommt. Sie wollen nur noch das Beste für ihren Ort herausholen. Anders Stephanskirchen. Dort leisten die Kommunalpolitiker jeglicher Couleur im Schulterschluss mit der Verwaltung Widerstand wie weiland ein gallisches Dorf gegen die Römer.
„Der Brenner-Nordzulauf hat eine ganz neue Dramatik für uns bekommen“, sagt Bürgermeister Karl Mair (Parteifreie). Schuld daran ist die pinke Trasse, die die Bahn aktuell bevorzugt. Die genau über den neuen Trinkwasserbrunnen der Gemeinde im Ödenwald und durch dessen engste Schutzzone führt. Was nicht nur den Bürgermeister erbost, sondern auch die Gemeinderäte – die jetzt einstimmig eine erneute Resolution beschlossen.
Wertvolles Grundwasser
Der Widerstand der Stephanskirchner gründet auf zwei Pfeilern. Da ist zum einen das Wasser. Die Gemeinde sitzt auf einem ergiebigen Grundwasservorkommen, von dem das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim laut Mair sagt, es wäre verkehrt, das Wasser ungenutzt in den Inn laufen zu lassen. Am Innhochufer füllt die St. Leonhardsquelle dieses Wasser ab und der Wasserverein Obernburg versorgt mit diesem Wasser einen Teil von Stephanskirchen sowie mehrere Pruttinger Ortsteile.
Im Ödenwald hat Stephanskirchen in den vergangenen neun Jahren alles getan, einen eigenen Trinkwasserbrunnen zu finden, sein Schutzgebiet zu planen und mit diesem Brunnen auch den Willinger Brunnen der Stadtwerke Rosenheim zu entlasten. Der Notverbund mit Rosenheim ist seit 2021 vertraglich besiegelt, die Ausweisung des Wasserschutzgebietes seit Juli 2022 beantragt.
Das geplante Wasserschutzgebiet sei der Deutschen Bahn (DB) seit langem bekannt, so Dr. Andreas Uhlig, Geschäftsleiter der Gemeindeverwaltung, in der jüngsten Gemeinderatssitzung. Die DB habe der Gemeinde aber mitgeteilt, so Uhlig, dass sie den Eingriff in das Wasserschutzgebiet als weniger einschneidend ansehe als einen möglichen Eingriff in das Eigentum von zehn Anliegern in Scheiberloh.
Der ergäbe sich, wenn sich die Bahn bei ihrer Detailuntersuchung für eine offene Streckenführung mit einer Überquerung der weiter südlich verlaufenden Sims entscheidet. Denn dann komme die Bahn mit dem Tunnel nicht tief genug unter Scheiberloh hindurch. Dazu gibt es aber laut einer Sprecherin der DB zwei Alternativen: Eine offene Streckenführung mit einer Unterquerung der Sims sowie einen durchgängigen Tunnel aus Richtung Rohrdorf/Riedering. Beide Varianten ließen den Tunnel tief genug unter Scheiberloh hindurchführen.
Der zweite Pfeiler des Widerstands: die Zahlen. Den Stephanskirchnern fehlen sowohl der Bedarfsnachweis als auch eine belastbare Kosten-Nutzen-Rechnung. Weswegen der Brenner-Nordzulauf nach Ansicht von Thomas Riedrich (Parteifreie) 2016 rechtswidrig in den vordringlichen Bedarf rutschte.
Eine gewisse Verbitterung, dass die CSU trotz dreier Bundesverkehrsminister in Folge die Pläne für einen vierspurigen Trassenneubau nicht verhinderte, war in der Gemeinderatssitzung nicht zu überhören. Die Stephanskirchner CSU war ausgenommen, denn die ist, wie Fraktionssprecher Günter Juraschek betonte, genauso gegen eine neue Trasse wie alle anderen Gemeinderäte. Den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag „Tretet doch aus“ quittierten die vier CSU-Räte mit Schmunzeln. Die reine CSU-Schelte wollte der Bürgermeister aber so nicht stehen lassen: Die rot-grüne Koalition habe den BNZ 2003 auf den Weg gebracht, so Mair, und die Ampel-Koalition habe ihn im Koalitionsvertrag an die vierte Stelle der dringlichen Bahnprojekte gesetzt. „Wir haben zwei bis drei Jahre Zeit, in Berlin große Zweifel zu säen. Sonst gilt bei der Entscheidung des Bundestags 2025 Fraktionszwang“, so seine Einschätzung.
„35000 Unterschriften liegen in Berlin“
Einen Kommentar zur allseits gerne zitierten Bürgerbeteiligung konnte sich Riedrich nicht verkneifen: „Wir haben seit über drei Jahren eine Petition mit mehr als 35000 Unterschriften in Berlin liegen. Bisher unbehandelt. Das darf doch nicht wahr sein!“ Er führte noch einen Punkt für den Ausbau der Bestandsstrecke an: Die Magistrale Budapest-Paris läuft künftig über Mühldorf, nicht mehr über Rosenheim. „Schon deswegen sollten wir auf einer Ertüchtigung des Bestands beharren.“ Das tat der Gemeinderat dann auch. Ohne Gegenstimme.