Rohrdorf – Das Rathaus hat für den nächsten Monat einen neuen Praktikanten. Fragt man ihn nach seinem Namen, sagt er: „Schreiben Sie John, oder Johnny. Das muss reichen.“
Dass sich John da etwas zurückhaltend gibt, mag vielleicht auch daran liegen, dass er für einen Praktikanten schon etwas fortgeschrittenen Alters ist. Reichlich fortgeschrittenen Alters sogar, denn John stammt aus der Steinzeit. Das sagen zumindest die Mädchen und Buben der Klasseneinheit MS3 der Montessori-Schule. Und die müssen es wissen. Schließlich haben sie John kennengelernt, als sie eine Ausstellung über die Steinzeit entwickelten.
Kreative Kinder recherchieren selbst
Beim Erarbeiten all des Wissens, das für eine Ausstellung notwendig ist, hat ihnen John nicht wirklich geholfen. Er hat zwar offensichtlich ein freundliches Wesen, ist aber auch ziemlich maulfaul. Also blieb den Fünft- und Sechstklässlern nur, alles selber zu recherchieren.
Auch die Ideen für die Umsetzung: alle selbst entwickelt. Und ob Steinzeitkunst, Gebrauchsgegenstände, Essen und Trinken in der Steinzeit – die Ausstellungsstücke für alle Bereiche wurden ebenfalls selbst hergestellt. Das Ganze noch einmal auf den Punkt gebracht dann in einem großen Diorama, einer Steinzeitlandschaft.
Nicht nur vom Thema her, sondern auch von der Vorgehensweise: Einfallsreichtum und Improvisationstalent zeigen sich hier an jedem Eck und in jedem Detail: Ob Pfeifenputzer als Stoßzähne der Mammuts, ein zurechtgebogener Kronkorken als Wiege, Krokodile, die einst eine Wäscheklammer waren: „Schaff aus Nichts den perfekten Eindruck“, hätte der Auftrag an die Schüler lauten können.
Einziger Wermutstropfen: Diese tolle Ausstellung war in der Montessori-Schule nur einen einzigen Tag lang Ende Oktober zu sehen – mehr Zeit gab es aus Platzgründen nicht, denn die Ausstellung musste in einem Klassenzimmer aufgebaut werden. Anstatt zu jammern, machten sich die Schüler auf die Suche nach einem Plan B und kamen auf die Idee, ob wenigstens ein Teil ihrer Exponate im Rathaus ausgestellt werden könnte.
Und auch hier wieder galt als Devise für die Montessori-Kinder: Selbst ist die Frau, beziehungsweise der Mann. Sie selber schrieben an Bürgermeister Simon Hausstetter, um anzufragen, und waren dabei durchaus hartnäckig: Schrieben erneut, telefonierten nach.
Der Erfolg gab ihnen recht. Die Ausstellung ist ab sofort für einen Monat vor dem Sitzungssaal des Rathauses zu sehen, zu den Öffnungszeiten für alle zugänglich. In abgespeckter Form zwar, aber der Kern, das Diorama, ist dabei, vor dem Hintergrund großflächiger Höhlenmalereien, die die Klasse MS2 schon für die Erstausstellung beigesteuert hatte.
Und beim Aufbau am Dienstag dieser Woche konnte man live miterleben, wie eine Montessori-Schülergruppe in gemeinsamer Arbeit eine komplexe Aufgabe meistert: Indem man im Team kreativ auf die Herausforderung reagiert – und dabei unbeirrt am Ball bleibt. So zum Beispiel auch beim Aufhängen des Eingangsschildes an der Decke. Die Befestigung nicht einfach, sodass man sich vorsichtshalber schon einen Plan B zurechtlegte, zunächst aber an dem Satz „Aufgeben gibt’s nicht“ festhielt. Mit dem Ergebnis, dass das Schild jetzt da hängt, wo es hin sollte.
Johnny wacht vor dem Sitzungszimmer
Die ganze Ausstellung natürlich überwacht vom Steinzeitmenschen John. Welche Aufgaben ihm als Gemeindeverwaltungs-Praktikanten in den nächsten vier Wochen darüber hinaus noch zukommen könnten, ist noch nicht ganz klar. Ungewiss also, ob er an Fraktionssprechertreffen teilnehmen darf oder an Gemeinderatssitzungen. Aber selbst wenn er vor dem Eingang zum Sitzungszimmer stehen bleibt: Auf die Lebenserfahrung von jemandem, der, weil er vermutlich aus der Mittelsteinzeit stammt, runde 10000 Jahre alt sein dürfte, kann keine Gemeindeverwaltung leichtfertig verzichten.
Und zu guter Letzt für alle ganz Neugierigen: Ist John wirklich John und nicht etwa Johanna? John selbst wird bei diesem Thema äußerst schmallippig. Doch Christian Wimmer, der Lehrer der Klasse, versichert: John sei ziemlich sicher divers – sie wären so unverschämt gewesen und hätten nachgeschaut.