Bad Aibling – Wie für so viele war es auch für Tamara Danicic und Melanie Liebheit ein herber Schlag, als sie nach langer Vorarbeit die für März 2020 geplante Nonfiktionale wegen der Corona-Pandemie in der Woche vor Veranstaltungsbeginn absagen mussten.
Mit dem „Zwischenspiel“, bestehend aus vier Dokumentarfilmen, die Anfang Oktober 2020 gezeigt werden konnten, wollten die beiden Leiterinnen des Dokumentarfilm-Festivals die Wartezeit bis März 2021 verkürzen. Doch mussten die Termine sowohl 2021 als auch 2022 in den ohnehin veranstaltungsreichen, hochsommerlichen Juli verlegt werden – nicht unbedingt ideal, wie Tamara Danicic im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erzählt.
Frau Danicic, die 15. Nonfiktionale findet erstmals seit 2019 wieder im März statt. Wie froh sind Sie über die Rückkehr zu diesem Frühjahrstermin?
Für uns ist März DER Nonfiktionale-Monat – umso mehr als unsere Rückkehr ins Frühjahr ja nicht zuletzt eine Rückkehr zu so etwas wie Normalität bedeutet. Wir müssen nicht mehr ins Freie flüchten, Begegnungen nicht mehr nach draußen verlagern, um Risiken zu minimieren, sondern können endlich wieder zu gemeinsamen Filmerlebnissen im Kinosaal einladen. Und darauf freuen wir uns unbändig!
Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Sommerterminen in den Jahren 2021 und 2022?
2021 hat uns die Pandemie samt all der Auflagen – Maskenpflicht, Abstandsregelungen, Kontaktnachverfolgung, Publikumsdeckel – schon heftig gebeutelt. Nach mehreren Verschiebungen war die Situation auch im Sommer 2021 noch so, dass wir auf eine duale Festivalausgabe – im Kino, Open Air im Jugendzentrum und online – umschwenkten, um unser Programm möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.
Wirklich funktioniert hat der Online-Teil nicht, weil unser Festival ganz besonders von den Gesprächen und persönlichen Begegnungen lebt.
Das Jahr darauf ging schon etwas mehr. Masken waren nicht mehr Pflicht und es gab keine Abstandsregelungen. Trotzdem waren viele nach der langen Zeit noch immer vorsichtig, auch mit Kinobesuchen. Immerhin hatte man den Menschen zwei Jahre lang eingebläut, dass Kultur im Allgemeinen und Kinos im Speziellen hochriskant seien. Da legt man den Schalter nicht von jetzt auf gleich um.
Hat sich das alles auch auf die Stimmung bei der Nonfiktionale ausgewirkt?
Nein. Denn gleichzeitig war bei uns, unseren Gästen wie auch den Besucherinnen und Besuchern eine Riesenfreude zu spüren, dass man Filme nicht mehr nur zu Hause auf dem Sofa schauen konnte. Dass ein Gemeinschaftserlebnis im Kino mit anschließendem geteilten Nachdenken über die Filme wieder möglich war.
Für uns bedeuteten die beiden Ausnahme-Festivaljahre insgesamt natürlich einiges an zusätzlichem Aufwand und Improvisation. Gleichzeitig war es toll, dass uns die meisten unserer langjährigen Förderer und Sponsoren die Treue gehalten haben und unseren Weg mitgegangen sind. Das hat uns Kraft gegeben.
Das Dokumentarfestival steht heuer unter dem Motto „Auf dünnem Eis“? Wie kamen Sie auf diesen Titel?
Irgendwann nach dem Festival, wenn alle wieder ein bisschen Luft geholt haben, kommen wir in unserem Team zusammen und brainstormen gemeinsam. Dabei kamen wir letzten Sommer darauf, dass wir gerne Filme zeigen würden, die nicht – wie sonst üblich – Empathie und Sympathie seitens der Regie wie auch des Publikums voraussetzen.
Stattdessen interessierten uns Werke, in denen die Protagonisten zumindest ambivalent sind oder es um Dinge geht, denen man mit gemischten Gefühlen oder gar mit Widerstand begegnet. Nachdem wir den thematischen Fokus einigermaßen klar hatten, fanden wir das passende Bild dazu: „Auf dünnem Eis“.
Sehen Sie das „dünne Eis“ auch in Bezug auf das aktuelle weltpolitische Geschehen und auch generell die drängenden Themen dieser Zeit?
Nachdem die Nonfiktionale bewusst keine aktuelle Jahresauslese präsentiert, sondern auch ältere Filme bei uns ihren Platz haben, geht es uns nicht primär um politische Aktualität. Und selbst der in der Ukraine angesiedelte Film „Drei Frauen“ zeigt eine Welt, in der Krieg und Politik weit entfernt sind.
Gleichwohl lassen sich relevante politische und gesellschaftliche Fragen in einigen Filmen unseres Programms identifizieren, mal mehr, mal weniger ausgeprägt.
Die Filme drehen sich um die Themen Rassismus, Sozialstudien, Familiengeheimnisse, und politischer Zündstoff – hatten Sie diesbezüglich bestimmte Kriterien bei der Zusammenstellung des Programms?
Generell geht es uns bei der Nonfiktionale immer darum, einen Fächer aufzuspannen – sowohl was die Themen als auch die Umsetzung angeht.
Angesichts des Mottos haben wir uns bemüht, das Programm insgesamt nicht zu schwer oder zu düster zu gestalten, sondern auch Filmen Raum zu geben, in denen das Eis auch mal weniger unter den Füßen knirscht. Oder eine andere Struktur hat, um im Bild zu bleiben.
Unter wie vielen Beiträgen haben Sie die Filme, die gezeigt werden, ausgewählt?
Es waren diesmal rund 150 Einreichungen, aus denen wir am Ende 14 Wettbewerbsfilme ausgewählt haben.
Gibt es heuer Neuheiten oder Besonderheiten im Vergleich zu den Festivals in der Vergangenheit?
Mit dem Kinderprogramm, das wir seit einigen Jahren an jeweils zwei Nachmittagen anbieten, sprechen wir erstmals auch eine etwas ältere Zielgruppe an. Sprich, am Samstagnachmittag sind insbesondere Grundschulkinder willkommen, am Sonntagnachmittag eignen sich die Filme vor allem für die Unterstufe.
Ansonsten erweitern wir im Jugendzentrum JiMs Bergwerk unser Motto diesmal um eine kleine, feine Fotoausstellung, in der das dünne Eis ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Zu sehen sind die Bilder am Freitag- und Samstagabend.
Der letzte Programmplatz des Festivals wird immer mit einem Film bespielt, der von einem befreundeten Filmfestival ausgewählt und auch moderiert wird. Heuer ist es DOK Leipzig. Welcher Art ist Ihre Verbindung?
Meine Kollegin Melanie Liebheit, mit der ich das Festival in Doppelspitze leite, hatte mit ihrem eigenen Film im Herbst Premiere in Leipzig. Moderiert wurde das Ganze von Daniel Abma, der jetzt als Vertreter von DOK Leipzig – übrigens das älteste Dokumentarfilmfestival weltweit – die traditionelle „Carte Blanche“ auf dem letzten Programmplatz vor der Preisverleihung präsentiert. Gleichzeitig läuft Daniel Abma auch mit einem eigenen Film („Nach Wriezen“) im regulären Programm. Einen Festival-Hochkaräter wie DOK Leipzig zu Gast zu haben, ehrt uns natürlich besonders.
Worauf freuen Sie sich persönlich heuer besonders?
Auf tolle Filme vor großer Leinwand und auf all die Begegnungen, die bereichern und das Herz wärmen!
Interview: Eva Lagler