Langsam machen, um schnell zu sein

von Redaktion

Interview Bergsteiger und Manager Benedikt Böhm über die Kunst des Minimierens

Oberaudorf – Benedikt Böhm ist in seinem zweiten Leben Extrem-Skibergsteiger. In seinem ersten Leben ist er internationaler Geschäftsführer des Skitourenausrüsters Dynafit. Sowohl im Geschäftsleben als auch im Sport plant Böhm nicht nur seine Ziele akribisch, sondern arbeitet konsequent an deren Umsetzung.

Er besteigt bis zu 8000 Meter hohe Berge nicht nur ohne Sauerstoff und Fremdhilfe, sondern im sogenannten „Speed-Stil“, um das Risiko durch einen kürzeren Aufenthalt in der Todeszone zu reduzieren. Diese Grenzerfahrungen sind ihm vor allem für seine Managementkarriere hilfreich.

Am Samstag, 15. Juli, ist er um 19.30 Uhr mit einem Vortrag im Kursaal Oberaudorf zum Thema „Mut zu neuen Wegen – Erfolg durch Reduktion und Entscheidungsfreude“ zu hören. Die Reduktion auf das Wesentliche ist für ihn die heutige Erfolgsformel bei der Vielzahl der Möglichkeiten und Wege, die wir täglich wählen können. Dadurch werden Ziele schneller erreicht und am Ende seien wir meist glücklicher. Aber warum fällt uns das Reduzieren so schwer? Benedikt Böhm beleuchtet die heutigen Herausforderungen aus der Sicht eines Extrembergsteigers und Geschäftsführers eines führenden Sportartikelherstellers. Er erzählt, warum die spürbare Ungewissheit auch eine Chance für uns ist. Zuvor stand er für OVB-Heimatzeitungen zu einem Interview bereit:

Was fasziniert Sie am Speed-Bergsteigen?

Ich komme aus dem Leistungssport und mich hat immer interessiert, wo meine Grenzen liegen. Ich habe Spaß daran, mich zu pushen und auf große Ziele hinzuarbeiten. Im Speed-Bergsteigen sind diese Ziele, Grenzen und Grenzverschiebungen sehr umfangreich. Wir haben versucht, diese Achttausender so schnell wie möglich zu besteigen. Ich habe lernen müssen, dass man langsam machen muss, wenn man schnell sein will. Also viel Zeit in die Vorbereitung stecken muss. Ich lernte, dass Geschwindigkeit nichts mit naturgegebener Kraft zu tun hat, sondern eine hohe Kunstfertigkeit ist. Und wir haben durch Geschwindigkeit unser Risiko in der Todeszone reduziert, weil wir nur ein kürzeres Zeitfenster gebraucht haben.

Wenn man in möglichst kurzer Zeit einen Berg besteigt, verliert man dabei nicht den Blick für die Schönheit der Natur?

Nein, den verliert man nicht. Ganz im Gegenteil. Geschwindigkeit wird oft missverstanden. Deshalb spreche ich auch von der Kunst der Geschwindigkeit. Das gilt für alle Bereiche. Sport, Produktionen jeglicher Art, etc. Geschwindigkeit ist völlig subjektiv. Schauen Sie sich einen Marathon an. Die Profis kommen oft trotz hoher Geschwindigkeiten federleicht ins Ziel. Viel später treffen die großen Massen im Ziel ein. Oft völlig am Ende ihrer Kräfte. Ich würde behaupten, dass wir oft deutlich mehr wahrnehmen als Bergsteiger, die wesentlich langsamer und sogar mit künstlichem Sauerstoff unterwegs sind. Nicht die Geschwindigkeit ist entscheidend, sondern die Herzfrequenz. Sie sollte als Maßstab für die Wahrnehmung der Umgebung genommen werden.

Wie gehen Sie mit dem zeitlichen Druck beim Speed-Bergsteigen um?

Das gehört auch zur Kunst der Geschwindigkeit. Seine eigenen Grenzen zu kennen. Sich Zeitlimits im Rahmen seiner persönlichen Grenzen zu setzen. Wenn wir versuchen innerhalb von Stunden, anstatt von Tagen die höchsten Berge der Welt zu besteigen, hat das nichts mit drauflos bolzen zu tun. Alles ist genau geplant. Jede Sekunde. Jedes Gramm. Jedes Detail. Jeder Schritt. Jeder Schluck. Jeder Handgriff. Einfach alles. Dazu gehören auch zeitliche Meilensteine. Wann wollen wir wann wo sein? Wir starten immer in die Nacht hinein, um dann möglichst bei Sonnenaufgang in der Gipfelregion zu sein. Wir wollen genug Zeit für den Rückzug haben, falls etwas schiefläuft.

Ist Speed-Bergsteigen ein Sport, den jeder ausführen kann?

Ein Athlet ist jeder, der einen Körper und einen Willen hat. Gerade am Anfang macht man mit etwas Disziplin und Willen schnell große Fortschritte. Es ist ein fantastisches Gefühl, sich selbst und seinen Körper zu fühlen. Seine Grenzen kennenzulernen und diese zu verschieben. Immer ein bisschen schneller zu werden und alles zu optimieren. Es ist eine sehr gute Nachricht, wenn sich Menschen mehr bewegen und einen stärkeren Bezug zu ihrem Körper herstellen. Man muss nicht gleich auf 5000 Meter oder 8000 Meter hohe Berge laufen. Auch wir haben Jahre gebraucht, bis wir so weit waren. Man kann auch bei uns in den Voralpen ohne alpine Gefahren die Kunst der Geschwindigkeit perfektionieren. Und wenn einen dieses Gefühl packt, will man sowieso höher hinaus. Und wie bei jedem starken Gefühl, erkennt man es, wenn es da ist.

Hatten Sie beim Speed-Bergsteigen einmal Angst gehabt und wie sind Sie damit umgegangen?

Ja, ich hatte oft große Angst. Angst, mein Leben zu verlieren. Und ich habe immer noch Angst. Wir stehen jeden Tag vor der Entscheidung, unsere Ängste zu überwinden oder eben nicht. Ängste stehen oft zwischen uns und unseren Zielen und Potenzialen. Das ist schade, denn was würden wir nicht alles tun, wenn wir wüssten, dass wir erfolgreich wären? Es ist für mich manchmal etwas paradox. Wir leben –trotz vieler Herausforderungen – in der sichersten Welt, die es je gab. Auch sind wir durch unseren Sozialstaat so gut abgesichert, wie keine Generation zuvor. Dennoch scheinen wir uns weniger zu trauen. Ich spreche nicht vom Bergsteigen, sondern vom Standort Deutschland als Wirtschaftsgröße. Von den vielen Pionieren, die es in diesem Land zu Zeiten der Industrialisierung gab. Vielleicht sind wir zu satt? Vielleicht ist es der mangelnde Wille beim einen und die Angst beim anderen. Es würde uns als Land und Europa guttun, wenn wir jungen Menschen dabei helfen, ihre Ängste zu überwinden und zum Beispiel in jungen Jahren ihren Träumen nachzugehen, zum Beispiel Firmen zu gründen. Und am wichtigsten: Wir haben durch die individuelle Angst Visualisierung verstanden, wie wir unsere Ängste teilen können. Wie Geschwindigkeit ist auch Angst subjektiv. Wir haben verstanden, dass wir keine über alles erhabenen Leader sind, sondern wir unsere Ängste durch situatives Führen teilen können. Derjenige geht voraus, der die vorliegende Herausforderung am besten meistern kann. Dadurch hat der Folgende nur noch die Hälfte der Angst. So haben wir symbiotische Einheiten gebildet und Dinge miteinander erreicht, die wir ohne einander nicht geschafft hätten.

Wie bereiten Sie sich aufs Speed-Bergsteigen vor?

Bei meiner ersten Antwort beschrieb ich, dass wir lernten, langsam zu machen, wenn wir schnell sein wollen. Egal ob im Leistungssport oder an den höchsten Bergen. Und im Geschäftsleben gilt dasselbe Gesetz: 80 Prozent des Erfolgs ist die Vorbereitung. Wir haben Tausende von Stunden in körperliche, mentale und technische Vorbereitung gesteckt. Alles hinten angestellt. Was vor allem impliziert WEGLASSEN zu können. Wir fragten uns, was ist überlebenswichtig? Und was ist nur wichtig? Alles Wichtige wurde weggelassen.

Jeder Schnürsenkel abgeschnitten. Jedes Gramm. Gramm für Gramm. Das hört sich banal an, aber tatsächlich muss man tief im Detail sein, um wirklich fokussieren zu können. In unserem Fall hieß es ‚ja‘ zu sagen, zu allem, was uns schneller macht. Aber zu allem anderen ‚nein‘ zu sagen. Interview Volkhard Steffenhagen

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