Eine Million Bäume bis 2035 pflanzen

von Redaktion

Streuobstpakt der Bayerischen Staatsregierung greift auch im Chiemgau

Söllhuben/Rohrdorf – „Streuobstwiesen als vom Menschen geschaffene Kulturlandschaften sind in der Tat vielseitige und ökologisch wertvolle Agrarflächen, die eine lange Geschichte haben“, sagt Joachim Wiesböck, Geschäftsführer der ORO Obstverwertung in Rohrdorf. Er muss es wissen, denn in seinem Betrieb wird seit 1958 Streuobst aus der Region zu Saft verarbeitet.

Mehrfachnutzung
der Flächen möglich

„Streuobstwiesen sind durch ihre hochstämmigen, verstreut stehenden Obstbäume charakterisiert. Diese Bäume tragen im Allgemeinen verschiedene Obstsorten wie Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen oder Walnüsse, was zu einer Vielfalt in der Ernte führt. Die Wiesen zwischen den Bäumen können für die Weide- und Grünlandbewirtschaftung genutzt werden, was somit eine Mehrfachnutzung dieser Flächen ermöglicht und zu einer reichhaltigen Biodiversität beiträgt“, erklärt er.

Die Geschichte der Streuobstwiesen reiche weit zurück. Der Obstbau wurde im Mittelalter bereits professionell betrieben, aber im 18. und 19. Jahrhundert erlebten die Streuobstwiesen ihre Blütezeit, insbesondere in Mitteleuropa. Sie waren nicht nur wesentliche Quellen für Obst und Nahrungsmittel, sondern auch wichtige Elemente der Kulturlandschaft und der bäuerlichen Tradition, weiß Wiesböck. Die Bewirtschaftung zeichnet sich dadurch aus, dass in der Regel keine Pestizide eingesetzt werden. Dies liegt daran, dass die Bäume in einer solchen Umgebung natürlicherweise besser vor Schädlingen geschützt sind und die nun entstehende Artenvielfalt förderlich für das Gleichgewicht in der Natur ist. Dieses ökologische Konzept kommt der Umwelt zugute und bietet Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Viele Streuobstwiesen wurden im Zuge der intensiven Landwirtschaft und Urbanisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vernachlässigt oder gar zerstört. Geschätzt verschwinden jährlich etwa 100000 Streuobstbäume in Bayern. Insgesamt sind seit 1965 bereits 70 Prozent der Streuobstflächen verloren gegangen, teilt das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit. In den vergangenen Jahren setzte jedoch ein verstärktes Bewusstsein für den Erhalt der Streuobstwiesen als wertvolle Ökosysteme und Kulturerbe ein. In Bayern gibt es staatlicherseits Bemühungen sie wiederherzustellen und zu schützen. Ziel der Bayerischen Staatsregierung ist es, die bisherigen Bestände zu erhalten sowie bis 2035 eine Million weitere Bäume mit staatlichen Zuschüssen zu pflanzen.

Dazu rief sie bereits im Oktober 2021 den „Streuobstpakt“ ins Leben, über den alle dafür nötigen Maßnahmen gebündelt und durch die Tatkraft aller Beteiligten zu einem langfristigen Konzept verzahnt werden. Gastronom Lorenz Hilger aus Söllhuben, in der Region besser unter dem Namen Hirzinger „Lenzi“ bekannt, hat sich von dem Programm der Staatsregierung überzeugen lassen.

„Eigentlich wollte ich auf einer brachliegenden landwirtschaftlichen Fläche eine Blühwiese entstehen lassen. Dann hörte ich von dem Streuobstwiesenpakt, dem ich mich dann angeschlossen habe“, sagt Lenzi. Auf einer Fläche von rund 1,8 Hektar stehen somit jetzt 80 Bäume alter heimischer Obstsorten, wie Apfel-, Kirsch- und Zwetschgenbäume.

Platz für
Blühflächen lassen

„Wir haben zwischen den einzelnen Bäumen rund einen bis 15 Meter Platz gelassen, da die Fläche teilweise auch landwirtschaftlich genutzt werden soll. Dann hat man für die entsprechenden Geräte, wie Traktoren und Mähmaschinen, bessere Bewegungsfreiheit. Außerdem sollen um die Bäume herum blühende Wiesenflächen erhalten bleiben“, sagt der Streuobstwiesenbesitzer. „Das zieht Insekten und vor allem Bienen an, die wiederum für die Befruchtung der Bäume notwendig sind“, ergänzt Wiesböck. Die Pflanzen brauchen gut acht bis zehn Jahre, bis sie Früchte tragen. Dann will der Gastronom, der in seiner Gaststätte auf Regionalität setzt, das Obst zu Säften, Marmeladen und Kompott verarbeiten lassen oder seinen Gästen einfach pur zum Verzehr anbieten.

„Wir wissen zu wenig darüber, welche Faktoren zur Widerstandsfähigkeit der Streuobstwiesen gegenüber dem Klimawandel beitragen, was mögliche Anpassungsmaßnahmen wären und was bei einer Neuanlage zukünftig berücksichtigt werden sollte“, erklärt Wiesböck. Dies gab Anlass für ein bayernweites Forschungsprojekt. Gemeinsam mit Streuobstwiesen-Bewirtschaftenden möchte die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und die Technische Universität München die Auswirkungen des Klimawandels auf Streuobstwiesen in fünf Regionen Bayerns untersuchen.

Ziel des Projekts ist es gemeinsam mehr Wissen über das Agrarökosystem Streuobstwiese im Klimawandel zu schaffen sowie regionsspezifische Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln. Deshalb beteiligen sich auch Obsterzeuger aus dem Landkreis an diesem Projekt.

Kauf hochstämmiger
Gehölze gefördert

Mit finanzieller Unterstützung lockt das Förderprogramm „Streuobst für alle!“ der Staatsregierung. Dabei unterstützt sie die Pflanzung von Streuobstbäumen und fördert den Kauf von hochstämmigen Obstgehölzen. Es richtet sich sowohl an Landwirte, Privatpersonen und andere Interessenten. Die Förderung beinhaltet den Bruttokaufpreis der Obstbäume und beträgt bis zu 45 Euro pro Baum. Pro Antrag können zwischen zehn und maximal 100 Bäume gefördert werden.

Es ist wichtig, hochstämmige Obstgehölze zu verwenden, da diese typisch für Streuobstwiesen sind und einen wertvollen Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten bieten. Diese Förderprogramme tragen dazu bei, die Bedeutung von Streuobstwiesen als wertvolle Kulturlandschaften und Lebensräume für die Biodiversität zu betonen und ihre Erhaltung zu unterstützen. Sie fördern auch das Bewusstsein für die ökologische Landwirtschaft und den Naturschutz. Nähere Informationen erteilt das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unter www.stmelf.bayern.de. Hier können Förderanträge online elektronisch gestellt werden.

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