DRK-Suchdienst löst sich auf

von Redaktion

80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg endet die Nachforschung nach Vermissten

Frasdorf/Landkreis Rosenheim – Es ist ein guter Brauch, wenn die Trachtenvereine bei jedem Fest, bei jedem Jahrestag und jedem Jubiläum an ihre verstorbenen Mitglieder denken. Der Vorsitzende spricht am örtlichen Kriegerdenkmal, die Fahnen senken sich, die Musik spielt das „Lied vom guten Kameraden“, dazu ertönen drei Schuss Kanonensalut und dann geht es zum geselligen Teil des Tages.

Brauchen wir das Gedenken noch fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten und über 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges? Es waren die jungen Burschen vom Land, die den Großteil der deutschen Soldaten stellten. Viele von ihnen waren Mitglieder der Trachtenvereine.

Namen der Gefallenen
in Dörfern geläufig

Ihre Namen sind in den Dörfern geläufig und ihre Familien leben noch im Dorf. Oft tragen die nachgeborenen Buben, die heute zum Teil auch schon auf den 80er zugehen, die Namen der gefallenen Väter, Brüder und Onkeln. Rund 1,2 Millionen junge Männer sind seit mehr als 80 Jahren immer noch vermisst, doch in jedem Jahr klärt der DRK-Suchdienst in München Tausende von Schicksalen auf, auch lange nach dem Krieg. Die vom Bund finanzierte Aufgabe des DRK-Suchdienstes wird Ende 2025, 80 Jahre nach Kriegsende, eingestellt. Bis zum Jahresende 2023 werden noch Suchanfragen entgegengenommen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es von Millionen Vätern und Söhnen kein Lebens- oder Todeszeichen. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes machte sich auf die schwierige Suche nach den Verschollenen der Kriegsschauplätze in ganz Europa. Die Sachbearbeiterinnen in der Chiemgaustraße in München-Giesing können mithilfe ihrer umfangreichen Unterlagen noch Auskunft zum Schicksal der Kriegsvermissten geben. Der Jäger Max Lindner war erst 19 Jahre alt, als er mit der 13. Kompanie des Jägerregiments 204 der 97. Jägerdivision nach Südrussland kam. Er sollte nie in seinen Heimatort Frasdorf zurückkehren. Seine Mutter Emilie suchte vergeblich nach ihm. Alles, was ihr blieb, war ein Gutachten mit dem Ergebnis, dass ihr Sohn, wahrscheinlich gefallen war – wie so viele mit ihm.

All die Mütter, die diese Soldaten aufgezogen haben, die hatten mit ihren Kindern etwas anderes vor, als sie am Rande von Europa, für eine Ideologie zu opfern. So suchten Mütter, Väter, Ehefrauen und Kinder verzweifelt und oft jahrelang vergeblich.

Die Suche vererbte sich auf die Nachkommen und dauert bis heute an. Der Suchdienst half ihnen dabei. „Je teurer uns ein Mensch gewesen ist, umso tiefer würden wir ihn verleugnen, wenn wir uns weigerten, an der letzten und gewaltigsten Erschütterung seines Daseins, so wie sie wirklich war, teilzunehmen“, steht heute an einer Wand im Eingangsbereich der DRK-Suchdienst-Zentrale in München. Schon 1945 nahm der Dienst seine Arbeit auf und versuchte herauszufinden, wo vermisste Soldaten sich befanden und wer wo in Kriegsgefangenschaft geraten war. Im Jahr 1950 wurden alle Familien aufgerufen, ihre Vermissten zu melden.

Plakate mit dem Aufruf zur Registrierung der Kriegsgefangenen und Vermissten hingen überall in Deutschland. Die Anzahl stieg nach der Erfassung zwischen dem 1. und 11. März 1950 auf 2,5 Millionen Vermisste. Der Suchdienst erfasste ihre Namen und Daten, druckte umfassende Bücher mit hunderttausenden Fotografien und legte diese allen Kriegsteilnehmern und Heimkehrern vor mit der Frage: „Hast Du ihn gesehen?“ Sechs Millionen Soldaten und Kriegsteilnehmer des Zweiten Weltkriegs wurden so befragt. Bis heute ist das Schicksal der Hälfte aller deutschen Soldaten in Stalingrad dennoch ungeklärt. Weit über 50 Millionen Karteikarten lagerten bis vor wenigen Jahren in den Archiven des Suchdienstes in München. Mehr als zwölf Jahre waren notwendig, um sie alle zu digitalisieren.

Jetzt können die Sachbearbeiter alle in den vergangenen 80 Jahren entstandenen Unterlagen am Computer vergleichen, können ähnlich gelagerte Schicksale herbeiholen und können zusätzlich in den Unterlagen aus den Archiven Russlands nachforschen. Die Karteikarten erzählen auch nach 80 Jahren noch die Lebensgeschichten von Millionen Menschen, darunter allein 300000 Müllers und 300000 Schmidts.

Auch die Geschichte von Unteroffizier Florian Dietz ist dort dokumentiert. Mit Mitte 20 geriet er in Stalingrad in Kriegsgefangenschaft, erst nach fünf Jahren, zu Weihnachten 1948, kehrte er in seinen Heimatort in der Nähe von Bad Aibling zurück. Das waren dann diese großen Überraschungen, weil die Familie den Heimkehrer meistens gar nicht wiedererkannte. Heute gibt es noch 1,2 Millionen ungelöste Fälle, darunter zahlreiche aus Stalingrad. Der DRK-Suchdienst hat die Hoffnung, dass in den nächsten Monaten noch weitere geklärt werden können. Denn in den 90ern fand der Suchdienst in den Archiven in Moskau einen großen Schatz.

Russland gewährt
Einblick in Archive

„Plötzlich haben uns die Russen in ihre Bücher schauen lassen, wir erhielten Einblick in die Kriegsgefangenenakten, die vom Beginn der Kriegsgefangenschaft bis zur Entlassung für jeden Einzelnen penibel geführt wurden“, so die Sachbearbeiterin in München. So erhielt die Familie des Jägers Josef Stoib aus Lochen erst 60 Jahre nach dem Krieg die Gewissheit, dass der Bruder mit knapp 19 Jahren in Kriegsgefangenschaft geriet, am 28. Juli 1944 im Lager 280 in Stalino verstarb und auf dem Friedhof des Lagers bestattet wurde. Etwa fünf Millionen Datensätze zu rund drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen in Russland kamen auf Datenträgern nach München. Tausende sind schon an die letzten überlebenden Soldaten oder an ihre Familien weitergeleitet worden. Im Alter von über 90 Jahren halten sie den Fragebogen in der Hand, der über sie damals in russischer Gefangenschaft angelegt wurde. Die Reaktion reicht von Entsetzen bis Freude. Viele sagen, sie könnten nun endlich damit abschließen. Das Schicksal von rund 800000 Verschollenen aber, so schätzen die Verantwortlichen in München, wird sich nie mehr aufklären lassen.

reh

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