Schnupperflug mit Höhenangst

von Redaktion

Zu zweit im Ultraleicht-Flugzeug über Rosenheim – Überraschend anders als gedacht

Bad Endorf – Bernhard Heller wartet am Flugplatz Jolling bei Bad Endorf. Er trägt weder Mütze noch Uniform und auch keine Pilotenbrille. Schließlich steuert er kein Passagier-, sondern ein Ultraleichtflugzeug. Der Mann in Cargohosen und Hemd läuft auf mich zu. „Wir duzen uns hier auf dem Flugplatz“, stellt er klar. Gefolgt von einem Händedruck und Schulterklopfen.

So muss sich ein Kleinkind fühlen

Heller marschiert zum Flugzeug. Eine rot-weiße Ikarus C42 mit zwei Sitzen. „Zuerst mit dem Hintern“, sagt er, während ich schon versuche, zuerst meine Beine in den Fußraum zu schwingen. Ich setze mich hin, ziehe die Füße nach. Heller will mir den Gurt anlegen. Ich hebe erst den linken, dann den rechten Arm, schlupfe in den Gurt. So muss sich ein Kleinkind fühlen, wenn es im Autositz festgeschnallt wird. Er setzt mir das Headset auf und rückt das Mikrofon zurecht. Dann geht er um die Maschine und setzt sich neben mich. Ich sehe ihn wohl ein wenig erschrocken an. Denn Heller sagt:

„Wir machen das so lang, wie es dir taugt.“ Ich nicke. Er fragt, ob ich schon mal mit einem so kleinen Flugzeug geflogen bin. Nein, nur mit einem Helikopter. „Dann wird das angenehm für dich“, sagt er. Überzeugt bin ich davon noch nicht.

Heller legt einige Schalter um und testet den Motor, der laufe perfekt. Als Journalistin ist es meine Aufgabe, alles zu dokumentieren. Aber es passiert so viel, dass ich nicht alles mitschreiben kann. Der Pilot spricht von einer Checkliste. Sie werde vor dem Start „akribisch abgearbeitet“. Nichts überlasse er dem Zufall. Er kontaktiert den Flugleiter: „Bravo, Tango.“ Den Rest verstehe ich nicht. „Nato-Alphabet“, sagt Heller, „die internationale Sprache im Luftverkehr.“ Wir fahren die Startbahn entlang. Die Maschine hebt ab. Ich bin irritiert. Denn für die Leser filme ich den Start. Ich sehe die Rotorblätter nicht mehr, nur ihre kreisende Bewegung. Doch auf meinem Video ist jedes einzelne Rotorblatt zu sehen. Meine Augen können die Rotorblätter nicht erfassen, die Kamera schon.

Das Flugzeug ruckelt nach dem Start. „Weißblauer Himmel hat immer ein bisschen Bewegung“, sagt der Pilot. Wir fliegen über Wälder, vorbei an Halfing und Söchtenau. Ich dachte, dass es schlimmer wird, offenbare ich Bernhard Heller. Und erzähle ihm, dass ich manchmal Höhenangst habe. Als ich vor Jahren in Kolumbien war, habe ich den Fels von Guatapé bestiegen. Naja, ich bin die über 2000 Meter eher raufgekrochen – inklusive Herzrasen und Schwindel. Davon spüre ich diesmal nichts. „Höhenangst ist etwas anderes als Flugangst“, sagt Heller. Scheinbar hat er recht. Ich fühle mich sicher. Trotzdem fragt mich der Pilot immer wieder, ob alles in Ordnung ist. Und das ist es, mehr als das. Die ganze Zeit habe ich das Lied von Reinhard Mey im Kopf: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Nicht dass ich die Musik des Berliners besonders mag oder über den Wolken fliege. Frei fühle ich mich trotzdem. Alles sieht so klein aus, die Häuser, Autos und die Straßen, auf denen sie fahren. Wie Adern, die sich durch das Land schlängeln. Heller funkt den Flugleiter in Vogtareuth an. Er will einen Zwischenstopp einlegen. Der wird genehmigt. Der Pilot bereitet das Flugzeug für die Landung vor, fährt die Landeklappen aus. Wir rollen über die Bahn und parken vor dem Häuschen des Flugleiters. Heller sichert das Rettungssystem – Rakete und Fallschirm – mit einem Schlüssel. Drei Männer vom Motorflieger Club Rosenheim warten bereits auf uns: Helmut Frank, Stefan Argirin und Konrad Kneschaurek. Sie wollen ein Flugzeug verkaufen und warten auf die Interessenten aus Mallorca in Spanien. Stefan Argirin dokumentiert den Namen des Piloten, Landezeit und Herkunft des Flugzeugs in einem Computerprogramm. Nebenbei diskutieren die Männer über die Freiheit beim Fliegen und die Vorschriften im Flugverkehr. Sie scheinen nicht von allen Regeln begeistert. Bernhard Heller zahlt zehn Euro Landegebühr. Wir verabschieden uns, gehen zum Flugzeug und starten Richtung Rosenheim. Wir fliegen über den Inn, den Bahnhof und über das Herbstfest. Der Pilot nimmt mir den Stift aus der Hand und legt sie auf den Steuerhebel. Diesmal sehe ich ihn nicht nur wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher erschrocken an. „Einfach halten“, sagt er und lehnt sich etwas aus dem Fenster, um ein Foto zu machen.

Was, wenn der Pilot ohnmächtig wird?

Das Flugzeug dreht sich. Wohl fühle ich mich jetzt nicht mehr. Ich habe mehr Vertrauen in Bernhard, als in mich, wenn es darum geht, uns in der Luft zu halten. Kaum eine Überraschung. Er hat tausende Flugstunden hinter sich, für mich ist es die erste im Ultraleichtflugzeug. Plötzlich denke ich: Was, wenn er ohnmächtig wird? Wie soll ich dieses Teil landen? Mein Herz hüpft in meiner Brust.

Der Pilot übernimmt wieder, holt mich aus meinen Gedanken. Wir fliegen über Rosenheim, vorbei am Simssee. Da ruckelt das Flugzeug. „Da geht‘s richtig zur Sache“, sagt Heller. Und mein Herz, es meldet sich wieder, wummert vor sich hin. Ich frage den Experten: Gibt es Luftlöcher wirklich? „Nein, Luft verhält sich wie eine Wasserwelle, geht rauf und runter.“ Die Luftwelle sei nur nicht sichtbar.

Wir steuern den Flugplatz an, fliegen über die Stromleitung und Autos. „Mit sicherem Abstand“, betont Heller. Dann landet er das Flugzeug, rollt sanft über die Wiese. Die sei „weich wie Watte“. Meine Füße berühren den Boden und ich frage Heller: Was ist das Schlimmste, das in der Luft passieren kann? „Ein Zusammenstoß“, antwortet er. Aber auch Beinahe-Zusammenstöße müssten Piloten vermeiden. Beides sei ihm noch nicht passiert. Zum Glück auch diesmal nicht.

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