Eggstätt – Es ist heiß. Die Luft steht. Alltag im Container. Die Fenster sind auf der einen Seite mit Zeitung verklebt. Auf der anderen Seite hängt ein Bademantel. Die Jalousien sind kaputt. Christian Appel sitzt auf seinem Bett. Bei jeder Bewegung ächzt die Luftmatratze, die auf einem Feldbett aufliegt. Als zusätzlichen Sichtschutz hat er ein Zelt wie einen Baldachin um sein Bett gespannt. Er schüttelt den Kopf. „Das ist kein Zustand“, sagt er.
Wäsche wird in der
Dusche gewaschen
Neben einer kleinen Küchenzeile passen noch ein Fernseher, ein Klappstuhl und ein Regal mit einer Mikrowelle in den Container. Der Boden ist sauber gefegt. Das kleine Bad geputzt. „In der Duschkabine wasche ich meine Wäsche“, erklärt der 64-Jährige. Aufhängen müsse er sie „draußen auf dem Präsentierteller“.
Bereits seit zwei Jahren ist er auf der Suche nach einer neuen Bleibe. „Ich hatte eine schöne Wohnung vorher“, berichtet er. 64 Quadratmeter habe sie gehabt. Er habe sie stets sauber gehalten. Im Sommer 2021 kam dann die Kündigung wegen Eigenbedarf.
Acht Monate betrug die gesetzliche Kündigungsfrist. Die Zeit reichte nicht, um etwas Neues zu finden. Er zog vor Gericht. Trotz gerichtlicher Verlängerung konnte er keine Wohnung finden. Die Nachmittagssonne brennt. Im Container ist es nicht auszuhalten. Christian Appel sitzt auf einem alten Stuhl im Schatten seiner provisorischen Bleibe. Die Aussicht ist wenig einladend. Auf dem Grundstück, das die Gemeinde für den Wohncontainer angemietet hat, stehen außerdem drei große Transportcontainer mit Altkleidern. Daneben alte Gebrauchtwagen, die, wie Appel berichtet, ins Ausland verkauft werden wollen. Von dem alten Hof, der einst auf dem Grundstück stand, stehen nur noch die Grundmauern.
Nach dem Auszug aus seiner Wohnung habe ihn die Gemeinde zunächst in Hotelzimmern untergebracht. Dort habe er es gut gehabt. Allerdings gab es keine Kochmöglichkeit. „Das hat mein Bürgergeld aufgefressen“, berichtet er. Er versorge sich lieber selbst. „Ich kann auch ganz gut kochen“, sagt Appel.
Auch Hans Plank, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde, lässt die Situation nicht kalt. „Ich war bei Herrn Appel, habe mich lange mit ihm unterhalten“, sagt er. Er will helfen. „Wir tun, was wir können.“ Allerdings kämen er und die Gemeinde an ihre Grenzen. Wohnungen gebe es in der Gemeinde nicht. Die Hotels seien in der Ferienregion im Sommer ausgebucht. Der Container daher der letzte Weg.
Als Grund für seine Misere sieht Appel einerseits seine eigene Situation: Er ist 64 Jahre alt, lebt vom Bürgergeld. „Aufgrund meiner gesundheitlichen Situation darf ich nicht mehr als 20 Stunden arbeiten. In meinem Alter findet man da nur schwer Arbeit“, so Appel. Dennoch habe er viel gearbeitet. Mal hier, mal da. Sein letzter Job sei in einer Druckerei gewesen.
Andererseits habe er in der Vergangenheit nie Probleme gehabt, eine Wohnung zu finden. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Der Wohnungsmarkt ist komplett leer gefegt.“ Als Bürgergeld-Empfänger verfügt er über ein begrenztes Budget. Dass er Schulden hat und somit eine negative Schufa-Auskunft, erschwere seine Situation. Appel sei laut Plank der erste Obdachlose in der Gemeinde. „Diese Situation ist auch für uns vollkommen neu“, berichtet er. Der Zweite Bürgermeister habe „den Container geerbt“. Eingerichtet hat ihn sein Vorgänger Christian Glas, der im April von seinem Amt als Bürgermeister zurückgetreten war. Besonders brisant: „Es gibt noch weitere Fälle von Bürgern in Eggstätt, die derzeit von Obdachlosigkeit bedroht sind.“ Für die Gemeinde eine völlig überraschende Situation. Für Plank ein aktuelles gesellschaftliches Problem.
In diesem Fall
besonders schwierig
Im Fall von Christian Appel sei es jedoch besonders schwierig, so Plank. Denn Appel suche nur in Eggstätt nach einer Wohnung. „Leider hat er bisher keine Ratschläge diesbezüglich angenommen“, sagt der Zweite Bürgermeister.
Dem widerspricht Appel. Er suche auch in den umliegenden Gemeinden Rimsting, Prien, Obing und Riedering. Allerdings wolle er nicht zu weit weg. „Die wenigen Freunde, die ich noch habe, leben hier“, beteuert er. Außerdem sei er auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und könne nicht zu weit aufs Land ziehen. „Ich muss mich ja irgendwie versorgen können.“
Janett Bodemann, Sozialpädagogin bei der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit im Landkreis Rosenheim (FOL), weiß: „Obdachlose gibt es in allen Gemeinden des Landkreises. Es will nur keiner darüber sprechen.“ Bei der FOL berät sie Menschen, die bedroht sind, in die Obdachlosigkeit zu rutschen.
Nur zuständig bis
zur Unterbringung
Allerdings seien die FOL nur bis zur Unterbringung durch Behörden oder Gemeinden zuständig. Dann könne sie nichts mehr tun, denn eine Beratung sei nicht mehr finanziert. Allerdings hätten Menschen, die in die Obdachlosigkeit geraten, durchaus einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung (Anmerk. d. Red.: Es handelt sich um Paragraf 67 SGB XII). „Nur wird dieser Anspruch nie durchgesetzt“, bedauert Bodemann.
Den Menschen fehlen die rechtliche Unterstützung und das Wissen. „Die Gemeinden und Landräte scheinen sich darauf auszuruhen“, meint Bodemann.
Christian Appel ist dabei, die Hoffnung zu verlieren. „Ich suche wirklich jeden Tag im Internet, schaue in die Zeitungen.“
Der Platz, auf dem der Container steht, ist nur noch bis zum 30. September gemietet. Er und auch Plank hoffen, dass der Vertrag mit dem Grundstückseigentümer verlängert werden kann. „Oder vielleicht finde ich ja doch noch etwas. Es sollte doch nicht zu viel verlangt sein, eine Wohnung zu haben“, sagt Appel.