„Ein Schlag ins Gesicht“

von Redaktion

Erzieherinnen kritisieren gelockerte Vorgaben für Kita-Leitungen scharf

Aschau/Bernau/Samerberg – Die drei Frauen sind aufgeregt, normalerweise wenden sie sich nicht an die Presse. Und sie wollen nicht jammern. Aber das Thema ist ihnen zu wichtig. Sie sorgen sich um Kinder, Eltern und Kita-Mitarbeiter. Denn seit 1. Juli müssen Kita-Leiter keine pädagogische Ausbildung mehr haben. Für die drei ausgebildeten Kita-Leiterinnen ist das eine Katastrophe.

Immer komplexer
und schwieriger

„Ich finde es jetzt wichtiger denn je, dass sich die Leitung in der Pädagogik auskennt“, sagt Claudia Scheck. Sie leitet seit rund 30 Jahren die Kita „Spatzennest“ in Aschau im Chiemgau. Die Arbeit werde immer komplexer, die Themen schwieriger – ob Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie oder Familienprobleme. Die Familienstruktur ändert sich Scheck zufolge immer mehr. Es gebe Alleinerziehende, Geschiedene und Patchworkfamilien. Alle Einflüsse von außen müssten die Kita-Leiterinnen – es sind fast nur Frauen – auffangen.

Es gebe immer mehr Elterngespräche, immer mehr Beratung, immer mehr Therapeuten im Haus. Denn die Kinder zeigen mehr Verhaltens- und Sprachauffälligkeiten als früher, sagt Scheck. Manche Kinder seien sehr zurückgezogen, andere könnten kaum still sitzen und sich konzentrieren. Wieder andere hätten Probleme mit Aussprache, Grammatik und Satzbau.

Wie die Leiterinnen mit solchen Situationen umgehen, wissen sie laut Claudia Scheck aus der Pädagogik. Es sei sehr zeitaufwendig, sich mit den Kindern auseinanderzusetzen und das Gespräch zu suchen. Ein Gespür für die Kleinen sei wichtig, sensibel müsse man sein.

„Die Anforderungen werden immer höher, wie soll das eine nicht-pädagogische Leitung schaffen?“, fragt Scheck. Gar nicht, ist sie sich sicher.

Auch Christl Wullinger glaubt nicht, dass Betriebswirte und andere Quereinsteiger Kitas leiten können. Die 74-Jährige hat den Kindergarten Samerberg etwa 25 Jahre geleitet und ist 2014 in Rente gegangen. Wullinger ist verärgert und entsetzt über die neue Regelung. Die Pädagogik sei für sie immer ein Schwerpunkt in der Kinderbetreuung gewesen. „Was jetzt daraus wird, erschüttert mich echt“, sagt sie.

Nicht nur für die Kinder und Eltern sei eine Leiterin mit einem guten Pädagogik-Grundwissen wichtig. Auch die Erzieherinnen brauchen laut Wullinger einen Ansprechpartner. Ihren Kolleginnen sei immer wichtig gewesen, dass sie bei Elterngesprächen dabei ist, um zu vermitteln. „Das Personal geht, wenn sie keinen Ansprechpartner haben“, sagt Wullinger. Ein „Crash-Kurs“ reiche für eine Stelle als Leiter nicht.

„Da braucht es Fingerspitzengefühl“, sagt Martina Lackerschmid-Schenk. Sie hat das Kinderhaus Eichet in Bernau am Chiemsee geleitet, ist nun im Urlaub und ab 1. November in Rente. Die Leiter müssten die Kinder bei der Entwicklung begleiten, es gehe um die Weichenstellung für das restliche Leben. „Das setzt voraus, dass ich die Kinder beobachte und weiß, was in den ersten Jahren passiert“, findet Lackerschmid-Schenk.

Dafür bräuchten die Leiterinnen mehr Zeit. Doch stattdessen müssten sie sich immer mehr mit Verwaltungsaufgaben beschäftigen. Der Vorschlag der drei Frauen: Eine Verwaltungskraft, die der Leitung zur Seite gestellt wird. Diese kann laut Lackerschmid-Schenk Rechnungen zahlen, Buchungsbelege und Förderungen prüfen. „Wenn man der Leitung eine neue Leitung davorsetzt, das wär ein Schlag ins Gesicht“, sagt sie.

Laut einer Sprecherin des Familienministeriums sollen neue Wege in Zeiten des Fachkräftemangels gegangen werden. Die Anforderungen an die Kita-Leitung hätten sich deutlich gewandelt. In großen Einrichtungen müssten die Leiterinnen oft betriebswirtschaftliche und organisatorische Aufgaben erledigen.

Ziel der Änderung der Kinderbildungsverordnung sei eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, auch für die pädagogischen Kräfte. Denn Verwaltungsaufgaben könnten jetzt durch entsprechend ausgebildetes Personal wahrgenommen werden. Das pädagogische Personal werde dadurch entlastet und habe mehr Zeit für pädagogische Aufgaben.

Keine Abstriche bei
der Pädagogik

Leitungen müssen der Sprecherin zufolge weiterhin über ausreichend praktische Erfahrung verfügen und an einer Fortbildung für Leitungskräfte teilgenommen haben. Jede Einrichtung müsse über ein pädagogisches Konzept verfügen und die Bayerischen Bildungs- und Erziehungsziele beachten. „Bei der pädagogischen Tätigkeit werden keine Abstriche gemacht“, sagt die Sprecherin. Zudem hätten auch bisher Fachkräfte eine Kita leiten können, die keine pädagogische Ausbildung hatten. Allerdings fehlte dann eine Fördervoraussetzung.

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