Ein Geschichtenerzähler wird 100

von Redaktion

Erinnerungen an Otfried Preußler – Festakt heute, Freitag, in Stephanskirchen

Stephanskirchen – Die Kinderbücher von Otfried Preußler sind nicht nur in der Region bekannt. Weltweit lesen Kinder die Geschichten, die er zunächst seinen Schülern erzählt und später niedergeschrieben hat. „Die Kleine Hexe“ wurde in 46 Sprachen, „Der Räuber Hotzenplotz“ in 43 Sprachen und „Der Kleine Wassermann“ in 34 Sprachen übersetzt. Die weltweite Gesamtauflage seiner Bücher liegt bei 50 Millionen Exemplaren.

Andrang in der
Gemeindebücherei

Preußlers Werke gibt es – natürlich – auch in der Bücherei im Roten Schulhaus am Schloßberg zum Ausleihen. Im Jubiläumsjahr sind viele Kinder gekommen, um sie zu lesen. „In den Schulen wurden die Geschichten gelesen, und Filme geschaut. Einige Kinder sind danach zu uns gekommen“, berichtet Ursula Dreischl. Das freut die Leiterin der Bücherei, denn in den vergangenen Jahren seien Preußlers Geschichten ein wenig in Vergessenheit geraten. „Die Kinder sind heute hochglanzgebundene Bücher gewöhnt. Das waren Preußlers Bücher nicht.“ Allerdings sind einige der Klassiker wie „Die kleine Hexe“, „Der kleine Wassermann“ und „Das kleine Gespenst“ überarbeitet und als Erstleser-Bücher und in Hochglanzformat aufgelegt worden, die wieder Anklang bei den jungen Lesern finden. Auch diese liegen in der Bücherei aus.

Zauberhaftes und
Reales verknüpft

Das Besondere an Preußler als Geschichtenerzähler ist für Dreischl seine Art, Fantastisches, Zauberhaftes an die reale Welt anzuknüpfen: „Aber so, dass es Kinder verstehen.“ Die eigene Welt verbunden mit der Zauberwelt. Gleichzeitig zeichne sich bei Preußler das Motiv ab, dass „das Kleine“ Recht behält und gewinnt. „Sei es die kleine Hexe oder der kleine Wassermann. Am Ende kämpfen die Kleinen und schaffen es und gehen ihren Weg“, erklärt Dreischl: Das mache Mut.

Generell ist das Festjahr mit seinen vielen Veranstaltungen sehr gut angekommen. Etwa 5500 Besucher haben die Veranstaltungen bislang besucht, davon knapp 5000 allein in der „Räuber Hotzenplotz“-Ausstellung in Haidholzen. „Es waren viele Großeltern mit ihren Enkeln da, aber auch Erwachsene und Besucher aus München, Ingolstadt und andere Urlauber kamen“, berichtet Dreischl. Zu ihrer Überraschung kamen auch viele Erwachsene ohne Kinder. Auf Nachfragen hätten sie berichtet, dass sie sich mit den Geschichten verbunden fühlen.

Pädagoge und
„Anwalt der Kinder“

Deutschlandweit sind 22 Schulen nach Otfried Preußler benannt. Dazu gehört auch die Otfried-Preußler-Schule (OPS) in Stephanskirchen. An dieser Grund- und Mittelschule ist er kurzzeitig Schulleiter gewesen. Insgesamt seien dies jedoch nur drei Wochen gewesen. „Wie er als Lehrer war, dazu habe ich keine persönlichen Überlieferungen“, berichtet Schulleiter Florian Burggraf. Der pädagogische Mehrwert seiner Geschichten zeige sich im Schulalltag aber deutlich.

Vor allem in der Grundschule werden die Werke Preußlers gelesen. „Die Geschichten sind zeitlos und spielen in einer guten Welt“, sagt Burggraf. Jedes Jahr bei der Einschulung begrüße er die neuen Erstklässler mit einer Puppe vom Räuber Hotzenplotz in der Hand. „Das Schöne ist, die Hälfte der Kinder kennt ihn bereits.“

Aber auch die weniger bekannten Geschichten Preußlers sind in der Schule zugänglich. In der ganzen Schule ist Preußler allgegenwärtig: in Schaukästen und Vitrinen, durch den von den Schülern selbstgebauten Maibaum vor der Schule, während der alljährlichen Aufführung der Theater AG. „Heuer wird im November der Hotzenplotz aufgeführt“, so Burggraf.

Neben seinen Geschichten hat sich Preußler auch in vielen theoretischen Schriften wie Aufsätzen und Interviews als „Anwalt der Kinder“ und pädagogischer Mahner zu Wort gemeldet. Zudem hat er sich auch für bedürftige Kinder eingesetzt. Zu Ehren des 100. Geburtstages des Kinderbuch-Autors veranstaltet die Otfried-Preußler-Schule deswegen einen Spendenlauf. Pro gelaufener Runde sammeln die Schüler Geldbeträge, die der von Preußler 1992 gegründeten Stiftung „Hilfswerk Aschau“ zugute kommen. Diese unterstützt die orthopädische Kinderklinik Aschau.

In der 9. und 10. Klasse wird auch „Krabat“ gelesen und besprochen. „Da es wesentlich komplexer ist und eingeordnet werden muss, eignet es sich eher für die höheren Jahrgänge“, erklärt der Schulleiter. Auch Burggraf selbst beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Preußler und seiner persönlichen Geschichte. „Für mich persönlich ist das sehr bereichernd, da es mir bei der Einordnung des ‚Krabat‘ hilft und die Geschichte viel greifbarer und verständlicher macht“, berichtet er. „Ich persönlich als Schulleiter stehe Otfried Preußler erfüchtig gegenüber und hoffe, seinem Nachlass hier an der Schule gerecht zu werden.“

Nachbar und
(Ehren-)Bürger

Wer sich noch sehr gut an Otfried Preußler erinnert, ist Stephanskirchens Altbürgermeister Rudi Zehentner. Von 1996 bis 2008 war er das Oberhaupt der Gemeinde gewesen. In seinen 30 Jahren in der Kommunalpolitik hat er immer wieder mit Preußler zu tun gehabt. „Die Integration der Sudetendeutschen war ihm immer sehr wichtig“, berichtet er. Preußlers Familie stammt aus dem böhmischen Reichenberg (heute Liberec). Nach dem Krieg landete er in Stephanskirchen.

Zehentner ist gebürtiger Stephanskirchener. Seine Familie lebte am Schloßberg, unweit der Familie Preußler. „Mit der älteren Tochter war ich in der Grundschule in einer Klasse.“ Dadurch hat er viele persönliche Erinnerungen aus der Kindheit: So war Preußler Lehrer an der ehemaligen evangelischen Volksschule in Rosenheim. Zehentner besuchte damals das Ignaz-Günther-Gymnasium nebenan. „Ich erinnere mich, dass er immer einen langen weißen Mantel während der Pausenaufsicht getragen hat.“

Aber Preußler war mehr als nur ein Geschichtenerzähler, wie Zehentner betont: „Er war nicht nur der gemütliche Opa-Typ, wie viele glauben.“ Er sei ein selbstbewusster, gar autoritärer Mann gewesen. „Er wusste, was er kann, und wie er sich Respekt verschafft.“ Seine persönliche Geschichte als Kriegsgefangener und Heimatvertriebener, als Lehrer in dieser Zeit hätten ihn persönlich geprägt – und sein politisches Engagement.

„Wir sind froh, dass wir mit dem Jubiläumsjahr, den Bezug zwischen Otfried Preußler und der Gemeinde hervorheben konnten“, sagt Karl Mair, Bürgermeister von Stephanskirchen. 1993 – Preußler war damals 70 Jahre alt – zeichnete die Gemeinde ihn mit der Ehrenbürgerwürde aus.

„Stephanskirchen war nach wie vor der Mittelpunkt seines Schaffens. Preußler hat den Namen der Gemeinde mit seinem Wirken stets positiv nach außen getragen.“ Darauf sei man sehr stolz. Schade sei, dass das Haus im Rübezahlweg nicht mehr stehe, da man gerne ein Museum dort errichtet hätte. Da Preußler seinen gesamten Nachlass der Berliner Staatsbibliothek vermacht hat, sei dies nicht möglich gewesen, so Bürgermeister Mair.

Festakt am
heutigen Freitag

Beim Festakt sollen zu Preußlers Gedenken Zeitzeugen zu Wort kommen, darunter unter anderem seine Sekretärin Christine Annies, Stephanskirchens Altbürgermeister Rudi Zehentner sowie Rainer Hoffmann, Senior-Geschäftsführer der Pit-Werke in Haidholzen. „Die Familie Hoffmann stammt ebenfalls aus Reichenberg. Otfried Preußler hat, bevor er Lehrer wurde, dort als Werbetexter gearbeitet“, weiß Mair. Gleichzeitig soll ein Mikrofon unter den Zuschauern herumgereicht werden. „Wer selbst noch etwas zu berichten kann, darf dann gerne erzählen“, so der Bürgermeister.

Am 18. Februar 2013 starb Otfried Preußler im Alter von 89 Jahren. Die Trauerfeier fand in der katholischen Kirche St. Nikolaus in Rosenheim statt. Hannelore Maurer, seit 2011 Gemeindereferentin der Stadtteilkirche Rosenheim-Inn, hielt damals die Trauerrede. „Dass mir damals die Aufgabe zugefallen ist, Otfried Preußler zu beerdigen, hat mich tatsächlich sehr bewegt. Die Preußler-Töchter kannten mich aus meiner Zeit als Seelsorgerin in Haidholzen und haben sich das ausdrücklich gewünscht“, berichtet sie.

Kamerateams
ausgetrickst

Da Otfried Preußler für Kinder geschrieben hat, habe sie den Trauergottesdienst auch mit Kindern gestaltet. Schüler der Stephanskirchener Otfried-Preußler-Schule trugen die die Fürbitten vor. Die Beerdigung selbst habe im engsten Kreis der Familie mit Verlegern und wenigen Freunden stattgefunden. „Es war nicht ganz leicht, den Termin vor den Medien geheim zu halten, aber die aufdringlichen Kamera-Teams fuhren nach dem Trauergottesdienst umsonst zum Friedhof. Wir hatten die Urne schon vorher beigesetzt.“

Auf dem Friedhof las Maurer eine Stelle aus „Krabat“ vor: die Stelle, als die Kantorka in der Osternacht das Osterlob anstimmt und Krabat erkennt, dass die Liebe und das Licht immer über alle Mächte des Bösen und der Todes siegen werden. „Das war für mich der bewegendste Moment“, erinnert sich die Seelsorgerin.

Festabend mit Erinnerungen an Otfried Preußler

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