Bad Endorf/Rimsting – „Dieses Projekt war unsere Therapie“, sagt Irina Byendys. Die 62-Jährige ist vor zwei Jahren in die Region gekommen und lebt in Rimsting. Sie stammt aus der Ukraine. Ihre Heimat hat sie wegen des Krieges verlassen. Durch ein Weihnachtsprojekt des Bad Endorfer „Helferkreises Asyl“ habe sie ihre Liebe zum Nähhandwerk wiederentdeckt.
Wenn es um ihr altes Leben und die Flucht geht, blockt Byendys ab. Stattdessen sagt sie, sie sei dankbar für all die Hilfe, die sie seitdem erfahren habe. Sie hält einen bunten Rock in die Höhe. Ein Einzelstück, das sie entworfen und genäht hat. Auch das blaue Kleid mit Volants, das sie an diesem Tag trägt, ist von ihr.
Viele beherrschen
noch das Handwerk
Nähen kann die Ukrainerin schon lange. In ihrer Heimat, so berichtet sie, „lieben viele Frauen das Nähen und Sticken“ und beherrschen dieses Handwerk.
In gebrochenem Deutsch erklärt sie, dass sie das Handwerk als kleines Mädchen von ihrer Großmutter erlernt hätte. Dann habe sie einen anderen Karriereweg eingeschlagen. „Ich bin Ingenieurin“, sagt sie. Für Luft- und Raumfahrttechnik. Sie notiert sich den Fachbegriff. Die deutsche Sprache gut zu beherrschen und immer weiter zu lernen ist ihr wichtig. Nach Beginn des Krieges in der Ukraine habe sie fliehen müssen. Mit dem Auto sei sie nach Bad Endorf gekommen. Viel Persönliches will sie nicht preisgeben. Zum einen, weil noch Teile der Familie dort leben. Zum anderen, wolle sie nicht ihre private Lebensgeschichte öffentlich breittreten. „Ich will nicht darüber sprechen. Sprechen wir lieber etwas Schönes, wie das Nähen.“
Seit einem Projekt des Bad Endorfer „Helferkreises Asyl“ für den Endorfer Weihnachtsmarkt im letzten Jahr sei das Nähen zu einem wichtigen Lebensinhalt für Irina Byendys geworden. Die Stoffe bekommt sie gespendet. Sie seien oft vintage, also vom Stil her altmodisch, aber alle unbenutzt. Aus kleinsten Teilen schneidert sie bunte Wickelröcke mit vielen feinen Details für Frauen und Mädchen. „In einem Rock steckt nur positive Energie“, sagt die Ukrainerin. Das Nähen gebe ihr Kraft. Mindestens 15 Stunden Arbeit, so sagt sie, stecken in einem Teil. Zunächst legt sie alle Stoffe nebeneinander – sie kombiniert verschiedene Möglichkeiten des Designs. Dann werden die Muster geschnitten und vernäht. Da sie keine Overlock-Nähmaschine hat – diese näht zusammen, schneidet den Überstand ab und versäubert in nur einem Arbeitsgang – muss sie weitere Arbeitsschritte für das Versäubern per Hand erledigen. Ein Auge für die saubere Arbeit von Irina Byendys hat Petra Muthmann. Sie lebt in Bad Endorf und betreibt dort den Concept Store „Lebenswert“ am Bahnhofsplatz. Eine Bekannte habe sie Irina Byendys vorgestellt. „ ‚Slow Fashion‘ ist mein Thema“, sagt sie. Denn in ihren Geschäften – sie hat noch eines in München – verkauft sie maßgeschneiderte Kleidung.
Weil Petra Muthmanns Familiengeschichte selbst von Flucht geprägt ist – ihr Vater sei nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ostpreußen nach Traunreut geflohen –, will sie Irina Byendys unterstützen. „Ich möchte ihrer Kleidung einen Raum geben und ihr helfen, bekannter zu werden“, sagt sie. Bei dieser Zusammenarbeit sei auch ein weiteres Design entstanden. Aus Schurwolljersey, den Petra Muthmann übrig hatte, schneiderten die beiden Frauen ein Kleid im Color-Blocking-Stil, bei dem möglichst kontrastreiche Farben miteinander kombiniert werden. Nachhaltig, individuell, aber leistbar ist das Konzept. Dennoch fehle bei vielen Kunden das Verständnis für den Preis. „Alles über 20 Euro kaufen die Menschen nicht“, bedauert Petra Muthmann. Um den vielen Arbeitsstunden, die in einem Teil drinstecken, gerecht zu werden, müssen die Frauen für die Maßkleider 99 Euro und die Wickelröcke mindestens 159 Euro verlangen.
Noch nicht einmal
Mindestlohn
Nach Abzug von Ladenmiete und weiteren Ausgaben für Garn oder Druckknöpfe, bleibe nicht mal ansatzweise ein Stundenlohn, der an den Mindestlohn herankommt. Ums Geld gehe es Irina Byendys aber gar nicht. „Ich bin 62 und lerne noch Deutsch“, erläutert sie. Einen Job zu finden, sei unter diesen Voraussetzungen schwierig – trotz ihres akademischen Hintergrunds. Dennoch wolle sie etwas schaffen. Ihre Fähigkeiten und ihr „Lieblingshobby“ ausleben und vor allem: „Ich möchte die Menschen erfreuen.“