Bad Feilnbach – „Ich würde so gern wieder arbeiten, meine Hanteln stemmen, auf Bergtouren gehen – einfach leben“, sagt Tom Günther. Vor einem Jahr erkrankte der Bad Feilnbacher an Corona. Bis heute kämpft er gegen die Folgen der Virusinfektion an.
Tom Günther hat zeit seines Lebens Sport getrieben. Fast schon exzessiv. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht im Fitnessraum war, sich mit 110 breiten und 40 schmalen Liegestützen aufwärmte, ehe er seine Trainingseinheiten begann, Hanteln stemmte, Klimmzüge machte. „Ich bin jede Treppe hoch gejoggt, war immer gesund, stark und fit“, erzählt er.
Auch gesunde Ernährung war ihm wichtig: „Viel vegetarische Kost, wenig Fleisch, viel gutes Wasser, wenig Alkohol, niemals zuckerhaltige Getränke, seit anderthalb Jahren sogar Low Carb.“ Meist wurde er weitaus jünger geschätzt, als er tatsächlich war. Bis zu seinem 57. Geburtstag.
Trotz Impfung schwer
an Corona erkrankt
Obwohl er alle drei Schutzimpfungen hatte, erkrankte er im Oktober 2022 an Corona. „Ich hatte hohes Fieber, mir ging es zehn Tage lang richtig schlecht“, erinnert er sich. Genesen ist er bis heute nicht: Nach dem Virus machte sich Post-Covid bei ihm breit. „Meine größten Probleme sind die totale Erschöpfung und extreme Kraftlosigkeit“, beschreibt er seinen körperlichen Zustand.
Ihm fehlt die Kraft zum Gehen, Stehen, Laufen – überhaupt zum Aktivsein. Treppen sind für ihn kaum mehr zu bewältigen: „Auf einem Weg mit Steigung schaffe ich kaum mehr als zehn Meter.“
Für längere Wege braucht er Krücken oder sogar den Rollstuhl. Hinzu kommen kognitive Aussetzer: „Mir fallen Worte einfach nicht mehr ein. Ich vergesse viele Dinge“, stellt er entsetzt fest, denn er fühlt sich „wie ein Freak, wie ein Waschlappen“.
Spirale aus Hoffnung
und Enttäuschung
Im April absolvierte Tom eine vierwöchige Rehabilitation. „Dort wurde mein katastrophaler Gesamtzustand diagnostiziert“, erinnert er sich an die Diagnose und sein eigenes Gefühl, wenn er hochbetagte Menschen sah: „70- oder 80-Jährige waren nach einer orthopädischen Operation schneller wieder fit als ich. Ich fühle mich oft, als wäre ich 90.“ Bis heute hat sich Toms Zustand nicht verbessert: Inzwischen wurde ihm eine 50-prozentige Schwerbehinderung bescheinigt. „Wenn ich meine Frau Sue nicht hätte, wäre ich verloren“, schätzt er ihr Mitgefühl, ihre bedingungslose Liebe und ihre uneingeschränkte Unterstützung.
Der 58-Jährige befindet sich in einer Spirale aus Hoffnung und Enttäuschung. Er hat nach zwölf Monaten Genesungskampf keine Geduld mehr mit seinem Körper, der seinen Ansprüchen einfach nicht genügen will und sich nicht auf das Vor-Corona-Niveau trimmen lässt. Doch das Schlimmste für ihn ist, dass er nicht mehr arbeiten kann. Als die beiden Nordlichter Tom und seine Frau Sue von Hamburg über Sizilien und den Ammersee 2015 nach Bad Feilnbach kamen, suchten die Modedesignerin und der Werbetechniker Arbeit in der Region. Im Weko-Einrichtungshaus fanden sie „neue Traumjobs und ein wunderbares Team“. Sue lebt ihre Leidenschaft fürs Kochen und Backen als Beraterin in der Küchenabteilung aus. Tom kreierte für seine Kunden Wohnideen am Computer. „Wir sind endlich wirklich angekommen“, beschreiben die beiden ihr Heimatgefühl.
Die Region bietet ihnen alles, was sie lieben: „Berge, Seen, tolle Menschen.“ Die Arbeit macht ihnen Freude. Doch mit Corona kommt für Tom das Aus. „Mein Plan war es nie, mich mit Ach und Krach bis zur Rente zu schleppen und dann nichts wie weg“, erinnert sich Tom an seine Pläne. Nein. Er wollte einfach weiterarbeiten, weit über die Rente hinaus, denn: „Ich habe immer gern gearbeitet.“ Jetzt fühlt er sich wie ein Aussätziger: „Ich darf daran nicht mehr teilnehmen. Ich gehöre zu den Vergessenen, bin für die Gesellschaft nicht mehr existent.“
Denn auch wenn er 41 Jahre lang gearbeitet hat, rutscht er nach dem Krankengeld nun in die Erwerbsminderungsrente und bekommt dann nur noch etwa ein Drittel des vor der Corona-Infektion bezogenen Gehaltes. „Weil uns keiner helfen kann, kommen wir Post-Covidler womöglich noch in eine wirtschaftliche und soziale Schieflage, obwohl wir immer fleißig gearbeitet haben“, stellt er fest und fragt: „Warum lässt man uns (gefühlt) so allein?“
Er hat nie geglaubt, dass er einmal keine Chance mehr auf Arbeit hätte, doch er schafft es einfach nicht zurück auf den Arbeitsmarkt, denn kein Arzt oder Therapeut konnte ihm bisher wirklich helfen.
Dabei weiß er seinen Hausarzt immer an seiner Seite. „Ich bin bestens aufgestellt, er tut alles für mich, was man derzeit machen kann“, ist er dankbar. Auch seine Physio- und Ergotherapeuten sowie Osteopathen seien „wunderbare und engagierte Menschen“.
Tom Günther weiß, dass die Krankheit „noch zu jung ist, dass es an Erfahrungswerten fehlt“.
Betroffene greifen
nach jedem Strohhalm
Trotzdem ist ihm nicht klar, warum es trotz der vielen Betroffenen nur so wenige Studien gibt, dass die Plätze in kürzester Zeit weg sind und man gar keine Chance habe, sich als Studienteilnehmer überhaupt anzumelden. „Wie will unser Land medizinisch vorankommen, wenn es nicht mehr in Studien, Therapien und Praktiken investiert?“
Wie viele Betroffene greift Tom Günther nach jedem Strohhalm. Auf eigene Kosten probiert er Behandlungen aus, die ihm andere Post-Covidler empfehlen: Die Atemtherapie hat ihm geholfen, auch auf die Kältebehandlung hat er gut angesprochen. Heilpraktiker, Akupressur, Kneippen, Hypnose, Meditation und autogenes Training hat er ausprobiert, seine ausgewogene Ernährung noch perfektioniert. „Trotzdem bin ich nach einem Jahr immer noch am Anfang“, hält er die erforderliche Geduld für seine Genesung kaum aus.
Krankenkassen zahlen
Behandlung nicht
Die Plasmapherese, bei der krankheitsverursachende Blutbestandteile aus dem Blutkreislauf entfernt werden, soll einige Betroffene in der Genesung vorangebracht haben, hat Tom gehört. Doch eine Behandlung kostet um die 2100 Euro. Es werden mehrere (zwischen zwei und acht) empfohlen. Das kann er sich als EU-Rentner nicht mehr leisten. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen die Behandlung nicht, weil neue Methoden erst auf ihre medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden, ehe sie in die Leistungskataloge der Krankenkassen aufgenommen werden.
Doch eben weil die Medizin noch nicht so weit sei, müssten die Post-Covidler stärker unterstützt werden, um wieder auf die Beine zu kommen, findet Tom Günther, denn: „Ich habe viele Menschen mit Post-Covid getroffen, die alle noch jung sind und arbeiten wollen. Kann unser Land bei dem akuten Fachkräftemangel auf uns verzichten? Werden wir tatsächlich nicht mehr gebraucht?“ Tom hofft auf ein Umdenken, hofft, dass der Staat mit seinem Rentensystem und den Krankenkassen mehr tut, um den geschätzt eine Million Post-Covidlern in Deutschland (offizielle Angaben zu den Zahlen variieren) zu helfen und ihnen den Weg in die Arbeit zu ebnen.
Er hat gelernt, seinen Fokus auf die schönen Dinge im Leben zu richten: „Meine liebe Frau Sue, unsere Freunde, unsere Wohnung, die herrliche Gegend.“ Tom bleibt ein Sportler: „Ich bin lösungsorientiert und schaue nach vorn, auch wenn mir das gerade schwerfällt“, gibt er zu. Er kämpft weiter.
Kollegen stehen
an seiner Seite
Völlig überraschend kamen ihm nun seine Kollegen von Weko zu Hilfe. Als er die Grußkarte von ihnen in den Händen hält, kann er die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Du schaffst das, Tom!“, machen sie ihm Mut. „Wir malen den Silberstreifen am Horizont für Dich nach, wenn er verblasst.“
Damit er die „Hoffnung nicht aufgibt“, haben die Kollegen für ihn gesammelt. Mit dem Sparschwein „für gute und für schlechte Zeiten“ schenken sie Tom den Grundstock für die Plasmapherese und damit wieder einen Funken Hoffnung, den Weg zurück ins Arbeitsleben zu meistern.