Sinnieren über den Wert der Lebenszeit

von Redaktion

Interview Sebastian Weyerer und Pfarrer Paul Janßen zum Mysterienspiel in Aschau

Aschau – Das Mysterienspiel Totentanz von Johannes Alois Lippl (1903 bis 1957) werden am Sonntag, 26. November, die Riederinger Spuileit und der Ludwig-Thoma-Chor, begleitet von Violine, Orgel und Bläsergruppe, in der Aschauer Pfarrkirche aufführen.

Lippl, bis 1953 Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, ließ sich zu seinem Mysterienspiel von bildlichen Darstellungen aus der Marienkirche in Lübeck und aus Basel inspirieren. „Ob König oder Bettelmann – er geht sie allesamten an … Unbestechlich ist er, der Herr Tod. Ohne Rücksicht auf Stand, Vermögen, Rang oder Namen nimmt er die repräsentativen Gestalten der mittelalterlichen Gesellschaft vom Kaiser bis zum Bettelmann mit in den Todesreigen“, heißt es in der Ankündigung.

Kann man mit der bildhaften Darstellung des Todes als Knochenmann in der heutigen Zeit noch etwas anfangen? Was macht den Reiz des Mysterienspiels aus? Und wie lässt sich das Mysterienspiel Totentanz, das ursprünglich nur von einer Violine begleitet wird, musikalisch mit vielen Mitwirkenden umsetzen? Im Gespräch mit unserer Zeitung reden der Chorleiter und Ideengeber Sebastian Weyerer und der Aschauer Pfarrer Paul Janßen über das Werk.

Herr Weyerer, es war Ihre Idee, das Mysterienspiel Totentanz aufzuführen. Wie geht man vor, um ein solches Projekt, das eigentlich mehr eine szenische Darstellung ist, musikalisch anzureichern?

Das Mysterienspiel ist eine Neuschöpfung von Johannes Alois Lippl und gibt einen eindrucksvollen Einblick in mittelalterliche Denk- und Empfindungsstrukturen. Ich habe das Stück einmal gesehen. Und es ist ja nun mal so, dass der Tod jeden holt, unabhängig von Stand, Rang, Namen oder Vermögen. Und beim Auftritt des Kaisers beziehungsweise wenn der Tod den Kaiser abholen will, habe ich mir Trompetenfanfaren und Landsknechtstrommeln vorgestellt. So kam eins zum anderen. Teilweise habe ich Stücke komponiert, an einer Stelle erklingt beispielsweise das Kyrie meiner Irmengard-Messe. Und teilweise habe ich auf Choräle zurückgegriffen, sei es der Mailänder Codex (von 1200) oder das „popule meus“ von Tomas Luis de Victoria (1538-1611). Auch das Volkslied „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod,“ aus dem 17. Jahrhundert – hier allerdings für Geige solo – und Orff-Stücke dürfen nicht fehlen.

Herr Weyerer, was macht den Reiz des Stückes für sie aus?

Dem Tod kann man nicht entkommen. Das Mysterienspiel spiegelt dies wider. Die Aschauer Pfarrkirche bietet sich hier als perfekter Austragungsort an, die Atmosphäre, die verschiedenen Beleuchtungsmöglichkeiten – für mich der perfekte Rahmen. Und ich muss zugeben, dass ich mich im Kirchenraum sehr geborgen fühle. Außerdem gefällt es mir, Stücke abseits des Mainstreams aufzuführen.

Herr Pfarrer, sie sind ja sozusagen Gastgeber, wenn man das so sagen darf. Welchen Reiz übt das Stück auf sie aus? Die mittelalterlichen Vorstellungen werden ja heute eher belächelt.

Klischeehaft wird heute oft vom finsteren Mittelalter gesprochen. Die Wirklichkeit dieser Epoche ist wesentlich differenzierter. Das Mittelalter hat kulturelle Höchstleistungen hervorgebracht, die heute noch bestaunt werden, eine geistige Weite und spirituelle Tiefe in der Begegnung verschiedener Kulturen, soziale Errungenschaften wie die organisierte Krankenpflege in Hospizen, aber auch tiefe gesellschaftliche Verwerfungen und menschliche Abgründe. Doch ist das in der Neuzeit viel anders? Vieles aus dem mittelalterlichen Denk- und Vorstellungshorizont wird uns fremd bleiben. Der Reiz der Totentanz-Aufführung liegt gerade darin, in der Begegnung mit einer fremdartigen Vorstellungswelt und Sprache wieder neu über Leben und Tod nachzudenken. Ich glaube auch, dass vieles in der Aufführung ganz unmittelbar berühren wird.

Was sehen Sie als die Botschaft des Stückes?

Für mich ist der Tod – und das sage ich jetzt nicht nur von „berufswegen“ als Pfarrer – keine Sackgasse, sondern Türe in einen neuen Lebensraum. Im göttlichen Licht wird Leben verwandelt, gerichtet im Sinn von bereitet, um ganz erlöst zu sein. Im Totentanz geht es immer um einen Dialog zwischen der Gestalt des Todes und der betreffenden Person. Mir scheint es hilfreich für das Leben zu sein, wenn wir den Tod nicht verdrängen, sondern irgendwie in eine Zwiesprache mit dem Tod treten, in eine Auseinandersetzung. Das muss uns nicht trübsinnig machen, im Gegenteil: Den Wert der Lebenszeit erkennen wir eben auch von ihrer Begrenzung her. Die Lebenszeit ist kostbar, sie bietet Möglichkeiten und stellt mich vor die Fragen „Wie kann ich sie gestalten, wie kann das Leben glücken, soweit es in meiner Macht steht? Was mache ich aus diesem einmaligen Leben in Verantwortung gegenüber dem Schöpfer, den Mitmenschen, der uns anvertrauten Welt?“.

Interview: Elisabeth Kirchner

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