Rosenheim – Keine Balkone, keine Gärten, keine Dekoration. Die 15 Wohncontainer verströmen Sachlichkeit. Rechtecke auf Rädern. Dazwischen viel Kies, Asphalt und matschiger Rasen. Bobbycars und Stühle stehen verlassen herum. Das nasskalte Wetter passt zur nüchternen Atmosphäre. Auf den ersten Blick ist die Mobile-Home-Siedlung an der Westerndorfer Straße ein tristes Areal – und zugleich ein Ort größter Hoffnung.
Tiny-Haus mit
45 Quadratmetern
„Ich bin sehr zufrieden“, sagt Olivia, 35, aus Uganda. Seit zwei Monaten bewohnt sie mit ihren zwei Buben, acht und elf Jahre alt, einen dieser Bungalows. Ein Wohnraum mit Küchenzeile, zwei Schlafräume, ein Bad – das ist alles. 45 Quadratmeter insgesamt.
„Ich bin richtig glücklich“, sagt auch Rahim, 28, und strahlt über das ganze Gesicht. Der Afghane und seine Frau Fahrir, 29, stammen aus dem Pandschir-Tal, das die Taliban brutal besetzt halten. Seine Tochter ist im Sommer 2022 in München zur Welt gekommen. Rahim will bald eine Ausbildung als Lastwagen- oder Busfahrer beginnen.
„Es wird
immer schwieriger“
Bis zu 60 Flüchtlinge leben auf dem Gelände an der nördlichen Ausfallstraße. Mehr als 250 Flüchtlinge kamen allein in diesem Jahr nach Rosenheim. Aktuell hat die Stadt 800 Personen in den dezentralen Unterkünften untergebracht. In den beiden staatlichen Einrichtungen der Regierung wohnen zurzeit 160 Personen. Zu den Flüchtlingen, etwa aus der Ukraine, die sich privat untergebracht haben, liegen der Stadtverwaltung keine Zahlen vor. Fakt ist: Der Wohnraum wird knapp und auch die freiwilligen Helfer kommen an ihre Grenzen. Die Lage ist angespannt.
„Wir bekommen erhebliche Zuweisungen vom Ankerzentrum in München. Die Anschlussunterbringung sicherzustellen, ist aber sehr schwer planbar“, sagt Klaus Grandl, Leiter des städtischen Sozial- und Wohnungsamtes. „Wir sind auch permanent nach privaten Unterkünften auf der Suche. Es wird aber immer schwieriger. Anfangs war die Bereitschaft höher.“
Rosenheim setzt auf eine möglichst dezentrale Unterbringung, um einseitige Belastungen einiger Stadtquartiere zu vermeiden, betont der Sachgebietsleiter des städtischen Sozial- und Wohnungsamtes, Wolfgang Klupp. „Wir haben einen sehr kurzen Vorlauf, bis ein Bus mit 50 Personen plötzlich in Rosenheim steht.“
Zudem sei die Zusammensetzung der Insassen „meist weitgehend unbekannt“. Manchmal wollten beispielsweise zwei Freunde zusammenbleiben und würden sich eigenmächtig in den gleichen Bus setzen. Oder es gibt nur zwei Rollstühle für drei Rollstuhlfahrer, weil der dritte Stuhl in München gebraucht wurde. Klupp gesteht: „Man ist ab und zu überfordert.“ Er wolle dem Ankerzentrum in München aber keinen Vorwurf machen. „Die sind selbst zu 96, 97 Prozent ausgelastet.“
Ein knappes Jahr war Mariam, 34, von Sierra Leone bis Rosenheim unterwegs. Davon saß sie allein neun Monate in Libyen fest. Im April 2022 ist mit ihren drei Jungen, neun Monate, sechs und zehn Jahre alt, in Rosenheim in einer Sammelunterkunft untergekommen. „Ich musste fliehen“, sagt sie. Der Vater der Kinder war gegen sie und ihre Söhne gewalttätig geworden. Ihre Tochter blieb bei der Großmutter im 7000 Kilometer entfernten afrikanischen Land. „Ich würde sie gerne holen, sobald das geht“, sagt Mariam. Trennungsschmerz schimmert in ihren Augen. Seit Oktober wohnt sie im Mobile Home. Ein Sofa, ein Regal, eine Kommode – das Mobiliar ist in jedem der Container identisch. Mariams größter Luxus ist ein von Tesa-Streifen zusammengehaltener Fernseher. „Hier fühle ich mich sehr sicher“, sagt sie und lächelt.
Das Ordnungsamt kann von keiner größeren Konfliktlage in den Flüchtlingsunterkünften berichten. Die stellvertretende Leiterin des Ordnungsamtes, Martina Wildenburg, sagt: „Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Polizei.“ Kommissar Daniel Katz, der Sprecher des Präsidiums Oberbayern Süd, teilt auf Anfrage mit: „Es gibt immer wieder Ruhestörungen, wenn Geburtstagspartys gefeiert werden oder auch Körperverletzungen.“ Statistisch sei das aber nicht weiter auffällig. „Das hat auch nichts mit dem Asylantenstatus oder dem Herkunftsland zu tun, sondern mit den örtlichen Gegebenheiten.“ Wo viele unterschiedliche Menschen unter einem Dach lebten, gebe es nun mal Streitereien. „Natürlich fahren wir öfter zu einem Haus, wo 100 Leute wohnen, als zu einem Sechs-Familien-Haus“, erklärt Katz. Flüchtlingsunterkünfte seien jedoch „kein großer Einsatzschwerpunkt“.
Auf ähnliche Erfahrungen verweist Sachgebietsleiter Klupp. Manchmal gebe es Konflikte in den Unterkünften zwischen Christen und Muslimen. „So wie es schon mal im Bierzelt“ menschele, gehe es manchmal auch in den beengten Unterkünften und den Gemeinschaftsräumen zu. „Streitereien kommen vor“, zumal die Flüchtlinge in ihrem früheren Leben und auf ihrer Route nach Deutschland traumatisierende Erlebnisse gemacht und im Gepäck haben.
Echte Glücksmomente erlebt Christoph Horner. „Wir werden schon mal umarmt, und eine Frau hat tatsächlich mal einen echten Freudentanz aufgeführt“, sagt der Mann, der die städtischen Flüchtlingsunterkünfte managt. Horner berichtet auch von einer fünfköpfigen Familie aus der Ukraine, die vor Glück fast geplatzt ist, als sie erkannte, dass ihre Zimmer in der Sammelunterkunft Bergblick haben. Auch kullerten einer Großmutter, Mutter und zwei Kindern aus der Ukraine tatsächlich Tränen der Freude über die Wangen, weil sie nach längerer Wartezeit eine kleine Wohnung zugewiesen bekamen.
„Es ist ein gutes Gefühl, wenn man sieht, wie die Leute in der Anschlussunterkunft zur Ruhe kommen. Sie sind sehr dankbar“, bestätigt Sachgebietsleiter Klupp. Manchmal besteht das Hochgefühl auch nur in einem zusätzlichen Kinderbett oder einer Gartenschere. Strahlend machte sich ein Syrer mit dem Werkzeug gleich im Garten seiner Rosenheimer Unterkunft an den Bäumen zu schaffen. Bis man dem gelernten Gärtner erklärte, dass in Deutschland nur zu bestimmten Zeiten Baumschnitt rechtens ist.
Neu zugewiesene Flüchtlinge werden zuerst in der dezentralen Erstaufnahmeeinrichtung versorgt und untergebracht. Eine Verlegung erfolgt, sobald eine Anschlussunterbringung zur Verfügung steht. Zurzeit gibt es in Rosenheim 53 dezentrale Einzel- und Sammelunterkünfte. In der Regel kommen wöchentlich rund 450 Personen in München an, die auf verschiedene Kreisverwaltungsbehörden verteilt werden. Rosenheim werden in unregelmäßigen Abständen jeweils bis zu 50 Personen zugewiesen.
Kosten übernimmt
grundsätzlich Bayern
Die Unterbringung von Asylbewerbern ist grundsätzlich Aufgabe des Freistaats, der damit auch Kostenträger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist. Das bedeutet, dass der Freistaat grundsätzlich für sämtliche Ausgaben, die mit der Versorgung der Leistungsberechtigten entstehen, aufzukommen hat. Hierzu gehören Ernährung, Kleidung und Gesundheitspflege.
Mariam arbeitet als
Krankenschwester
Die Unterbringung erfolgt in der Regel in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften, die vom Freistaat betrieben werden. Da diese aber nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, werden die kreisfreien Städte und Landkreise verpflichtet, eigene dezentrale Unterkünfte vorzuhalten und zu betreiben. Auch diese Kosten werden vom Freistaat erstattet. Allerdings fällt für die Stadt finanzieller Aufwand für Personal und Verwaltung an. Aber Zahlen sind nicht alles.
Mariam aus Sierra Leone arbeitet als Krankenschwester. Einer ihrer Söhne geht in die Schule und lernt Deutsch. Rahim aus Afghanistan spricht bereits gutes Deutsch. „Man muss rausgehen und mit den Leuten reden“, erklärt er. „Dann lernt man es besser!“ Olivia aus Uganda will bald eine Ausbildung machen. Welcher Beruf es sein soll, weiß sie noch nicht. Alle sind sie Muslime, aber wollen in diesem Jahr Weihnachten feiern. Einen Wunsch an das Christkind haben Olivia, Mariam und Rahim auch schon: eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.