Wenn der Alltag Hürden aufstellt

von Redaktion

Leichte Sprache hilft Menschen mit Lernbehinderungen – Zwei Betroffene erzählen

Rosenheim – Die deutsche Sprache ist komplex. Das wird einem spätestens dann bewusst, wenn man sich mit behördlichen Formularen herumschlagen muss. Noch schwieriger wird es dann, wenn man eine Lernbehinderung hat – so wie Martina und Sabrina. Den beiden fällt es schwer, Zusammenhänge zu erkennen. Für vieles brauchen sie einfach mehr Zeit. Bei Behördengängen und Co. werden sie daher vom Katholischen Jugendsozialwerk München unterstützt, damit Texte und Dokumente nicht zum Hindernis werden.

Busfahrpläne
stellen Hindernis dar

Doch auch abseits von Formularen und Verträgen haben die beiden im Alltag Probleme mit „normaler“ Sprache: „Die Nachrichten sind ein bisschen schwierig. Wenn es leichte Sprache wäre, würde das jeder verstehen. Oder wenn die Sprecher langsamer reden würden“, sagt Martina. Sabrina wünscht sich eine Änderung bei den Busfahrplänen: „Die kann ich nicht lesen, weil sie zu klein sind. Das muss größer und leichter sein.“ Die Lösung hierfür wäre leichte Sprache.

Sie soll dabei helfen, Informationen für alle zugänglich zu machen. Doch die leichte Sprache ist gar nicht mal so einfach. Denn sie hat feste Regeln, die vom „Netzwerk leichte Sprache“ festgelegt wurden. Das Ziel: Gesetzestexte, Formulare und andere Dokumente sollen so gestaltet werden, dass jeder sie versteht. „Personen, die vielleicht gar nicht so alphabetisiert sind, die nicht so gut lesen können, oder die eine geistige Einschränkung haben. Oder auch Personen, die nicht mehr so gut sehen, was ja auch einfach ganz normale alte Leute betrifft“, erklärt Bettina Sölch, die das Projekt leichte Sprache in der Stadtbibliothek Rosenheim betreut.

An vielen Orten wird Sabrina und Martina die Teilhabe noch verwehrt – und das nur aufgrund der Sprache. In Museen könnten sie sich zum Beispiel Beschilderungen und Erklärungen in leichter Sprache gut vorstellen. Man könne ja die Schilder vor Ort in leichter Sprache verfassen und für tiefergehende Informationen eine Broschüre anbieten, schlägt Jennifer Peters, Leiterin der Offenen Behindertenarbeit beim Katholischen Jugendsozialwerk, vor. Auch bei der Vulkane-Ausstellung im Rosenheimer Lokschuppen gab es keine Informationen in leichter Sprache, erzählt Martina. Sie wirkt enttäuscht über das fehlende Angebot. Im Supermarkt sind zumindest die Produktnamen auf den Verpackungen für Martina und Sabrina gut zu erkennen. Nur bei den Preisen wird wieder einmal die Schriftgröße zum Problem. Diese seien nämlich oft zu klein, sodass die beiden sie nur schlecht erkennen können.

Doch die Übersetzung ist oft noch schwierig, wie Peters erklärt. Es gebe zwar inzwischen viele Internetauftritte in leichter Sprache, aber bei offiziellen Anträgen, wie beispielsweise dem Antrag auf Mobilitätshilfe, hapert es noch. Darin wird beispielsweise immer vom Antragsteller gesprochen. Leichter wäre es hier, mit direkter Anrede zu arbeiten. „Dadurch dass es sehr einfach gehalten wird, ist die Sorge da, dass etwas verloren geht“, erklärt Peters den Mangel an offiziellen Dokumenten in leichter Sprache. „Die Informationen sind immer recht komprimiert.“

Aber es tut sich auch schon etwas in Rosenheim: In den vergangenen drei Jahren hat die Stadtbibliothek sich dieser wichtigen Thematik mit dem Projekt „Leichte und einfache Sprache“ gewidmet. Auch Sabrina war beteiligt. So hat sie beispielsweise den Bibliotheksleitfaden in leichter Sprache, also die Anleitung zur Nutzung der Bibliothek, geprüft und dabei ganz genau auf die Texte geschaut: „Die dürfen zum Beispiel nicht zu lang sein, die dürfen auch nicht ganz klein sein.“ Außerdem hat Sabrina kontrolliert, ob die Bilder und Symbole zu den Texten passen. Im Rahmen des Projekts fanden zudem bereits Lesungen in leichter Sprache statt und regelmäßige Fachtage, an denen sich Interessierte tiefergehend über das Thema informieren konnten.

„Ich kann
nicht so schnell!“

Sabrina und Martina haben allerdings auch noch ein persönliches Anliegen: Sie wünschen sich manchmal mehr Rücksicht von ihren Mitmenschen. „Ein paar verstehen nicht, dass wir ein Handicap haben. Das finde ich nicht so schön. Manche sind dann nicht so nett. Ich meine, wir sind nicht so, wie die anderen Leute“, erklärt Martina. Sie benötigt beispielsweise an der Kasse im Supermarkt oder im Kino oft ein wenig mehr Zeit. Doch nicht alle hätten dafür Verständnis: „Einmal war ich alleine einkaufen und hinter mir war einer, der hat dann gesagt: ‚Kannst du mal ein bisschen schneller zahlen?‘ Ich dachte: ‚Hallo? Ich kann nicht so schnell‘“, ärgert sie sich.

Auch Sabrina ist bereits in ähnliche Situationen geraten. „Ich lasse die dann einfach reden“, sagt Sabrina. „Beim einen Ohr rein, beim anderen wieder raus.“

Informationen über Rosenheim in leichter Sprache

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