Schultertraining im Gemeinderat

von Redaktion

Einen Abstimmungsmarathon brachte der Kiefersfeldener Gemeinderat jetzt hinter sich. 136 Beschlüsse standen an. Das hehere Ziel: Mehr Wohnraum schaffen.

Kiefersfelden – Neben „Hirnschmalz“ waren bei der jüngsten Sitzung der Gemeinderäte vor allem Sitzfleisch und Armmuskulatur gefragt, denn es stand die Beschlussfassung über die „Implementierung der Dachgaubensatzung in Bebauungspläne“ auf der gut gefüllten abendlichen Agenda. Und im Fernsehen lief passend zum Gehirnjogging sowie dem Bizeps- und Schultertraining der Gemeinderäte das EM-Spiel der Handballer gegen Frankreich.

17 Bebauungspläne
auf einen Streich

Vor Wochen hatte die Gemeinde im Sinne einer unbedingt notwendigen und zügigen Wohnraumvermehrung eine neue Satzung zu Dachaufbauten (Gauben) beschlossen. Die besagt, dass überall in der Gemeinde, wo es keinen gültigen Bebauungsplan gibt, der Bau von Gauben auf bestehenden Gebäuden grundsätzlich erlaubt ist. Schnell und unbürokratisch Wohnraum schaffen, das war das Ziel. Perfekt für Familien, die mit mehreren Generationen unter einem Dach wohnen und mehr Platz brauchen.

Um diesem Ansinnen auch im großen Rest des Kieferer Gemeindegebietes schnell Taten folgen zu lassen, brachte die Gemeinde für alle 17 betroffenen Baugebiete eine entsprechende Änderung der jeweiligen Bebauungspläne auf den Weg. Da schlug dann die Bürokratie gnadenlos zu. Für 17 Gebiete mussten exakt jeweils 56 Träger öffentlicher Belange und Behörden informiert werden. Die sollten innerhalb einer festgesetzten Frist ihre Stellungnahmen dazu abgeben. Was nicht alle schafften.

Als Aufwärmübung stellte Bauamtsleiter Sebastian Senftleben exemplarisch an einem Änderungsantrag das gesamte aufwendige Procedere mit Anregungen, Einwänden, wahlweise auch Zustimmung vor. Auf dass die Ratsmitglieder es auf die folgenden 16 Änderungsbeschlüsse der Bebauungspläne anwenden könnten.

Eine Einwendung aus dem Landratsamt Rosenheim fand dabei jedoch die besondere Aufmerksamkeit, nicht nur des Plenums. Das Amt stellte in seiner verspäteten Stellungnahme fest, dass die von Kiefersfelden beantragte Satzungsänderung „nicht einhergeht mit einer ruhigen Dachlandschaft“. „Ach?“ dürfte sich die große Mehrheit im Saal erstaunt gedacht haben. Diese Erkenntnis änderte letztlich aber nichts an der Entscheidung pro Dachgaubensatzung. Dann ging es ans Abstimmen.

Dazu waren pro Bebauungsplan acht einzelne Beschlüsse zu fassen; das heißt, es waren insgesamt 136 (!) Abstimmungen notwendig, um den baurechtlichen Vorschriften gerecht zu werden. Trockener Kommentar auf der Besucherbank: „Das Leben eines Gemeinderatsmitglieds ist manchmal recht eintönig. Aber hin und wieder auch sehr anstrengend“. Und trotzdem waren alle Räte mit vollem Elan dabei – konnten oder wollten aber so manches Mal ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. 136-mal gingen dann alle Hände hoch – fehlte eigentlich nur noch, dass Bürgermeister Hajo Gruber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht den Vorturner gab und Armwechsel von rechts nach links und umgekehrt zwecks gleichmäßiger Belastung anregte.

Alle Beschlüsse
in 45 Minuten gefasst

Nach 45 Minuten Arm- und Schultergymnastik waren alle Beschlüsse pro Dachgaubensatzung einstimmig gefasst, das Sitzungsgeld redlich verdient und der Weg frei gemacht für eine sinnvolle und schnelle Wohnraumgewinnung in der Gemeinde. Folgt in der Nachspielzeit noch die amtliche Bekanntmachung, dann erlangt die geänderte Satzung Rechtskraft. Halten sich Hauseigentümer an die Spielregeln der Satzung, können sie ohne Bauantrag Gauben bauen.

Und die Zuhörer waren, vom höchst aktiven Gemeinderat perfekt eingestimmt, rechtzeitig zur zweiten Halbzeit des Handball-Länderspiels zu Hause.

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